Lara Stoll wollte vor ein paar Tagen einfach nur eine Wohnung in Zürich besichtigen – und stand plötzlich in einer enorm langen Warteschlange. Überraschend zückte sie ihr Handy und machte einen kurzen Schwenk mit der Kamera. Die Aufnahme lud sie auf Instagram hoch und schrieb dazu: "Endlich wieder am Puls der Zeit, mit 300 anderen Leuten eine Wohnung besichtigen! 'Eifach Züri halt!'"
Der Post wurde über vier Millionen Mal angeklickt und erhielt Tausende Likes. Gleichzeitig wurde er auch von der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) verwendet, um gegen die Einwanderung in Deutschland – zu hetzen. Die Schaffhauser Slam-Poetin, Filmemacherin und Autorin spricht in einem Interview mit dem "Tages-Anzeiger" über die kuriose Erfahrung.
Fälschlicherweise behaupte die CDU, das Video sei in Deutschland aufgenommen worden und die Leute in der Schlange seien Einwanderer, sagt Stoll. "In Wirklichkeit waren es vorwiegend Schweizerinnen und Schweizer. Es herrschte übrigens unter den Wartenden nicht Wut oder Ärger, sondern eher eine entspannte, etwas ironische Stimmung."
Doch die Reaktionen auf ihr Video überraschen die Künstlerin, denn ihr Video ist in mehreren ausländischen Kanälen, darunter russischen, zu sehen. Das Schlimmste jedoch: "Die primitiven rassistischen Kommentare, die in kürzester Zeit zusammenkamen, sind grauenhaft. Mir wurde es schlecht, als ich sie zu lesen und zu löschen begann", erzählt Stoll weiter. Mittlerweile habe sie die Kommentarfunktion auf Instagram deaktiviert.
Sie vermutet, ihr Video rufe Ablehnung gegenüber Ausländerinnen und Ausländern auf, die fälschlicherweise für die Wohnungskrise verantwortlich gemacht werden. Oder Ärger darüber, dass man stundenlang in einer Schlange warten müsse, um eine bezahlbare Wohnung zu besichtigen. Oder Unverständnis gegenüber Menschen, die unbedingt in Zürich wohnen möchten. "Dass solche Aufnahmen gerade jetzt derart durch die Decke gehen, zeigt, wie aufgeladen das Thema rund um die hohen Mieten ist", meint die 37-Jährige.
Stoll schrieb nach eigenen Angaben der zuständigen Sektion der CDU. Doch statt Einsicht zu zeigen, sei sie blockiert worden. "Meine Community hat mir jedoch mitgeteilt, dass sie weiterhin online ist. Daraufhin habe ich ein Reel erstellt, um darauf aufmerksam zu machen, dass die CDU das Video für ihre Zwecke missbraucht hat." Sie schrieb: "Mein Reel von einer Wohnungsbesichtigung wird derzeit von einer rechten Bubble wie auch von der CDU missbraucht, um Propaganda gegen Migration zu betreiben. Shame on you."
Künftig werde sie ihren Insta-Account weiter benutzen, um für ihre Auftritte zu werben, sagt sie zum "Tages-Anzeiger". Bei privatem Content wird Stoll wohl vorsichtiger sein: "Der Gedanke, was zu sehen ist und wie es allenfalls von anderen ‹umgenutzt› werden könnte, der wird ab jetzt wohl schon im Hinterkopf sein."
Was die Wohnungssuche betrifft, denke sie aber nicht ans Aufgeben, sagt Stoll. "Dafür bin ich zu hartnäckig."