Politik

"Ned schiach": Mikl ging Kanzler Kurz an die Wadln

Sebastian Kurz wagte Sonntag am Schneeberg (NÖ) eine Erstbesteigung als Kanzler. Ohne Sauerstoffgerät. Dafür mit Mikl-Leitner. Und wie!

Heute Redaktion
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Als Johanna Mikl-Leitner noch im Innenministerium in Wien wirkte, konnte man sie gut riechen. Wer das Haus von der Herrengasse aus betrat und an den Zugangsschleusen vorbei war, erschnupperte die erste Prise Zigarettenduft, der Rauch wurde stärker und stärker je mehr Stiegen man in den ersten Stock nahm, und intensiv, sobald man in ihrem Vorzimmer landete.

Mikl-Leitner saß meist im hinteren Teil ihres langgezogenen Büros und wenn man bei der Tür hereinkam, dann packte sie mit einer fast unsichtbaren Handbewegung den Glasaschenbecher, stellte ihn in die oberste Schreibtischschublade links von sich und zog diese zu. Sekundenschnell alle Spuren beseitigt, als Chefin der Polizei, Respekt. Wenn man sie dann fragte, ob sie gerade gepofelt habe, dann setzte sie das Lächeln eines Schulmädchens auf, das am Weg aus dem Raucherklo in einen Lehrer gelaufen ist, und antwortete unter Aufbietung aller ihr innenwohnenden Überzeugungskraft mit – „Nein".

Und gestern dann das: Mikl-Leitner, nunmehr Landeshauptfrau in Niederösterreich, steht da am Fuße des Schneebergs, in knallroten Wanderschuhen, einer rotkarierten Bluse und zwischendrin einer Krachledernen, die ihr bis knapp über das Knie reicht. Sie sieht aus wie Heidi und der Ziegenpeter neben ihr, im Brotberuf Bundeskanzler der Republik, kommt aus dem Staunen kaum mehr heraus.

Nix mit Sessellift, wie beim steirischen Amtskollegen Hermann Schützenhöfer vor zwei Wochen am Schöckl. 90 Minuten braucht Mikl-Leitner, um oben zu sein am Fadensattel. Sie nimmt den Berg wie eine Gämse, atmet flach, schwitzt nicht, hängt sogar den Ziegenpeter ab. Draußen vor der Edelweißhütte spielt die Blasmusik, drinnen setzt Mikl-Leitner wieder das Schulmädchengesicht auf. "Ich, den Sessellift nehmen? Die Frage ist ja fast eine Beleidigung".

"Für mich ist jede Streck neu"

Aber vielleicht beginnen wir besser mit dem Anfang. Sonntag, Talstation Fadensattel, 9 Uhr. Ex-Ö3-Mann Peter L. Eppinger, der immer sofort alles sagt, was er sich denkt und manchmal sogar ein bisschen mehr, startet als Einpeitscher. Es ist die zweite Station der "Bergauf, Österreich"-Tour von Sebastian Kurz. Er hat den Schneeberg dafür gewählt, Werner Faymann war zuletzt als Kanzler 2013 hier, ging nicht ganz dieselbe Route, aber fast. Die Berichterstattung darüber war durchwegs wohlwollend, wie auch schon bei den Wanderausflügen von Schüssel oder Gusenbauer. Kurz wurde schon für die Tour in der Steiermark durchgeschöckelt.

Für den aktuellen Regierungschef ist es mutmaßlich eine Erstbesteigung, noch dazu ohne Sauerstoffgerät, aber so genau weiß man das auch wieder nicht. "Ich habe eine so schlechte Orientierung, dass für mich jede Strecke neu ist", gibt Kurz zu. Politisch werten wollen wir das jetzt einmal nicht, aber was gesagt werden kann ist, dass der Kanzler unterwegs zu keiner Zeit kurzatmig wurde, wenn der Kalauer erlaubt ist. Wer freilich bei den Aussagen eines Vilimsky oder Waldhäusl nicht ins Hyperventilieren kommt, schafft wohl auch eine Alpenüberquerung ohne zweite Luft.

Keiner muss Hunger leiden

Am Eingang werden Proviantsackerl ausgegeben, am Ende werden es über 1.000 sein. Eine Wurstsemmel ist drin, Bons für Verpflegung auf der Bergstation, eine Wanderkarte - und türkise Schuhbänder. T-Shirts mit dem Aufdruck "Bergauf Österreich" gibt es gratis dazu. Ums Eck werden Kaffee und Bananenkuchen verteilt, ebenfalls kostenlos. Hunger wird an diesem Tag jedenfalls keiner leiden, soviel ist sicher.

