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Metal Gear Solid V: The Phantom Pain im Test

Metal Gear. Zwei Worte, eine Legende. Wer die Serie nicht kennt, hat ein Stück Videospielgeschichte verpasst.

Heute Redaktion
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"Kept you waiting, huh?". So wird der Spieler im Prequel zu The Phantom Pain, Ground Zeroes, von Kriegslegende Big Boss einmal mehr begrüßt. Ein Scherz der Reihe, den Spielern gewidmet, die jeweils Jahre auf einen neuen Metal-Gear-Teil warten mussten. So auch bei den aktuellen Teilen, wobei man eigentlich von "Teil" sprechen muss.

Ground Zeroes, das im Jahr 1975 spielt, ist ein kurzer Prolog zu The Phantom Pain, das im Jahr 1984 angesiedelt ist. Für einen eigenen Titel bietet Ground Zeroes zu wenig Inhalt, die Story ist aber für The Phantom Pain verpflichtend. Gut also, dass die 2014 und 2015 erschienenen Games im Oktober 2016 als "The Definitive Experience" gemeinsam in den Handel kamen.

Was wir gleich vorweg sagen: Um The Phantom Pain storymäßig komplett erfassen zu können, muss man mit dem Handlungsstrang der gesamten Metal-Gear-Reihe vertraut sein. Das ist vielleicht eines der größten Mankos an The Phantom Pain, denn viele Storyelemente sind zwar schön inszeniert, stehen aber in Zusammenhang mit anderen Teilen und erfordern Vorwissen.

Bestes Beispiel ist das Ende, das einen Plot-Twist enthält. Wie bedeutend dieser ist, begreift aber nur, wer das Leben von Big Boss und seine Zukunft in den anderen Spielen kennt. Neulinge mit Zeit sollten sich deshalb die Metal-Gear-Reihe intensiv ansehen.

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Rache als Antrieb

Doch bleiben wir bei Ground Zeroes und The Phantom Pain. Erstmals gibt es ein Metal Gear in einer offenen Welt und trotz aller Bedenken fiel die Umsetzung grandios aus. Einschränken muss man aber, dass die Welt zwar tatsächlich offen und frei begehbar ist, außerhalb der Missionsgebiete aber wenig Abwechslung und Entdeckungen bietet.

Das muss erwähnt werden, ist aber nichts, das uns sonderlich stört. Das Spiel selbst bietet Inhalte, mit denen man sich locker 60 Stunden und mehr beschäftigt - wäre das Drumherum auch noch ausgefüllt, würde man von der Fülle an Inhalten einfach erschlagen werden.

Zur Story ist es schwierig, eine Zusammenfassung zu geben, ohne Wesentliches zu verraten. Wir halten uns zurück: Nachdem Big Boss am Ende von Ground Zeroes, das aus einer einzigen Mission mit mehreren Herausforderungen besteht, in einen Hinterhalt gerät, war das Schicksal des Protagonisten alias Snake und seinen Begleitern ungewiss.

In The Phantom Pain erwacht man als "Venom Snake" nach neunjährigem Koma in einem Krankenhaus in Zypern. Noch während man das Geschehene zu verarbeiten versucht, muss man vor einer Attentäterin, Wesen mit mysteriösen Kräften und schwerbewaffneten Soldaten flüchten. Unser Antrieb: Rache für die Taten in Ground Zeroes.

Großartige Inszenierung

Schon am Beginn fallen zwei Dinge auf, die sich bis zum Ende durchziehen werden: Einerseits setzt The Phantom Pain nicht mehr auf die minutenlangen, cineastischen Zwischensequenzen, sondern mischt spielbare Szenen darunter. Ein Stich ins Herz einiger Metal-Gear-Fans, für uns aber eine konsequente Weiterentwicklung, die sich sehen lassen kann.

