Politik

Lunacek: Ein Prozent Flüchtlinge pro Gemeinde

Heute Redaktion
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Die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek im "Heute"-Interview über E-Autos, Migration, die Grünen als Verbotspartei, ihr Wahlziel und Peter Pilz.

„Heute": Einmal angenommen, die Grünen wären ein Unternehmen: Was unterscheidet sie von ihrer Konkurrenz?

Ulrike Lunacek: Umwelt- und Klimapolitik, die tatsächlich für die kommenden Generationen die Zukunft aller sichert. Lebensmittelsicherheit, Stichwort Fipronil in Eiern, hier braucht es eine Kennzeichnungspflicht in der Gastronomie, damit der Gast weiß, woher etwa das Ei im Salat kommt. Wir Grünen haben bei diesen Themen ein Alleinstellungsmerkmal, das auch die Bevölkerung zu schätzen weiß.

Wird das auch auf den Wahlplakaten stehen?

Lunacek: Umwelt- und Klimapolitik, die tatsächlich für die kommenden Generationen die Zukunft aller sichert. Lebensmittelsicherheit, Stichwort Fipronil in Eiern, hier braucht es eine Kennzeichnungspflicht in der Gastronomie, damit der Gast weiß, woher etwa das Ei im Salat kommt. Wir Grünen haben bei diesen Themen ein Alleinstellungsmerkmal, das auch die Bevölkerung zu schätzen weiß.

Bei einem Unternehmen gibt es einen CEO, bei den Grünen gibt es drei.

Lunacek: Auch in Unternehmen ist es mittlerweile oft so, dass sie sich die Arbeitsbereiche aufteilen. Ich halte das in Zeiten von Überbelastung und Burnout sehr wohl für sinnvoll, hier als Vorbild voranzugehen. Und wir haben uns in dieser Phase bewusst dazu entschlossen.

Sie sehen das nicht als Problem, dass in der Wahrnehmung der Wähler plötzlich mehrere „Chefs" in der Öffentlichkeit stehen, etwa beim ORF?

Lunacek: Im Wahlkampf bin ich die Spitzenkandidatin. Ingrid Felipe ist die Bundessprecherin. Sie managt die Partei. Der ORF hat die Parteichefs eingeladen, daher kam die Bundessprecherin und nicht die Spitzenkandidatin zum Sommergespräch. Ich wäre freilich auch gerne hingegangen.

Ulrike Lunacek zur Mietzinsobergrenze

Das heißt, Sie haben es versucht?

Lunacek: Klar haben wir das, logisch. Die nächsten Wochen werde ich als Grüne Spitzenkandidatin im Vordergrund stehen. Auf Plakaten, in der Kampagne und wie jetzt bei meiner Tour quer durch Österreich. Ich bin sehr froh, dass Ingrid Felipe mir im Hintergrund den Rücken freihält.

Im Sommergesprächen hat Ingrid Felipe indirekt das Heer in Frage gestellt. Sie hat gesagt, sie ist gegen die Wehrpflicht, aber auch nicht für ein Berufsheer. Sind Sie auch für die Abschaffung des Bundesheeres?

Lunacek: Für die Abschaffung der Wehrpflicht, ja. Das ist schon sehr lange grüne Meinung. Vor allem wollen wir nicht, solange es die Wehrpflicht noch gibt, dass österreichische Rekruten bei Grenzeinsätzen eingesetzt werden.

Sind Sie auch gegen ein Berufsheer?

Lunacek: Da bin ich nicht für eine Abschaffung, sondern für eine professionelle Ausbildung für Auslandseinsätze, wo sich Österreich auch nach dem Prinzip der Neutralität an friedenserhaltenden Maßnahmen mit UN-Mandat beteiligen kann.

Sie haben dafür plädiert, ab 2030 nur mehr E-Autos zuzulassen. Ihr grüner Parteikollege Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat gesagt, das ist Schwachsinn. Was stimmt?

Lunacek: Langsam. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat sich jetzt dafür ausgesprochen. Herr Kretschmann ist sehr wohl der Meinung, dass man aus den fossilen Brennstoffen aussteigen muss. Die Frage ist wie und in welchem Zeitraum. Wir treten nicht dafür ein, dass man morgen aussteigt und auch keine Autos mehr fahren soll. Das wäre absurd. Aber: Österreich und Deutschland haben das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet. Das sieht vor, dass bis 2050 keine fossilen Brennstoffe mehr verwendet werden. Insofern muss man jetzt damit anfangen. Das sind wir den nächsten Generationen schuldig. Den Klimawandel, den wir jetzt erleben, erkennt jedes Kind. Auch wenn Herr Trump, diesen leugnet, sowie auch übrigens Österreichs Austro-Trump Strache, oder gar Herrn Taschner, der jetzt für die Kurz-ÖVP in den Nationalrat kommen soll. Wir Grüne sind diejenigen, die sagen, wir brauchen dringend Klimaschutzmaßnahmen.

