Politik

Kurz, ein Flaum-Mikro und die Achse der Chilligen

Heute Redaktion
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Österreichs und Bayerns Machthaberer trafen sich zur Regierungskonferenz in Linz. Heitere Idee, wolkiger Sinn. Aber es gab ja auch noch das Kanzlerfest.

In Linz beginnt's – auch wenn man ja oft nicht so genau weiß was. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Was an dieser Stelle aber mit Sicherheit gesagt werden kann: Was immer in Linz Mittwoch begann – es ging früh los.

Schon ab 7 Uhr nämlich versammelte sich eine fröhliche Runde am Wiener Hauptbahnhof. Dunkle Anzüge, Business-Kostüme – hätten sich die Damen und Herren der Regierung etwas erdiger gekleidet, man hätte sie für Lehrer einer der vielen Schulklassen halten können, die derzeit etwa in den Lainzer Tiergarten fahren, um putzige Wildschweine anzuschauen, weil niemand mehr so recht weiß, was anfangen mit den Kindern.

Achse der Billigen

Die Klasse von 2018 wurde am Bahnsteig 8 von einer kleinen Gruppe Jungsozialisten empfangen. Die hielten tapfer und mit unbewegten Mienen Taferln gegen den 12-Stunden-Tag in die Luft, über einen mobilen Lautsprecher wurde - täuschend echt - eine Bahnhofsdurchsage nachgeahmt. "Liebe Eltern, aufgrund der österreichischen Bundesregierung verspätet sich die Ankunft bei ihren Kindern um bis zu 4 Stunden täglich. Bedanken Sie sich bei Sebastian Kurz und seinen Sponsoren!"

Nette Idee, eben jener Sebastian Kurz, dem gedankt werden sollte, kam allerdings von der anderen Seite, durch die Hintertür quasi, auf den Bahnsteig (ein schierer Zufall, versicherten später alle). Als das die Demonstranten bemerkten, war es schon fast zu spät. Kurz entflutschte in einen der zwei Sonderwaggons, die parat standen, 2. Klasse selbstredend. Die Achse der Billigen hält, koste es was es wolle.

Railjet Nummer 160, fast die gesamte Regierung war da, erfreute sich an Tempo 230 km/h, Croissants aus dem Sackerl und Coffee to go. Neben Außenministerin Karin Kneissl (schwänzt Ausflüge gern, Nasenbluten?) und Infrastrukturminister Norbert Hofer (aus Gründen) fehlten nur Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl. Kurz dachte ich, der Innenminister hätte vielleicht die Anreise per Pferd bevorzugt und blickte immer wieder aus dem Zugfenster. Aber kein Winnetou, sattellos, den Popsch stattdessen etwa auf einem Isfahan-Perser platziert, die Brille auf der Nase auf und ab hüpfend, versuchte den Railjet ein- oder sogar zu überholen. Nach St. Pölten gab ich auf.

Achse der Willigen

Tatsächlich waren Kickl und Strache ja bei Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini in Rom, um die Achse der Willigen einer Prüflast zu unterziehen. Ich sage nur soviel: Orban wird sich sorgen müssen, um seinen Platz 1 in Best of Böse.

Der Kurzzug in Österreich hatte inzwischen Fahrt aufgenommen. Am Gang standen Fotografen und Kameraleute unter denen urplötzlich, als Kurz sich einmal kurz erhob, eine solche Unruhe ausbrach, als hätte Nessie den Kopf aus dem Wasser gereckt. Es wurde geschoben und gedrängt, die von hinten forderten die vorne auf nach hinten zu gehen, damit sie Nessie Kurz auch einmal ablichten können. Da waren wir noch nicht einmal in Amstetten.

Die Klimaanlage im Waggon hatte da für sich schon beschlossen, dass 8 Stunden am Tag, Flexibilität hin oder her, tatsächlich reichen und blies nun mehr Warmes als Kaltes in den Raum. Ich will nicht vorgreifen, aber es war an diesem Tag nicht unser letzter Kontakt mit heißer Luft.