Mehr schmerzt da, dass der legendäre "Solid Snake"- und "Big Boss"-Sprecher David Hayter gegen Kiefer Sutherland getauscht wurde. Das wäre verkraftbar, weil Sutherland einen guten Job abliefert, allerdings zeigt sich Venom Snake in The Phantom Pain extremst wortkarg, schweigt lieber als er spricht. Zumindest die Entscheidung zum Stimmen-Wechsel ist durch die Story-Auflösung am Ende gut nachvollziehbar.

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Alleine der - hier noch lineare - Prolog im Krankenhaus ist großartig, vielleicht sogar das beste Stück am ganzen Spiel. Noch immer schwer gezeichnet und geschwächt realisieren wir nur langsam, was um uns herum vorgeht, während feindliche Einheiten die Patientenzahl dezimieren und sich uns scheinbar unverwundbare Überwesen in Form eines Flammenmannes und eines schwebenden Kindes in den Weg stellen.

Nebenher lernt man die Grundlagen der Steuerung anhand von Texteinblendungen. Kniffe, die man später auswendig können muss. Ein Geheimnis wird es nicht sein: Wir überleben das Massaker knapp und haben nur eines im Sinn: Ein neues Team, die Diamond Dogs, aufbauen, vertreute Kameraden retten und mithilfe unserer neuen bionischen Armprothese Rache an unseren feinden zu nehmen. Unser Rachefeldzug wird uns nach Afghanistan und Afrika führen.

Story im Hintergrund, Gameplay im Vordergrund

Während die Story über den Rest der Spielzeit eher dahinplätschern wird, erwartet den Metal-Gear-Zocker beim Gameplay ein Juwel. Freiheit wird in The Phantom Pain fast vollständig großgeschrieben. Zwar kann man nicht alle Missionen in beliebiger Reihenfolge angehen, da die Story anhand von gewissen Missionen erzählt wird, sonst hat man aber die freie Wahl. Unzählige Audiokassetten kann man wann man will anhören, um mehr zu erfahren.

Ebenso kann man Missionen gänzlich unterschiedlich angehen - entweder man braust mit einem Jeep ins Missionsgebiet, zerstört gegnerische Anlagen mit dem Raketenwerfer und flüchtet mit Verfolgern im Schlepptau - oder man schleicht sich zu Fuß in die Basis, setzt Funkanlagen still und heimlich mit einer Wasserpistole außer Gefecht und verschwindet, bevor man auch nur von einem Soldaten gesehen wird.

Punkte und Ränge ziehen sich durch das Spiel. S-Ränge gibt es für perfekte Abschlüsse, die schnell und unentdeckt erfolgen. Nutzt man später stärkere Waffen oder tötet Gegner, gibt es Abzüge. Die Ränge spiegeln sich auch bei den Soldaten wieder, die man für die Mother Base rekrutieren kann und die über verschiedene Fähigkeiten verfügen. So können Soldaten betäubt und per Fulton-Rettungsgerät, einem Bergunsgsschirm, auf die eigene Basis verfrachtet werden. Werden sie dort im Gefängnis überzeugt, schließen sie sich den Diamond Dogs an.

Je nach Rang und Fähigkeit bekommt man so Kämpfer, die man auf externe Aufträge ansetzen kann, Forscher, die hunderte Waffen und Ausrüstungsgegenstände entwickeln, oder zahlreiche andere nützliche Helfer. Gleichzeitig muss man auch wirtschaftlich bleiben und die Militär-Währung "GMP" im Gleichgewicht halten. Alleine die Versorgung der Mother Base ist so facettenreich wie ein durchschnittliches Strategiespiel - und lästig wird der Aufbau der eigenen Streitmacht nie.

Spiel reagiert genial auf die Spielweise

Richtig gut gemacht ist die Feind-Engine. Die Gegner sind nicht bloß Kanonenfutter, sondern auf der Hut. Bei bewusstlosen Kameraden wird sofort Alarm geschlagen und das Gebiet durchkämmt, beim Aufeinandertreffen mit Venom Snake ist dieser meist gerade zu Spielbeginn im Feuergefecht hoffnungslos unterlegen.

