Ukraine

Putin-Mord für Experte "unwahrscheinliches Szenario"

Der Bundesheer-Experte Markus Reisner analysierte den Konflikt in der Ukraine. Der "beliebteste" Weg zum Ende des Krieges: Die Ermordung Putins.

Christian Tomsits
Oberst Markus Reisner (Archivbild) über den Krieg in der Ukraine.
Oberst Markus Reisner (Archivbild) über den Krieg in der Ukraine.
Bundesheer: Kurt Kreibich / Picturedesk.com

Vier Probleme – fünf Szenarien: Der renommierte Militär-Experte Markus Reisner von der MilAk Wr. Neustadt (NÖ) teilte seine Einschätzungen zum Ukraine-Krieg mit. Der Abteilungsleiter an der Militärakademie ist Autor zahlreicher Bücher und akademischer Schriften. Er erklärte dem "Luxemburger Tageblatt", welche Probleme die ukrainischen Streitkräfte haben und noch bekommen könnten, sowie welche Exit-Szenarien zu einem Waffenstillstand führen würden.

Die vier größten Probleme für die Ukraine

1
Russische Zange im Osten

Die Ukrainer verteidigen Luhansk und Donezk im Osten des Landes mit großem Einsatz. Die Russen versuchen diese beiden Verteidigungs-Bastionen durch eine Zangenbewegung einzukesseln. Gelänge das, wären die Ukrainer bald vom Nachschub abgeschnitten und müssten kapitulieren. Offen ist, ob die Russen genug Energie hätten, den Kessel zu schließen.

2
Kampf um die Hauptstadt Kiew

Wenn die Hauptstadt Kiew fällt, würde die Kampfmoral der Ukrainer einbrechen, nicht zuletzt durch eine mögliche Flucht von Präsident und Symbolfigur Wolodymyr Selenskyi. Daher sagt der Militärexperte: "Kiew muss aus ukrainischer Sicht so lange wie möglich gehalten werden."

3
Angriffe auf AKWs im Süden

Den Russen sei es laut Reisner gelungen, schnell in den strategisch wichtigen Süden des Landes vorzudringen. So ist dort bereits das größte AKW des Landes Saporischschja unter russischer Kontrolle. Wenn noch weitere Kraftwerke in der Region fallen, könnten die Russen bereits 60 Prozent der Stromproduktion der Ukraine kontrollieren. Das sei ein wesentlicher Macht-Faktor, der kriegsentscheidend sein könnte.

4
Gefahr durch Putin-Genossen

Ein Eintritt des Russland wohlgesonnenen Staates Weißrusslands in den Konflikt würde laut dem Militärexperten ein massives Problem für die Ukraine darstellen. Aktuell seien nahe der polnischen Grenze in der belorussischen Stadt Brest weißrussische Truppenkörper stationiert – unklar zu welchem Zweck. Ein Angriff auf das ukrainische Hinterland von der Armee von Putin-Freund Lukaschenko würde eine neue Verteidigungs-Front eröffnen. Das wäre besonders für die dahin geflüchtete Zivilbevölkerung ein echtes Schreckensszenario.

Die fünf Entwicklungs-Szenarien

1
Die Ermordung Putins

Die Möglichkeit, "die wir im Westen lieben" ist der sogenannte Tyrannen-Mord. Hierbei würde jemand aus dem Umfeld von Wladimir Putin den russischen Präsidenten töten. Doch das gilt als sehr unwahrscheinlich. "Die Russen neigen in Krisensituationen dazu, näher zusammenzurücken – vor allem wenn sie das Gefühl haben, dass da nicht nur Putin angegriffen wird, sondern alle Russen", so Reisner.

2
Schneller Sieg

Vier Wochen wären für einen Krieg "historisch keine lange Zeit". Es sei nicht auszuschließen, dass Russland bald die Anstrengungen erhöhen könnte, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Das würde jedoch tausenden Menschen mehr das Leben kosten, da zusätzlich eingesetzte Waffensysteme automatisch auch zu höheren Kollateralschäden führen würden, so Reisner. "Einen sauberen, präzisen Krieg gibt es nicht", sagt der Experte.

3
Patt-Position

Für den Experten durchaus realistisch: Beide Parteien kommen in eine Situation, in der sie die Lage jeweils der eigenen Seite als Erfolg verkaufen könnten. Das wäre etwa bei einer durchgehenden Frontlinie am strategischen Fluss Dnjepr, der das Land in Ost und West teilt, der Fall. Die Ukraine hätten Kiew gehalten, Russland hätte das Land aber faktisch handlungsunfähig  gemacht und könnte den Sieg ausrufen. Dann würde es wohl zu Verhandlungen mit einem Abschluss und schlussendlich zu einem Frieden kommen.

4
Abnutzungskrieg

Das wäre ein durchaus realistisches Szenario für das der Experte viele Hinweise sieht. Der schreckliche Krieg würde so wohl noch lange weitergehen oder gar wie in Syrien zur Dauersituation werden. Waffenlieferungen würden den Konflikt "immer weiter nähren". Keiner der Parteien hätte Erfolge zu verbuchen, die den Gegner in eine Verhandlungsposition zwingen würden.

5
Zuspitzung

Diese Variante ist das Schreckensszenario der gesamten Welt: Der Krieg könnte länderübergreifend um sich greifen. Das muss nicht gleich heißen, dass Russland im Baltikum einmarschiert, so der Experte. Zuerst seien einen intensivierte Cyberkrieg und weitere Wirtschaftssanktionen von russischer Seite durchaus denkbar. Ein Lieferstopp von Öl und Gas etwa würde sich mittelfristig auf Europa massiv auswirken.

Vom dritten Weltkrieg spricht der Experte explizit nicht. Doch eine Ausweitung des Konflikts auf benachbarte  (NATO-)Länder könnte auch das zur Folge haben. Eine Flugverbotszone über der Ukraine, die von der Ukraine gefordert worden war, hätte wohl ebenso fatalen Auswirkungen gehabt.

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