Ulrike Lunacek fordert die Klimamilliarde

Wie viel soll Diesel kosten?

Lunacek: Die Subventionierung von fossilen Brennstoffen durch Steuergeld muss gestoppt werden. Österreich gibt für diese Subventionierung vier Milliarden Euro pro Jahr aus. Das Dieselprivileg – also etwa ein Euro weniger Steuer als auf Benzin – gehört beendet. Gleichzeitig auch die Subventionierung von Ölkesseln. Hier braucht es Umstiegsprogramme. Dieses Geld kann für Klimaschutz eingesetzt werden, für erneuerbare Energien. Auch für private Haushalte. Das bringt dann auch dem Geldbörsel was.

Muss man sich vor den Grünen fürchten?

Lunacek: Angst ist etwas, das man nie anstreben sollte. Wir arbeiten an Lösungen für alle in diesem Land. Das zeigen wir bereits in sechs Landesregierungen. In Oberösterreich hieß es am Anfang auch: Oje, die Grünen in der Regierung. Da haben Rudi Anschober und sein grünes Team hervorragende Arbeit geleistet. Wie auch in Tirol, in Vorarlberg, Kärnten, Salzburg oder in Wien, Stichwort 365-Euro-Ticket, jeden Tag an Lösungen gearbeitet wird.

Ich habe auf das Image der Grünen als Verbotspartei angespielt.

Lunacek: Es geht uns Grünen allein um Regelungen, die für die Allgemeinheit am besten sind. Wir brauchen Lösungen, die der Großteil der Bevölkerung gutheißt. Mittlerweile ist das auch beim Rauchverbot so. Da ist der Großteil – vor allem Kellnerinnen und Kellner heute froh darüber. Auch viele Raucher haben das mittlerweile akzeptiert. Insofern: Nein, Verbote nicht mit mir. Aber sinnvolle Regelungen.

Wird das Thema Asyl wahlentscheidend oder –prägend?

Lunacek: Ich glaube nicht mehr, dass es das Hauptthema sein wird. Wir wissen, dass in Europa weniger Flüchtlinge ankommen, in Österreich Asylanträge immer weniger werden. Insofern ist es zwar Thema für uns Grüne, weil wir nachhaltige Lösungen wollen, die kein Chaos mehr produzieren. Das heißt erstens: legaler Zugang durch Botschafts-Asyl, das man bei den österreichischen und EU-Botschaften in allen Teilen der Welt beantragen kann. Und vor allem Fluchtursachen bekämpfen. Zweitens: Keine Waffenlieferungen an kriegsführende Länder. Österreich hat im Vorjahr 30.000 Kleinwaffen nach Saudi-Arabien geliefert, das mit Jemen im Krieg ist. Krieg produziert Flüchtlinge. Drittens brauchen wir faire Handelsbeziehungen. Wenn wir hochsubventionierte Agrarprodukte aus der EU nach Westafrika exportieren und die lokalen Märkte kaputtmachen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn sich Menschen dort auf die Flucht machen.

Die Grünen sagen, die Schließung der Balkanroute in dieser Form war ein Fehler.

Lunacek: Für einen österreichischen Außenminister war es ein völliges Fehlverhalten, diese Initiative zu setzen, ohne das mit den europäischen Partnern, also Griechenland, Deutschland und die EU-Kommission, zu planen, sondern nur mit den Ländern des Westbalkans. Das geht nicht. Österreich muss ein verlässlicher Partner in der EU sein.

Viele werden sagen: Hätte er das gemacht, würde er heute noch verhandeln.

Lunacek: Das stimmt sicher nicht. Wir haben gesehen, dass auch die Schlepper immer gefährlichere Routen nehmen. Wir haben auch an der Grenze in Idomeni gesehen, wie dort Frauen und Kinder im Schlamm gelegen sind. Das ist keine sinnvolle Lösung, wie ich sie mir vorstelle. Der legale Zugang durch Botschaftsasyl würde mehr Planbarkeit für alle bringen. Für die Menschen, die flüchten wollen, und für die Regierungen und für alle NGOs.

Angela Merkel hat gesagt: Europa verkraftet doppelt so viele Migranten. Finden Sie das auch?

Lunacek: Österreich braucht aufgrund unserer Alters- und Bevölkerungsstruktur geordnete Zuwanderung. Das EU-Parlament hat die EU-Kommission schon oft aufgefordert, ein europäisches Migrationskonzept vorzustellen. Die Kommission hat das auch gemacht. Gescheitert ist es an den jeweiligen Staats-Regierungen.