Nur eines von zahlreichen Beispielen: Auch das Ausschalten von Gegner aus der Ferne per Scharfschützengewehr funktioniert nicht auf Dauer - die Gegner rüsten mit schusssicheren Westen und Stahlhelmen nach. Ebenso gut durchdacht: Will man Feinde verhören, die man zuvor etwa im Nahkampf entwaffnet hat, versteht man vorerst nichts - hier muss zuerst ein Dolmetscher auf unsere Seite überlaufen, um den Gegnern die Positionen ihrer Kameraden oder die Verstecke von Bauplänen und Waffen entlocken zu können.

Venom Snake ist auch nicht lange als Einzelkämpfer unterwegs. Schon zu Beginn bekommt man ein Pferd für die Überbrückung größerer Distanzen zur Seite gestellt, später gesellen sich ein Hund zum Aufstöbern von Gegnern und Minen sowie die mysteriöse Scharfschützin Quiet und ein roboterartiges und waffenbewehrtes Fortbewegungsmittel namens Walker Gear dazu. Neben der extrem freizügigen Kleidung von Quiet sorgt aber ein anderes Detail für Aufregung: Bestreitet man Missionen mit Quiet, werden viele zuvor schwierigen Aufgaben leider viel zu leicht.

So muss man in einer Mission einen alten Mann aus einer Festung befreien, der uns Antworten zu einer seltsamen Seuche geben könnte. An den Dutzenden Wachen schleicht man dabei mühevoll vorbei und birgt schließlich den Mann, die Flucht muss ebenso minutiös geplant werden. Oder aber: Man schickt Quiet ins Missionsgebiet vor und gibt ihr den Befehl, die Feinde zu eliminieren. Kommt man selbst vor Ort an, ist der Weg frei und man spaziert gelangweilt durch das Missionsgebiet.

Zumeist gibt es seltsamerweise auch am Missionsende mit diesem Weg keine Punkteabzüge, was einem den schwierigeren Weg ans Herz legen würde. Oder aber: In Nebenmissionen gilt es, in alle Winde verstreute und verstörte Mother-Base-Soldaten einzusammeln. Während diese beim kleinsten Zucken unsererseits Reißaus nehmen, kann man einfach in einen Karton schlüpfen und sich in diesem frontal auf den Soldaten zubewegen, ohne dass dieser reagiert.

Hier sind die Probleme zu finden

Dass The Phantom Pain nicht wie andere Teile von epischen Boss-Battles lebt, ist für uns verkraftbar. Die Missionen bieten zahlreiche Abwechslungen, härtere und in Erinnerung bleibende Begegnungen findet man auch so durch die Angreifer-Truppe "The Skulls", der Begegnung mit dem "Mann aus Feuer" und schließlich auch einem Metal Gear. Herzerwärmend für Kenner ist auch die geheime Side-Story, die eine Brücke zu Peace Walker herstellt. Die wahren Probleme von The Phantom Pain gehen dafür tiefer. 

Prägend ist der Wechsel von Kapitel 1, bei dem man sich am Ende des Spiels glaubt und gut 30 Stunden hinter sich hat, zu Kapitel 2. So bahnbrechend Kapitel 1 ist, so zusammengekleistert wirkt das, was danach folgt. Kapitel 2 bietet nur wenige neue Missionen, sondern serviert einem einfach bereits absolvierte Einsätze, die in einem höheren Schwierigkeitsgrad absolviert werden müssen. Es mag der Entwicklungszeit und den Spannungen zwischen Mastermind Hideo Kojima und Konami geschuldet sein, was herauskam, wirkt aber wirr. 

