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Massenproteste gegen Putin in Moskau

Heute Redaktion
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Aufmarsch gegen Wladimir Putin: Aus Protest gegen den Präsidenten sind in Moskau Zehntausende Regierungsgegner auf die Straße gegangen. Es war die erste große Aktion der Opposition, seit ein verschärftes Versammlungsgesetz gilt. Es sieht drastische Geldstrafen für Verstöße gegen das Demonstrationsrecht vor. Putin zeigte sich von den neuen Massenprotesten gegen ihn demonstrativ unbeeindruckt.

Aufmarsch gegen Wladimir Putin: Aus Protest gegen den Präsidenten sind in Moskau Zehntausende Regierungsgegner auf die Straße gegangen. Es war die erste große Aktion der Opposition, seit ein verschärftes Versammlungsgesetz gilt. Es sieht drastische Geldstrafen für Verstöße gegen das Demonstrationsrecht vor. Putin zeigte sich von den neuen Massenprotesten gegen ihn demonstrativ unbeeindruckt.

Der Protestmarsch auf einer Ringstraße im Zentrum der Hauptstadt verlief am Dienstag zunächst friedlich, wie ein Reporter berichtete. "Putin, hau ab", rief die Menge immer wieder. Mehr als 12.000 Polizisten und Beamte des Innenministeriums waren an dem Nationalfeiertag nach offiziellen Angaben in der Hauptstadt im Einsatz. Im Stadtzentrum sperrten Einsatzwagen der Sicherheitsbehörden ganze Straßenzüge ab.

Opposition warnt vor Polizeistaat

Der vor gut einem Monat in den Kreml zurückgekehrte Putin hat nach den Worten seiner Kritiker die Daumenschrauben gegen die Opposition zuletzt stark angezogen. Bürgerrechtler bezeichneten das neue Versammlungsgesetz als Schritt in den Polizeistaat. Putins Wahl am 4. März war - wie die Dumawahl im Dezember - von Fälschungsvorwürfen überschattet.

50.000 Menschen auf der Straße

Trotz gewittrigen Wetters beteiligten sich nach Angaben der Organisatoren etwa 50.000 Menschen an der Aktion unter dem Motto "Tag Russlands. Ohne Putin". So viele Teilnehmer hatten die Behörden für den Marsch und die im Anschluss geplanten Kundgebung genehmigt.

Die Polizei sprach von etwa 15.000 Demonstranten, der Chef der Linken Front, Sergej Udalzow, hingegen von 100.000 Menschen. Letzterer ignorierte die Vorladung der Polizei und marschierte an der Spitze von Anhängern, die rote Fahnen schwenkten und in Sprechchören "Putin ins Gefängnis" und "Alle Macht dem Volk" riefen.

Mittelschicht fordert Mitsprache

Unter den Demonstranten waren auch Angehörige der Mittelschicht, die in den Jahren des vom Ölexport getriebenen Booms zu Wohlstand gekommen waren und die nun politische Mitsprache fordern. Zudem befürchten sie, dass die russische Wirtschaft in Putins dritter Amtszeit stagnieren könnte.

"Manifest Freies Russland"

Die Opposition will bei dem sogenannten zweiten "Marsch der Million" - die erste Großdemo war am Vorabend von Putins Vereidigung Anfang Mai - das "Manifest Freies Russland" verlautbaren und annehmen und sich auf ein Referendum zur Frage der Auflösung der Moskauer Stadtduma vorbereiten, wie die russische Agentur Ria Novosti berichtete.

Die Verfasser fordern demnach, "die Mechanismen der Volksmacht, darunter ein echtes Parlament, eine von der Gesellschaft kontrollierte Exekutivmacht sowie das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Rechtsschutzorgane wieder herzustellen, die sich nur dem Gesetz unterwerfen".

Fast keine Festnahmen

Führende Köpfe der Opposition wie der Blogger Alexej Nawalny fehlten zum Auftakt der Aktion, da sie zeitgleich zu einer Anhörung vorgeladen waren. Es sei niemand festgenommen worden, sagte der Sprecher der Ermittlungsbehörden, Wladimir Markin.

Die Befragten seien Zeugen in einem Kriminalfall. Menschenrechtler warfen der Behörde vor, sie wolle damit die Teilnahme der Putin-Gegner an der Protestaktion verhindern und andere Demonstranten einschüchtern. Es gehe darum, die Rolle der Oppositionsführer bei einer Anti-Putin-Demonstration am 6. Mai zu klären, verteidigte Markin die Anhörungen im Gespräch mit der Agentur Itar-Tass.

Am Tag vor Putins Amtseinführung waren Proteste in Moskau eskaliert. Es gab zahlreiche Verletzte und Hunderte Festnahmen.

Putin: Alles "inakzeptabel, was die Gesellschaft spaltet"

"Solche hitzigen Diskussionen sind die Norm für ein freies demokratisches Land und das ist der Weg, den unser Volk gewählt hat", sagte Putin am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax. Zugleich warnte Putin aber auch seine Gegner indirekt vor einer schärferen Gangart. "Für uns ist alles inakzeptabel, was dem Land schadet und die Gesellschaft spaltet", sagte der Ex-Geheimdienstchef.

Polizeieinsatz gegen Oppositionspolitiker

Vermummte Einsatzkräfte hatten am Vortag stundenlang die Wohnungen mehrerer prominenter Oppositioneller wie Nawalny und der TV-Moderatorin Xenia Sobtschak durchsucht. Im Internet zeigten die Ermittler Fotos von druckfrischen Euro- und US-Dollar-Scheinen, die angeblich bei Sobtschak sichergestellt wurden.

Es werde geprüft, ob die 30-Jährige Steuern für die insgesamt mehr als eine Million Euro in bar gezahlt habe, sagte Markin. Putin hatte der Opposition wiederholt vorgeworfen, sie werden vom Ausland finanziert.

Regierungskritische Seiten offenbar abgeschaltet

Unterdessen wurden mehrere regierungskritische Internetseiten während der Demonstration am Dienstag offenbar lahmgelegt. Gegen die Homepages des Radiosenders Echo Moskwy sowie des Internet-Fernsehkanals Doschd habe es je eine DDos-Attacke gegeben, teilten die Redaktionen mit.

Bei solchen Angriffen werden Server so lange mit sinnlosen Anfragen überflutet, bis sie zusammenbrechen. Auch die renommierte Oppositionszeitung Nowaja Gaseta war über das Internet vor Beginn der Demonstration nicht mehr zu erreichen.

Diese Internetseiten waren bereits während der umstrittenen Parlamentswahlen im Dezember vorübergehend offline. Oppositionsführer gehen davon aus, dass dafür Cyber-Attacken kremltreuer Jugendgruppen verantwortlich sind.

Drakonische Strafen gegen Demonstranten

Das seit dem 9. Juni geltende neue Versammlungsgesetz in Russland verschärft die Strafen für Verstöße bei Demonstrationen drastisch. Privatpersonen können mit bis zu 300.000 Rubel (rund 7.300 Euro) belangt werden, Organisationen mit bis zu einer Million Rubel.

Bisher lag die Höchststrafe bei 2.000 Rubel. Als Verstöße gelten tätliche Gewalt und Vermummung, aber auch die Behinderung des Straßenverkehrs oder das Betreten von Grünflächen. Nach Ansicht der Befürworter trägt das Gesetz zu Sicherheit und Ordnung im Land bei. Bürgerrechtler kritisieren es hingegen als Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit.

APA/red.