Ist das nicht irrsinnig frustrierend zu sehen, dass sich die EU-Institutionen so rasch bewegen wie Schildkröten?

Lunacek: Das muss man den nationalen Regierungen vorwerfen. Eines der Grundprobleme an der EU-Struktur ist, dass die Regierungen Gesetzgeber und Exekutive gleichzeitig sind. Wer macht sich schon Gesetze, die er selber nicht umsetzen will? Wenn man will, dass auch die anderen Mitgliedsländer Flüchtlinge aufnehmen, wäre eine Variante: Die großen Parteien – Volkspartei und Sozialdemokratie – holen sich ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus den Ländern, wo es schwierig ist, und zeigen ihnen die Positivbeispiele, die es etwa in Österreich gibt. Und sagen: Jede Gemeinde nimmt maximal ein Prozent der Bevölkerungszahl an Flüchtlingen auf. Bei 1.000 Einwohnern wären das zehn Flüchtlinge. Das geht. Da gibt es viele Beispiele dafür. Wir haben als Grüne leider nicht so viele Bürgermeister, wie wir gerne hätten. Aber da sehe ich schon Versagen auf Seiten der Regierung. Immer nur zu sagen, die EU macht nicht: Die EU sind wir.

Die Grünen werden in der Bevölkerung als „Refugees Welcome"-Partei wahrgenommen. Sehen Sie das auch so?

Lunacek: Viele Grüne waren und sind ein Teil der vielzitierten Zivilgesellschaft, die geholfen haben und heute noch helfen. Wenn Menschen auf der Flucht da sind, muss man helfen, klar. Aber wir Grünen sind eben nicht für unbegrenzte Zuwanderung. Es braucht ein gutes, planbares Management, das wir seit Jahren einfordern. Niemand von uns hält es für sinnvoll, dass Menschen Schleppern ihr ganzen Vermögen zahlen, um auf überfüllte, nicht seetaugliche Boote zu gelangen.

Kein unbegrenzter Zugang: Das inkludiert auch Grenzkontrollen.

Lunacek: Na klar gehören die EU-Außengrenzen kontrolliert. Es ist auch klar, dass Menschen, bei denen sicher ist, dass sie keinen Asylgrund haben, auch nicht kommen können.

Ein paar Fragen, die man mit „ja", „nein", „will ich", „will ich nicht" beantworten kann: Erbschaftssteuer?

Lunacek: Ja, mit 500.000 Euro Freigrenze, dann gestaffelt.

Frauenquoten? Und bei Nichterfüllung Sanktionen?

Lunacek: Quoten sowieso, schon längst. In privaten und öffentlichen Unternehmen. Sinnvoller als Sanktionen wären Anreize, etwa: Wirtschaftsförderung nur, wenn es Frauenförderpläne gibt.

Klimasteuer?

Lunacek: Was wir auf jeden Fall wollen, ist Besteuerung von Flugzeug- und Schiffstreibstoff. Dann würde Transport auch für Güter teurer kommen. Das würde Kostenwahrheit heißen.

30 Stunden Anwesenheit von Lehrern an der Schule?

Lunacek: Wichtig ist mir, dass Lehrerinnen und Lehrer in den Konferenzräumen auch einen echten Arbeitsplatz haben. Gerade an Ganztagsschulen ist dies notwendig. Es braucht dafür die geeignete Struktur dafür.

Ministerin werden?

Lunacek: Wie alle Grünen - nicht um jeden Preis. Aber: Die meisten Grün-Wählerinnen und -Wähler hätten uns gerne in einer Regierung. Mein Ziel: Wenn sich eine Mehrheit ausgeht, dann wird auch verhandelt.

Mit Peter Pilz auf einen Kaffee?

Lunacek: Momentan nicht. (lacht)

Einen E-Bus mit mehr als 170 Kilometern Reichweite?

Lunacek: Ja, bitte! Da braucht es aber bitte auch die E-Tankstellen dazu, sonst geht sich?s nicht aus.

Sie würden bei den Wahlen gerne zweistellig werden. In etwa so wie beim letzten Mal?

Lunacek: Zweistellig ist auf jeden Fall mein Ziel.

Das böse Gerücht, jetzt ist einmal Wahl und dann sind Sie wieder weg?

Lunacek: Ich gehe, wenn Grün nicht in der Regierung ist, in den Nationalrat. Ich habe derzeit noch einige Themen im Europaparlament, die ich gerne fertigmachen will. Daher werde ich auch noch einige Male in Brüssel und Straßburg sein. Aber vieles geht ja heute auch übers Telefon und Skype. Feststeht, ich werde mein EU-Mandat nach der Wahl zurücklegen.

(bob)

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