Mitten in der Nacht klingelt das Telefon. Karina Kalks ist sofort hellwach. Am anderen Ende der Leitung: die Polizei. Wieder wird jemand vermisst. Wenige Minuten später sitzt sie schon im Auto, neben ihr ihre treue Begleiterin Salia. Die achtjährige Weimaranerhündin springt förmlich vor Aufregung – für sie beginnt nun das, wofür sie seit Jahren trainiert: eine Spur aufnehmen und einen Menschen finden.
Seit 15 Jahren steht Kalks bei Sucheinsätzen in Wien bereit. Egal ob bei Regen oder Sonnenschein, in den engen Gassen der Innenstadt oder draußen in den grünen Parks – wenn ein Mensch abgängig ist, zählt jede Minute.
Während Kalks Organisation und Einsatzleitung übernimmt, bringt Salia genau das mit, was Menschen fehlt – eine unbestechliche Nase. Hunde sind wahre Meister der Gerüche: Mit bis zu 300 Millionen Riechzellen und einer 40-mal größeren Riechhirnregion als der Mensch können sie winzige Spuren wahrnehmen, die uns entgehen.
"Hunde können eine große Anzahl von Gerüchen unterscheiden und auch sehr schwache oder versteckte Gerüche wahrnehmen", erklärt Kalks. Genau darauf kommt es beim sogenannten Mantrailing an – der gezielten Personensuche anhand individueller Geruchsspuren.
Mantrailing ist eine Hundesportart, die in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden ist. Dabei spüren Hunde mithilfe ihres hervorragenden Geruchssinns vermisste oder gesuchte Personen auf. "Viele Hundehalter möchten einfach nur, dass ihre Hunde Spaß haben und ausgelastet sind. Manche entscheiden sich, auch auf Einsätze zu gehen", erklärt Kalks.
Die 49-Jährige ist eine von ihnen. Seit rund 20 Jahren ist sie im Mantrailing aktiv, leitet heute die Mantrail Academy Austria und ist Obfrau des Vereins. Acht einsatzfähige Hunde und zwei in Ausbildung gehören zum Team. "Unsere Einsätze sind ehrenamtlich und kostenlos. Sie erfolgen immer nach Absprache mit der Polizei", betont Kalks.
Die Erwartungen sind groß, der Druck enorm. Manche Einsätze bringen die Niederösterreicherin oft an ihre Grenzen. In Altersheimen sucht sie nach desorientierten Bewohnern, in Wohngegenden nach Kindern, die verschwunden sind. Manchmal mit Happy End. "Einmal konnten wir ein kleines Kind in kürzester Zeit finden. Den Moment, als es wieder in den Armen seiner Familie war, werde ich nie vergessen", so Kalks.
Doch nicht alle Geschichten enden so. In Guntramsdorf etwa spürte Salia einen vermissten Vater in einem Kanal auf – lebend retten konnte man ihn nicht mehr. "Auch das gehört leider zur Realität", so Kalks.
Ob eine Suche erfolgreich ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zeit ist der wichtigste. "Je frischer die Spur, desto besser", erklärt Kalks. Doch in einer Großstadt wie Wien spielen auch Verkehr, Menschenmengen oder Witterung eine Rolle. Regen verwischt Spuren, Schnee kann sie komplett zunichtemachen.
Oft sucht Salia die ganze Nacht hindurch, legt dabei manchmal auch drei Kilometer zurück. Für den Hund bedeutet das Hochleistungssport – für den Menschen daneben höchste Konzentration.
Damit ein Hund einsatzfähig wird, sind mehrere Jahre der Ausbildung nötig. Grundsätzlich kann man mit jedem Hund jeder Rasse oder jedem Mischlingshund trailen. "Bei Einsätzen braucht es aber eine hohe Frustrationstoleranz. Oft endet nämlich die Suche an einem Ort und man muss an einer anderen Stelle wieder neu beginnen", erklärt Kalks. Doch nicht nur der Vierbeiner muss lernen. Auch der Hundeführer braucht besondere Fähigkeiten, wie Empathie und Stressresistenz. "Ohne Vertrauen funktioniert es nicht. Der Hund zeigt uns den Weg – wir müssen lernen, ihn zu verstehen."
Die Mantrail Academy bestreitet die Einsätze ehrenamtlich und unentgeltlich. Infrastruktur, Unterhalt und die Ausbildung der Hunde kosten aber Geld. Der Verein nimmt Spenden entgegen:
Raiffeisenbank Mödling
IBAN AT78 3225 0000 0073 6181
BIC RLNWATWWGTD
Kontoinhaber: Mantrail Academy Austria
Die Erfolgsquote liegt statistisch bei unter fünf Prozent. Doch für Kalks ist das kein Grund, die Arbeit infrage zu stellen: "Für Angehörige zählt jedes bisschen Hoffnung. Und manchmal sind wir genau die letzte Chance, die bleibt."