Gesundheit

Nur so können wir das Virus besiegen, laut CeMM-Chef

Molekularbiologe Giulio Superti-Furga und sein Team leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Österreich. Ein Interview.

Christine Scharfetter
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Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien.
Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien.
Franzi Kreis

Seit fast einem Jahr wütet das sogenannte Coronavirus rund um den Erdball. Bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie leistet vor allem die Wissenschaft und ihre Forschung einen wichtigen Beitrag - auch in Österreich. Dennoch wird hier laut Giulio Superti-Furga, Wissenschaftlicher Direktor des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, immer noch gespart. Obwohl sie hätten schließen sollen, haben die Wissenschaftler weitergemacht, das Virus in seine einzelne Bestandteile zerlegt und mittlerweile mehr als 1.800 Virus-Proben aus Österreich sequenziert. Das interdisziplinäre Team um Andreas Bergthaler und Christoph Bock vom CeMM war es auch, das die ersten Fälle der Virus-Mutationen aus Großbritannien und Südafrika in Österreich nachweisen konnten.

Wir wollten von dem Molekularbiologen nun wissen, wer die Forschungsarbeit eigentlich finanziert, was es mit den Mutationen auf sich hat, wie wir das Virus bekämpfen können und was die nächste Bedrohung für die Menschheit ist:

Warum haben Sie im März weitergemacht, obwohl das CeMM hätte schließen sollen?

Giulio Superti-Furga: Wir fühlen uns dazu berufen! Wir haben das Privileg mitten im AKH/MedUni Campus mit den besten ForscherInnen aus der ganzen Welt medizinische Grundlagenforschung zu betreiben und neue Therapien und Diagnostikverfahren zu entwickeln. Als es im März hieß, wir sollen schließen, war für uns klar: Wenn wir nicht helfen, wer dann? Und wir haben das getan, was wir am besten können: Wissen zu generieren. Den neuen Virus in seinen Bestandteilen, in seinem „Code“, in seiner Genom-Buchstabensequenz, zu bestimmen. Ihn zu sequenzieren. Die Nukleotid-Sequenz zu bestimmen. Was ist es genau, das uns so in Schach hält? Ist das, was in Österreich kursiert, das gleiche Virus wie in Wuhan oder Mailand?

Es ist schon verrückt, das CeMM erbringt eine Leistung die unentbehrlich für die Gesundheitspolitik und Sicherheit der Nation ist, aber wir haben noch kein Budget für 2021-2023.

Wer finanziert die viele Forschungsarbeit?

Wir sind ein Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und haben ein Grundbudget, wofür wir dankbar sind, das aber nicht vergleichbar ist mit anderen Exzellenzinstituten. Die Virus-Sequenzen haben wir anfänglich aus unserem Basisbudget auf Kosten anderer Projekte finanziert und erst später über Fördermittel des Wiener Wissenschafts- und Technologie Fonds und über eine Kooperation mit der AGES. Aber Wenige haben sich dafür interessiert oder gefragt, ob wir überhaupt die notwendigen Mittel hatten. Es ist schon verrückt, das CeMM erbringt eine Leistung die unentbehrlich für die Gesundheitspolitik und Sicherheit der Nation ist, aber wir haben noch kein Budget für 2021-2023.

Was sollte die Regierung in Bezug auf die Forschung unternehmen?

Die Pandemie kostet dem Land das 1000-fache oder mehr, als eine viel entschlossenere und innovative Forschungsfinanzierung gekostet hätte. Ohne die Impfstoffe, die aus der Grundlagenforschung und der Biotechszene kommen, würden wir völlig Pleite gehen! Wieso gibt es weder in Österreich noch auf EU-Ebene eine Verzehnfachung der Forschungsforderung als Reaktion auf diese Krise? Das wäre Kleingeld verglichen zu den Summen, die wir aus Ignoranz zahlen müssen. Also, bitte für die Zukunft Österreichs: Viel mehr in Forschung und gerade in medizinisch-orientierte Forschung investieren! Wir brauchen mehr Innovation und können uns nicht mehr nur auf den Tourismus, und auf Glorien der Vergangenheit stützen.

Wie viele Virusvarianten gibt es mittlerweile in Österreich?

SARS-CoV-2 mutiert kontinuierlich mit ungefähr einer Mutation alle zwei Wochen. Es gibt also Tausende Virusvarianten, da das Virus ständig Fehler macht, aber wenige, die sich durch Zufall durchsetzen und noch wenigere, die sich vermehren, weil sie dem Virus einen Vorteil bringen. Deswegen müssen wir ständig aufpassen, und die Viren laufend sequenzieren.

