Österreich

Morde bleiben in Österreich oft unentdeckt

Jedes Jahr werden viele Bluttaten gar nicht als solche erkannt und dementsprechend nie aufgeklärt. "Wir stehen derzeit am Rand eines Abgrunds", warnt Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin (ÖGGM).

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    Nur einer von drei Morden wird in Österreich auch als solcher erkannt, lautet die pessimistische Einschätzung von Gerichtsmediziner Walter Rabl, dem stellvertretender Insitutsleiter an der Universität Innsbruck.
    Nur einer von drei Morden wird in Österreich auch als solcher erkannt, lautet die pessimistische Einschätzung von Gerichtsmediziner Walter Rabl, dem stellvertretender Insitutsleiter an der Universität Innsbruck.
    picturedesk.com/APA/Zeppelzauer

    Seit mehreren Jahren schon sind die Zahlen der Obduktionen in unserem Land rückläufig. Während noch 1984 die Leichen von 30.737 Österreichern untersucht wurden, waren es 2018 nur noch 8.593. "Zwangsläufig werden bei zunehmend sinkender Obduktionsfrequenz auch Traumen [Verletzungen durch Gewalteinwirkung von außen entsteht, Anm.] als scheinbar natürliche Todesfälle qualifiziert", so der ÖGGM-Präsident und stellvertretender Direktor des gerichtsmedizinischen Instituts an der MedUni Innsbruck in einem am Montag erschienenen Interview mit dem "Oberösterreichisches Volksblatt". 

    Das hat schlimme Konsequenzen: Viele Morde werden nicht als solche erkannt. Wie viele Bluttaten so unter dem Radar der Behörden passieren, kann selbst der Experte nur schätzen. Bei Tötungsdelikten – darunter fallen Mord, fahrlässige Tötung und Totschlag – "dürfte für Österreich ein Verhältnis von erkannt zu unerkannt von eins zu zwei durchaus realistisch sein".

    "Einen Schritt weiter"

    Die Chancen, dass sich das in naher Zukunft bessern könnte, sind aktuell gering. Zum einen drohe der Berufsgruppe in den nächsten Jahren eine Pensionierungswelle, das Durchschnittsalter von gerichtlichen Sachverständigen liegt laut Rabl aktuell bei rund 60 Jahren, und zum anderen kämen kaum noch junge Menschen nach. Es würden nicht nur Ausbildungsstellen an den Universitäten gestrichen, es fehle auch an Zukunftsperspektiven und einem vernünftigen Karrieremodell für Gerichtsmediziner mit Schwerpunkt in der Routinetätigkeit. 

    Umstände die bereits 2014 in einem Bericht des Wissenschaftsrates aufgedeckt, aber bislang von den Verantwortlichen und der Politik ignoriert wurden. Man dürfe nicht vergessen, dass die Ausbildung der Gerichtsmediziner bis zum Sachverständigen eine lange Vorlaufzeit haben, warnt der ÖGGM-Präsident: "Wir stehen derzeit am Rand eines Abgrunds und werden in den nächsten Jahren leider einen Schritt weiter – in den Abgrund – sein".