Hinten auf einer Wiese, auf der sonst Kühe ihr Alltagsgeschäft verrichten, hat nun ein Handvoll Menschen Aufstellung genommen, jeder Einzelne hält einen riesigen Buchstaben hoch, schließlich ist das Wort "Bergauf" zu lesen, jedenfalls an dieser Stelle. Als es weiter bergwärts geht, wandern die Buchstaben mit, geraten aber immer wieder durcheinander. Einmal liest man "Bergfau", dann "Bregauf", dann steht das "g" falsch herum. Manchmal geraten Messages eben außer Control.

Jetzt im Tal herunten aber ist - warum auch immer - das "u" besonders fröhlich und tanzt zur Musik der Rockgruppe, die Eppingers Ausführungen ummantelt. Der redet auch sehr viel über Veränderung, während er mehrere Viertelstunden lang ankündigt, dass Sebastian Kurz und "unsere Hanni Mikl-Leitner" in der nächsten Viertelstunde ankommen werden.

150 Euro müssen reichen

Dann sind Kurz und "unsere Hanni Mikl-Leitner" tatsächlich da. Es ist 10.31 Uhr, inzwischen sind etwa 1.500 Menschen zur Talstation Fadensattel gekommen, um mit ihrer Bewegung Bewegung zu machen, nicht wenige haben sich dafür verkleidet als hätten sie eben eine Tiroler Almhütte gepachtet. Vielleicht aber wollten sie es auch nur noch einmal so richtig krachen lassen, ehe sie mit 150 Euro im Monat auskommen müssen, wie es ihnen diese Woche Gesundheitsministerin Beate Hartinger klein-klein erklärt hat.

Kurz trägt Wanderhose, ein blaues Leiberl mit Neigung ins Türkise, seine Wanderschuhe sind leicht angestaubt, das Profil aber sieht aus als hätte er es mit Wattestäbchen gereinigt. Unserereins trägt ja Bock, die schon im Matsch waren, aus Sumpflöchern gezogen wurden und auf die schon mindestens ein Eichelhäher geschissen hat. Kurz könnte mit seinen Schuhen in die Staatsoper gehen. Im Sommer spielt es da ja auch hin und wieder Rock.

Es ist jedenfalls die Stunde von Johanna Mikl-Leitner. Würde Andy Borg noch den "Musikantenstadl" moderieren, spätestens jetzt müsste er um seinen Job bangen. "Die Hanni in Lederhosen, das ist für mich eine Premiere", sagt Kurz ins Mikro. Mehr hat er nicht gebraucht. Das nächste Mal kommt er auch in Lederhosen, ordnet Mikl-Leitner , die ja ein eher mütterliches Verhältnis zum Kanzler hat, gleich einmal öffentlich an, dreht sich zum Publikum und sagt: "So schiach sind seine Wadln nämlich ned".

Woher sie das weiß, danach haben diese Mainstreamjournalisten an diesem Sonntag natürlich wieder nicht gefragt.

Mikl auf Häupls Spuren

Neben Ziegenpeter wirkt Heidi wie ein Duracellhase. Der Kanzler ist erst um 4 Uhr früh aus Salzburg gekommen, hat in einer Pension in der Nähe nur ein paar Stunden geschlafen. "Gemmas an", feuert Mikl-Leitner das Publikum an, "wer hat seine Wadln g'schmiert?" Das Echo enttäuscht. "Nur so wenige?" Egal. 'Wo san die Kameras?" ruft sie. Fotografen und TV-Stationen eilen herbei, sogar die ARD lässt sich dieses eopchale Ereignis im südlichen Niederösterreich nicht entgehen, die österreichischen Sender sind sowieso alle da. Worauf sie sich in der Bergstation am meisten freue, fragt Eppinger seine persönliche Heidi. "Auf einen Spritzer", antwortet sie. Das Erbe Michael Häupls ist seit Sonntag gesichert, soviel steht fest.

Dann geht es tatsächlich los. Wie ein Bienenschwarm setzen sich alle in Bewegung. Die nächsten eineinhalb Stunden wird dieser Schwarm manchmal länger, manchmal breiter, nie weniger. Alle umsummen den Kanzler und die Landeschefin, nach 10 Metern gerät das Gebilde das erste Mal ins Stocken - TV-Interviews. Nach weiteren 50 Metern stoppen Selfie-Anfragen in Serie die Königsbiene und ihren Begleiter und so geht das weiter bis nach ganz oben.

