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"Letzte Generation" nun sogar kriminelle Vereinigung?

Großeinsatz der Polizei und Razzien gegen Klima-Kleber: Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Rund 170 Beamte durchsuchten am 24. Mai 2023 zahlreiche Wohnungen und Geschäftsräume der Mitglieder der "Letzten Generation" in sieben Bundesländern.
Rund 170 Beamte durchsuchten am 24. Mai 2023 zahlreiche Wohnungen und Geschäftsräume der Mitglieder der "Letzten Generation" in sieben Bundesländern.
REUTERS

Der Konflikt um die "Letzte Generation" verschärft sich zusehends: Die deutsche Justiz wirft der Klimaschutzgruppe die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor und ließ am Mittwochmorgen bundesweit Wohnungen von Aktivistinnen und Aktivisten durchsuchen. Die Gruppe zeigte sich von der Razzia "hart getroffen", auch in der Politik stießen die Durchsuchungen auf ein geteiltes Echo. Vor allem steht die Frage im Raum: Ist die "Letzte Generation" tatsächlich eine "kriminelle Vereinigung"?

Wann handelt es sich bei einer Organisation um eine sogenannte kriminelle Vereinigung?

Um eine kriminelle Vereinigung darzustellen, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein: Im Artikel 129 des deutschen Strafgesetzbuchs heißt es, dass eine kriminelle Vereinigung unter anderem auf längere Dauer angelegt sein, festgelegte Rollen für die Mitglieder haben und ein Zusammenschluss von mehr als zwei Personen sein muss, die ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgen.

Inwiefern erfüllt die "Letzte Generation" diese Bedingungen?

Bei der "Letzten Generation" wäre ein gemeinsames Interesse etwa der Klimaschutz, erklärt die Hamburger Rechtswissenschaftlerin Judith Papenfuß gegenüber "MDR Aktuell". Doch die Organisation muss zudem "darauf ausgerichtet sein, Straftaten zu begehen", meint die Anwältin. Da es gegen die Klimaaktivisten in der Vergangenheit Verurteilungen wegen Nötigung im Straßenverkehr, Sachbeschädigung oder Störung öffentlicher Betriebe gab, "ist das ebenfalls gegeben", so Papenfuß.

Hat die Generalstaatsanwaltschaft München also richtig gehandelt?

Jein, meint die Hamburger Anwältin. Zusammen mit ihrem Professor Milan Kuhli kommt sie zu dem Urteil, dass die «Letzte Generation» – noch – keine kriminelle Vereinigung im Sinne des deutschen Strafrechts ist: "Vielmehr geht es meiner Ansicht nach darum, sich zu fragen, was soll die Norm denn eigentlich schützen? Sie soll vor allem die öffentliche Ordnung und den inneren Frieden schützen."

Laut Papenfuß sind diese in Gefahr, wenn grundlegende Rechtsgüter wie Leib, Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung gefährdet wären. Zwar ärgere sich die Bevölkerung, wenn es Straßenblockaden gibt, "das ist aber alles noch so weit weg von einer Bedrohung des inneren Friedens in der Gesellschaft, die ein Ausmaß annimmt, dass die Bejahung des §129 StGB aus meiner Sicht irgendwie zu rechtfertigen wäre", zitiert MDR die Expertin.

Wie gingen die Ermittler bei der Razzia vor?

Laut der Sprecherin der "Letzten Generation", Carla Hinrichs, seien die Beamten bei der Durchsuchung ihrer Wohnung brutal vorgegangen. 25 Ermittler und Ermittlerinnen brachen laut Hinrichs ihre Tür auf und stürmten "mit gezogener Waffe" in ihr Zimmer, in welchem sie noch im Bett gelegen habe. Hinrichs zählt zu den drei Hauptbeschuldigten der Generalstaatsanwaltschaft München.

Aimée van Baalen, Sprecherin der "Letzten Generation", sagt gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Stern", dass "die Durchsuchungen uns Angst machen". Die Ereignisse hätten jedoch keine direkten Auswirkungen auf die geplanten Protestmärsche in mehreren deutschen Großstädten. Man müsse "jetzt erst recht" in den zivilen Widerstand gehen, so die Sprecherin.

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    Gegen die Beschuldigten wird wegen des Tatvorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
    Gegen die Beschuldigten wird wegen des Tatvorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
    Paul Zinken / dpa / picturedesk.com
    Was wirft die Justiz den Klimaschützern konkret vor?

    Die Generalstaatsanwaltschaft legt den Aktivistinnen und Aktivisten konkret zur Last, eine Spendenkampagne zur Finanzierung "weiterer Straftaten" für die "Letzte Generation" organisiert und diese über deren Homepage beworben zu haben. Dadurch hätten sie mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt. Zwei Beschuldigte sollen zudem im April 2022 versucht haben, die Ölpipeline zwischen Triest und Ingolstadt zu sabotieren.