Alles gesagt, aber nicht zu jedem

Nach Aschbach brach dann richtig Hektik aus. Linz war fast schon in Sichtweite und die meisten hatten so gut wie noch kein Bewegtbild von Kurz im Kasten. Ich habe nicht annähernd geahnt, dass es so viele TV-Sender in Österreich gibt. Alle stellten sie sich jetzt artig am Gang an und Kurz begann in jede Kamera nacheinander mehr oder weniger dasselbe zu sagen, während vor dem Fenster Niederösterreich und Oberösterreich vorbeizogen - immer allerdings noch nicht Kickl. "Treffen im Februar vereinbart"... Krenstetten-Biberbach .... "Bayern ist für uns wichtig".... St. Peter-Seitenstetten .... "In der Asylfrage haben wir einen ähnlichen Zugang" ... St. Johann-Weistrach ... "Wir müssen die Außengrenzen sichern" ... Stadt Haag ... "Achse der Willigen" .... St. Valentin ... "Es kommen nach wie vor zu viele an" ... Ennsdorf ... "Bayern hat uns in der Migrationsfrage immer unterstützt" ... Enns ...

Nach Asten-Fisching wussten alle jene, die noch nicht drangekommen waren: Kurz hat alles gesagt – aber nicht zu jedem.

Also stellten sich in Linz - inzwischen war der Zug überpünktlich angekommen - am Bahnsteig alle im Halbkreis auf wie eine Schülergruppe, die erklärt bekommt, ob und wann man beim Ausflug Handys benutzen darf, und Kurz fasste noch einmal zusammen. Dann machte er ein paar Selfies, crashte eine Bäckerei mit so guten Laune, dass sogar die Zimtschnecken bei der nächsten Wahl Türkis ankreuzen, und stieg schließlich in den Bus Richtung Landhaus. Höheres wartete.

Der echte Linzer geht nicht unter

Weil Bayern mit Öffis offenkundig noch nicht so gut erschlossen ist wie Österreich, reisten die Münchner Blutsbrüder und Blutschwestern mit dem Auto an, jeder für sich, allesamt in schwarzen Limos, Audi und BMW, die Abgasfilter sicher tiptop. Alle stiegen rechts hinten aus, die Männer trugen weiße Hemden und dunkle Anzüge, nahezu alle sagten "Grüß Gott", aber keiner hatte ein Kreuz in der Hand und schon gar keiner einen Herrgottswinkel im Auto. Wenn jetzt schon die Bayern beim Glauben schwächeln, dann steht es wirklich Spitz auf Knopf.

Die größte Delegation aus Österreich, die jemals in Linz war, erwartete die Bayern mit offenem Herzen. Vor dem Landhaus gingen Kanzler Kurz und Ministerpräsident Söder aufeinander zu als hätten beide gerade die schriftliche Matura mit Auszeichnung bestanden, man duzt einander mit "Sebastian" und "Markus". Dutzendschaften von Polizisten sicherten den historischsten Handschlag seit Trump/Kim Jong-un ab, ein paar Linzer erfassten die Dimension des Treffens nicht sofort, sondern schimpften, weil sie am Landhaus nun außen rum gehen mussten und nicht zwischendurch konnten wie sonst immer. Granteln, das ist auch so ein Erkenntnis, deren Nutzen sich mir noch nicht erschlossen hat, ist kein Wiener Privileg mehr.

Ein paar Meter weiter fand der so genannte "Doorstep" statt, obwohl das Landhaus keine door hat und auch niemand steppt. Mit großer und geradezu bewundernswerter Ernsthaftigkeit hatten unzählige, vor allem deutsche TV-Stationen Kameras aufgebaut und hielten Kurz und Söder nun auf langen Stangen Mikrofone hin, damit die Genannten zum ersten Mal an diesem Tag sagen konnten, worum es, in Dreiteufelsnamen, eigentlich ging. Um drei Themen, das war schnell klar: Migration, Migration und Migration.