Noch ehe die erste Wiese überwunden ist, taucht eine kleine Gruppe aus Attac-Demonstrantinnen auf, verkleidet in Dirndln. Eine Aktivistin lupft ihre Schürze, ein Protestzeichen gegen den 12-Stunden-Tag kommt zum Vorschein. Kurz passiert die Österreich-Version von "Femen" ohne nennenswerten Dialog. Selbes Thema, andere Gruppe: Weiter oben am Berg brüllt eine Abordnung der "Jungen Sozialisten" ebenfalls gegen die 60-Stunden-Woche an. Kurz unterhält sich kurz mit einer Demonstrantin. Man kennt sich schließlich vom Zug nach Linz (hier nachlesen). Die message control funktioniert an diesem Sonntag echt nicht toll.

"Wie in der Milka-Werbung"

Es ist trotzdem ein Traumtag. Die niederösterreichische ÖVP, die dank Erwin Pröll message control schon kannte, als Sebastian Kurz noch hinter einer Kommunionskerze in die Kirche ging, spendiert den besten Sonnenschein, der für Gebete zu bekommen war. Es ist so kitschig schön, sogar den Himmel haben sie türkis angemalt. Jeden Augenblick rechnet man damit, dass Andreas Gabalier aus dem Wald tritt, mit einem Korb Steinpilze in der Hand und die Holzscheitl-Strophe aus „Vergiss mein nicht" singt, unten spritzt der Morgentau der Schwarzbeerstauden gegen seine steirischen Wadeln (die Heidi Mikl-Leitner wohl ebenfalls entzücken würden). „Tradition leben, mit der Zeit gehen, so wie`s früher in der Milka-Tender-Werbung war".

Von oben kommt die Trappfamilie und sie schnappt sich den Pilzkorb und läuft rauf auf die Hütte und wenn der Kanzler ankommt, dann sind die Pilze schon eingekocht und werden serviert in Rahmsauce und mit türkisen Serviettenknödeln. Rosi Schipflinger singt und Toni Faber segnet alles und jeden und Claudia Stöckl ist zufällig da und Niki Lauda, der ja überall zu früh sein will, knurrt: „Fahr man dann"? Nur Sherpa Tenzing Blümel fehlt. Vermutlich traut er sich nicht mehr hinaus aus Wien. Es könnten ja jederzeit Wahlen stattfinden.

Nichts dergleichen passiert natürlich wirklich. Der Bienenschwarm surrt über Serpentinen durch ein Waldstück nach oben, landet dann auf einer Hochebene, inzwischen muss die 500-Selfie-Grenze durchstoßen worden sein. Vor dem Almreserlhaus beginnt eine Kapelle zu spielen, vor der Edelweißhütte, nur 300 Meter entfernt, nehmen die Buchstaben wieder Haltung an.

Kurz und Mikl-Leitner überwinden die letzte Steigung. Es geht vorbei an einer Kuhweide, viele Hunde sind bei der Wanderschaft dabei, nur Schafe sieht man keine. Die können doch nicht alle beim Schächten sein?

Wie Sex im Flugzeug

Heidi und ihr Ziegenpeter haben inzwischen die Buchstaben erreicht, posieren für Fotos. "Nehmt's bitte die Hunde an die Leine, sonst bekomme ich morgen wieder Beschwerdemails, dass die auf der Alm frei herumlaufen", ruft Mikl-Leitner. Da hat sich Kurz schon umgedreht und liebkost einen Dackel. TV-Sender und Fotografen stürzen sich auf das Motiv. Der Beruf ist manchmal schon ein Hund.

Auf der Edelweißhütte gibt es belegte Brote, links im Garten macht Heidi Selfies, rechts der Ziegenpeter, in der Mitte spielen wieder die Musikanten. Noch in der Nacht werden die Fotos auf Facebook und Instagram hochgeladen, für die Politik ist solche Werbung unbezahlbar - und noch dazu gratis.

Dann ist Schluss. Erst fährt Mikl-Leitner, dann Kurz mit dem Sessellift talwärts, nach unten geht es ja meisten schneller, aber auch das wollen wir politisch nicht deuten. Beide stellen sich jedenfalls artig in der Schlange vor dem Lift an, wer immer Economy reist, kennt das ja gut.

Und ich? Mit Kurz auf einer Schneeberg-Erstbesteigung, was soll jetzt noch kommen in meinem Leben? Wobei: Vielleicht fahre ich nächste Woche nach Sattledt. Einmal 140 km/h fahren auf einer Autobahn in Österreich - fast so geil wie Sex im Flugzeug. Und beinahe so unnütz.