Politik

Friseur, Flüge, Berater - eine Kurz-Analyse

Heute Redaktion
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Sebastian Kurz und das aktuelle "Falter"-Cover
Sebastian Kurz und das aktuelle "Falter"-Cover
Bild: Grafik Heute

Eine Polit-Einschätzung von "HEUTE"-Chefredakteur Christian Nusser zur aktuellen Diskussion um die Falter-Veröffentlichungen rund um die ÖVP-Finanzen.

Ich versuche einen Stunt. Vielleicht ist hier eine differenzierte, inhaltliche, erhellende Debatte zur Geschichte aus dem Falter möglich. Ich gestehe: Ich habe Bauchweh damit, vielleicht sind es Phantomschmerzen. Jedenfalls interessieren mich andere Meinungen dazu. Wirklich!

Medien leben von Bildern, die sie im Kopf entstehen lassen. In diesem Fall erzeugt man den Eindruck, auch durch das Wording ("Schulden, Spesen und Spenden" am Cover), als wäre es in der Regierung Kurz I. zugegangen wie am Hof von Ludwig XIV.. Das halte ich für überzogen.

Was riskant werden könnte: Bei Kurz klaffen das Bild, das er medial vermittelt haben möchte (der sparsame Asket, der Klappsessel fliegt), und das tatsächlich medial vermittelte Leben auseinander. Das ist ein Problem, denn so etwas verzeiht Österreich auf Dauer nicht.

Ich halte seit jeher die Bedeutung, ob ein Kanzler oder Minister Economy oder Business fliegt, für überschätzt. Kurz betont häufig, 90 Prozent aller Flüge in der Holzklasse zu absolvieren, im Gegensatz zu Vorgängern und Ex-Politikern. So what?

Kurz gab viel Geld für Feste aus. Zu viel? Vielleicht. Ich habe dort allerdings auch viele gut gelaunte Journalisten getroffen, die sich jetzt darüber wundern, wie viel das alles gekostet hat. Und: Kanzlerfeste gibt es seit Kreisky, bis zu 4.000 Gäste waren geladen. Unter Faymann kostete das die SPÖ 300.000 Euro.

Zu den Quellen: Wir kennen den Informanten nicht, der "Falter" auch nicht. Ihm gegenüber stellt er sich als "ganz normaler, unbescholtener Bürger mit Vollzeitjob" vor. Er sei "durch Zufall" auf die Daten gestoßen. Nachprüfbar ist das nicht, es klingt wenig glaubwürdig. Ja, auch beim Ibiza-Skandal waren die Quellen dubios, aber es gab einen Film.

Der Falter erwähnt extra, nur jene Daten zu veröffentlichen, "die von öffentlichem Interesse sind". Daran hege ich Zweifel. Als wir vor einiger Zeit über den Friseur von Kurz geschrieben haben, wurden wir dafür gescholten. Jetzt ist das offenbar von Staatsinteresse.

Ich gebe zu: Aus nachvollziehbaren Gründen wusste ich bisher nicht, was „Hair-Grooming" ist. Kurz (bzw. die ÖVP) soll also für ebendas zwischen 300 Euro und 600 Euro pro Sèance zahlen. Das ist viel Geld.

Allerdings: Gemeint ist offenbar Make-up. Kurz lässt sich das Haar nicht "groomen" (erzählt mir jemand, der es wissen muss), sondern geht einmal im Monat zum Friseur (es ist immer derselbe) und zahlt 30 Euro dafür. "Zwischen 300 und 600 Euro" kostet es also, wenn er die Dienste von Visagisten in Anspruch nimmt. Das ist ein üblicher Tarif.

Und: Ich kann mich an keine Pressestunde mit Eva Glawischnig erinnern, zu der sie nicht (von einem Visagisten daheim) fix und fertig geschminkt erschienen wäre. Ich denke nicht, dass sie dies aus einer persönlichen Kollekte heraus bezahlt hat (und Novomatic wird das damals auch nicht beglichen haben).

Werner Faymann beantwortete 2015 eine parlamentarische Anfrage so: Im Schnitt gebe er pro Auftritt 382 Euro für Make-up aus. Zwischen 2013 und 2015 sei 57 Mal ein Visagist gebucht worden, gesamt wurden 21.786 Euro ausgegeben. Fast alle Spitzenpolitiker, die im TV auftreten, halten das so.

Finde ich das richtig? Nein! Man kann hier nicht nur viel Geld sparen, sondern man muss. Oder man zahlt das privat. Wieder diese Bilder: Einerseits haben viele den Eindruck, dass bei armen Menschen gespart wird, andererseits wird dann teuer „gegroomt", das ist windschief.

Honorare von (mit vollem Namen genannten) Mitarbeitern öffentlich zu machen, das geht mir zu weit. Als sich vor Kurzem viele auf die hohe Gage eines hochrangigen SPÖ-Beraters einschossen, haben wir uns gegen die Print-Veröffentlichung entschieden. Wie würden Medien reagieren, wenn die Gehälter ihrer Unternehmen per Maulwurf öffentlich gemacht würden?

Als die SPÖ noch in der Regierung war, gab es eine Reihe von Beratern, deren Gehälter bei weitem nicht ins Gehaltsschema passten. Das wurde kreativ gelöst: Die Mitarbeiter wurden von Agenturen bezahlt und dann an Kanzleramt bzw. Ministerien "verliehen". Groß thematisiert wurde das nicht. Es war offenbar aber nicht nur bei der SPÖ Usus.

Finde ich das in Ordnung? Nein. Halte ich die Gagen, die publiziert wurden enorm hoch? Selbstverständlich. Es ist aber unklar, ob es sich um Gehälter oder Honorare handelt, ob es an Einzelpersonen oder an Firmen geht. 1,7 Millionen wurden an Herrn M. überwiesen. Viel Geld. Offenbar wurden darauf aber auch Facebook-Werbung bezahlt.

Natürlich ist es relevant, wie hoch die Schulden der ÖVP sind und wie sie an Geld kommt. Jede Form der Berichterstattung darüber ist legitim. Das war auch bei der SPÖ nicht anders (und hat diese ziemlich erregt) und das ist gut so.

Ein vorsichtiges Fazit: Das ist ein ziemliches Boulevardstück, zweieinhalb Wochen vor der Wahl strategisch gut platziert, mit hochinteressanten Passagen, einigen Schenkelprackern, aber auch Grenzüberschreitungen. Es wirft für mich mehr Fragen auf als es beantwortet.

Autor: Christian Nusser, "HEUTE"-Chefredakteur

Anm.: Der Artikel wurde um 14.10 Uhr ergänzt

Fotos: Was in der neuen Kurz-Biografie steht