"Entschlossenheit zeigen"

Dann zogen sich die Bayern und die Österreicher zurück und konferierten über die drei Themen des Tages, zwischendurch huschten sie einmal heraus, stellten sich fürs Gruppenfoto in die pralle Sonne und lächelten gegen Linz an. Ein paar Grantler saßen auch jetzt noch da auf ihren Rollatoren und schimpften, weil sie beim Landhaus immer noch nicht zwischendurch kamen.

Als sich Bayern und Österreich in der Migrationsfrage noch einiger waren als sie sich schon zuvor einig waren, trat man gemeinsam zur Pressekonferenz an, diesmal im Innenhof des Landhauses, vermutlich wollte man die Herrschaften mit den Rollatoren nicht weiter provozieren. Zunächst redete Kurz, ein bisschen über die Zusammenarbeit in der Wirtschaft, die man ausbauen wolle ("30 Milliarden Volumen im Jahr, nach den USA ist Bayern unser wichtigster Wirtschaftspartner"), mehr aber über die Migration.

Dann sprach Söder, der am 4. Oktober bei der Landtagswahl für die CSU gut 48 Prozent und eine absolute Mehrheit zu verteidigen hat, den Kurz-Wahlkampf als Weg zum Erfolg sieht und ihn nun mehr oder weniger 1:1 kopiert. Naheliegend, dass er nach Wirtschaft ("Start-ups zusammenbringen") und Transit ("Dialog vereinbart"), recht rasch zu den drei Themen des Tages zurückkehrte. 2015 dürfe sich nicht wiederholen, sagte er, man müsse "Entschlossenheit gegenüber der Bevölkerung zeigen". Er redete von Schutz der Außengrenzen und "Schutzzonen in Afrika". Das neue Kindergeldsystem von Österreich (weniger ins Ausland schicken) will er in Deutschland übernehmen. Kurz war so einer Meinung mit ihm, dass sein ganzer Körper nickte.

Dann war Schluss. Die Bayern schlüpften in ihre schwarzen Limos ohne Herrgottswinkel, die Österreicher fuhren zum Bahnhof. Im Bus machte eine TV-Reporterin noch schnell ein Selfie mit Kurz. Am Bahnsteig stürmte sie dann auf Umweltministerin Elisabeth Köstinger zu. "Ich wollte mich nur einmal vorstellen", rief sie, sagte ihren Namen, in der Hand ein Mikro mit einem Windschutz, der aussah wie ein riesiger Staubwedel. "Ah", antwortete Köstinger und sah zum Mikro, "sie sind das. Ihr Fell ist mir schon aufgefallen". Wenn ein Mann das gesagt hätte, in der Sekunde hätte sich ein halbes Dutzend Polizisten auf den Sexisten gestürzt.

Die Achse der Chilligen

So aber verschwanden alle, ohne weitere Konsequenzen, im Zug, der um 15.30 Uhr in Wien ankam. Man verabschiedete sich per Handschlag, um sich keine vier Stunden später im Palais Schönburg in Wien-Wieden erneut zur Begrüßung die Hand zu geben - Kanzlerfest, das erste seit 2015. Da hieß der Regierungschef noch Werner Faymann. Sein Nachfolger, Christian Kern, hatte im ersten Jahr keine Lust auf ein Fest, im zweiten keine Zeit, im dritten war er nicht mehr Amt und ein Kanzlerfest von ihm hätte sich deshalb reichlich seltsam gemacht.

1.000 Gäste waren geladen, es waren wohl ein paar mehr da, die Achse der Chilligen halt. Neben dem Gutbürger und dem Wutbürger kennt man ja in Österreich ja auch den Salutbürger, der zu jedweder Ehrenbezeugung antritt, egal wer gerade die Regierung führt. Und so fanden sich nicht wenige unter den Gästen wieder, die vor drei Jahren schon durchs Gartenpalais Altmannsdorf geschlendert waren und Faymann fröhlich zugeprostet hatten.

Man lebt schließlich nur einmal und das oft gar nicht schlecht.