Die in den Missionen aufgebauten Nebengeschichten werden nicht einmal halbherzig aufgelöst, sondern verschwinden einfach in der Versenkung. Begleiter werden nach emotionalen Geschehnissen in Kapitel 1 hier nun kurz und schmerzlos gestrichen, andere verschwinden und über ihren Verbleib erfährt man nur über die Audiobotschaft auf einer Kasette.

Dies gipfelt darin, dass man erst ein Ende gezeigt bekommt, das zwar Big-Boss-Kenner als Plot-Twist zu schätzen wissen, mit dem aber alle, für die The Phantom Pain das erste Metal-Gear-Spiel ist, ratlos zurücklassen wird. Danach muss die Prolog-Mission noch einmal gespielt werden, nur um noch wenige Sekunden einer neuen Wende zu sehen bekommen. Enttäuschend, wenn man an die gewaltigen und vollkommenen Storys anderer Metal-Gear-Teile denkt.

Fazit: Warum MGSV trotzdem ein Meilenstein ist

Vor allem erzählerisch üben wir zwar massive Kritik, wollen hier aber ganz klar sagen: Metal Gear Solid V: The Phantom Pain ist ein Meilenstein. Trotz aller Probleme ist es gelungen, eine legendäre Stealth-Reihe auf den neuesten Stand der Technik zu heben und eine spielerische Freiheit zu ermöglichen, die neue Maßstäbe setzt. Hunderte Entwicklungsmöglichkeiten, die freie Wahl zwischen Action- und Stealth-Vorgangsweise, Tag- und Nachtwechsel, Wetterbeeinflussungen, Begleiter-Unterstützung und unzählige Herausforderungen machen jede Mission absolut einzigartig. Und damit ist nur ein Bruchteil der Möglichkeiten genannt.

The Phantom Pain schaffte es auch gut, sich von bekannten Elementen der Spielreihe zu trennen, ohne dass sie vermisst werden. Statt über ein Radar wird nun auf Sicht gespielt, statt einer Ausdauer- und Lebensanzeige zeigen Schuss- und Brandflecken am Bildschirm, ob Venom Snake verwundet ist. Die Gesundheit regeneriert sich zudem automatisch. Auch der Codec ging verloren, dafür gibt es nun das digital-visuelle Funkgerät iDroid. Der Witz ging dagegen nicht verloren - per Pferdekot auf der Straße kann man Jeeps ins Schleudern bringen, mit Nachschubabwürfen Gegner bewusstlos machen. Komisch absurd, typisch Kojima.

Schön ist es auch, dass Konami die Spieler bis heute mit neuen Inhalten in Form von Online-Events versorgt. Schön ist aber auch, dass Offline-Spieler nichts verpassen, denn die Gefechte um die "Forward Operating Bases" der Spieler machen zwar Spaß, tragen aber nichts zur Story bei. Dafür kann man sich hier nicht nur viele Ressourcen holen und dem Gegner Personal entwenden, sondern auch seine Spielweise verfeinern. Wer Basen der Gegner infiltriert, wird vor immer neuen Verteidigungsmaßnahmen stehen, die unter Zeitdruck überwunden werden wollen.

Dass sich viele Fans trotzdem gegen The Phantom Pain sträuben, ist aufgrund der Änderungen und der eher schwachen Story zwar verständlich, The Phantom Pain als schlecht zu bezeichnen, wäre aber ein Hohn. Der Titel ist ein Meisterwerk, das für Dutzende Stunden fesselt, das immer wieder neue Herangehensweisen ermöglicht und das den Spieler niemals in frustrierende Handlungsmomente zwingt. Vielleicht ist es nicht der bombastische Abschluss, den sich Metal-Gear-Fans gewünscht hätten, aber es ist zumindest ein würdiger. Was aber noch wichtiger ist: Metal Gear Solid V: The Phantom Pain ist selbst über ein Jahr nach seinem Erscheinen seiner Zeit noch weit voraus und wird Einfluss auf viele Action- und Open-World-Titel der kommenden Jahre haben.

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