Wie gefährlich sind die Mutationen aus Großbritannien und Südafrika  im Vergleich zu den bisher „gängigen“ Varianten?

Ich bin kein Mediziner und kann nur wiederholen, was mein Kollege Andreas Bergthaler, der unser Virusprojekt leitet, gerade zusammengefasst hat. Englische Daten zeigen, dass die neuen Varianten eine höhere Infektivität aufweisen. Das heißt, Menschen, die mit der Variante infiziert sind, stecken selber im Durchschnitt mehr Menschen an, als mit der „altherkömmlichen“ Version.

Obwohl das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im März hätte schließen sollen, haben Superti-Furga und seine Kollegen weiter geforscht.
Obwohl das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im März hätte schließen sollen, haben Superti-Furga und seine Kollegen weiter geforscht.

Warum sind diese Varianten so viel mehr ansteckend?

Das wissen wir noch nicht, aber man vermutet, weil das veränderte sogenannte „Spike“ Protein eine bessere Haftung des Virus an den Ziel-Zellen verursacht. Also eine effizientere Bindung. Zusätzlich produziert die neue Variante mehr Virus. Aber die Schlüsselexperimente dazu sind noch ausständig.

Warum kam es ausgerechnet in Südafrika und Großbritannien zu solchen schweren Mutationen?

Das ist schwer zu beantworten. Es ist ein Spiel mit den Zahlen. Bei so und so vielen Vervielfältigungen des Virus, gibt es so und so viele Chancen zu mutieren, also sich zu verändern. Und bei so und so vielen Veränderungen, gibt es die Möglichkeit, dass einige dem Virus einen Vorteil bringen.

Wirken die aktuellen Impfungen auch gegen die Mutationen und mögliche weitere Varianten?

Ja, alle gehen davon aus, dass die Impfstoffe, die gegen das ganze „Spike“-Protein, also, das Eiweiß, gerichtet sind, auch Immunität für die punktuell veränderte Form bieten.

Testen ist derzeit neben Abstand, Händewaschen und Maske, unsere beste Strategie. Danach kommt: Impfen, Impfen, Impfen.

Österreich setzt derzeit auf eine "Test-Strategie". Macht das überhaupt Sinn?

Testen macht immer Sinn, da es hilft ansteckende Menschen zu isolieren, besonders wenn diese keine Symptome verspüren. Testen ist derzeit neben Abstand, Händewaschen und Maske, unsere beste Strategie. Danach kommt: Impfen, Impfen, Impfen.

Die nächste Bedrohung lässt nicht lange auf sich warten

Werden wir irgendwann wieder ein Leben führen, wie wir es noch von vor einem Jahr kennen?

Sicherlich! Und wir werden Vieles besser machen. Die Menschheit ist fantastisch einfallsreich! Im Jänner vor einem Jahr wurde die Sequenz des Virus online gestellt. Noch bevor sich das Virus weltweit verbreiten konnte, haben Forscher und Forscherinnen Vakzine dagegen gentechnisch programmieren können. Ich benutzte das Wort Gentechnik, weil es eine Revolution ist, und die Menschen es wissen sollen. In hundert Jahren wird man diese Leistung des menschlichen Geistes auf gleichem Niveau setzen, wie Beethovens Fünfte Symphonie, die Kuppel des Doms in Florenz von Brunelleschi, oder die Entdeckung des ersten Impfstoffes durch Jenner!

Was wird passieren, wenn sich erneut ein derartiges Virus oder eine andere Krankheit mit solchem Ausmaß ausbreitet?

Ich habe schon vor Jahren mehrmals die Regierung vor derartigen Krisen gewarnt und für ein Austrian National Institute of Health plädiert. Es gibt weitere Bedrohungen wie Antibiotika-resistente Keime, andere Viren, Altersdemenz, Diabetes und vieles mehr. Unsere Chance ist es, dass Österreich bis dann Spitzenforschungsland innerhalb eines auf Wissen und Kooperation basierten Europas ist. In seinen wohldotierten Forschungsinstituten und seiner blühenden Landschaft von innovativen Biotechunternehmen wird man entweder schon längst vorbereitet sein (weil man breit investiert hat) und ein adäquates Mittel parat haben oder es schnell entwickeln können wird. An dieser Stelle ein Zitat des Bundespräsident: "Jetzt ist die Zeit, in der wir träumen sollten, wie wir unsere Welt verbessern können. Jetzt ist die Zeit, in der wir weiter blicken müssen."