Ukraine

"Papa nicht ärgern" – Hat Putin keine Ahnung vom Krieg?

In Putins Reden ist der Ukraine-Krieg Thema Nummer 1. Dennoch hört man von Insidern, dass sein Wissenstand gering bis nicht existent sei. Die Details.

Der russische Präsident Wladimir Putin soll Insidern zufolge wenig über den Ukraine-Krieg wissen.
Der russische Präsident Wladimir Putin soll Insidern zufolge wenig über den Ukraine-Krieg wissen.
MIKHAIL METZEL / AFP / picturedesk.com

Wird der russische Präsident mit beschönigten, falschen Informationen versorgt? Dieser Verdacht häuft sich in den letzten Wochen. Zuletzt war Putin überzeugt, dass die russischen Truppen die ostukrainische Stadt Lyman einnehmen können. Doch seine Soldaten waren praktisch eingekesselt und sahen sich massivem Artilleriebeschuss ausgesetzt. Schließlich traten sie einen überhasteten Rückzug an und hinterließen viele Leichen sowie militärisches Material, das in die Hände der Ukrainer fiel.

Putin rechnete mit schnellem Sieg

Die Durchhalteparolen des russischen Präsidenten für Soldaten, die sich in einer schlechten oder gar aussichtslosen Lage befinden, stützten sich offenbar auf unvollständige oder falsche Informationen. Und mit diesen war Putin von Anfang an konfrontiert. Der russische Präsident rechnete mit einem schnellen, glorreichen Sieg in der Ukraine. Der Oligarch und enge Vertraute Putins Wiktor Medwedtschuk hatte dem Präsidenten versichert, die Ukrainer würden sich als Russen betrachten und einmarschierende Soldaten mit Blumen begrüßen, wie zwei kremlnahe Personen dem "Wall Street Journal" berichten.

Putin soll sehr misstrauisch sein

"Die Menschen um Putin herum schützen sich selbst", so Ekaterina Vinokurova, Mitglied des zunächst von Putin handverlesenen und im November wieder abgesetzten Menschenrechtsrats. "Sie sind der festen Überzeugung, dass sie den Präsidenten nicht verärgern dürfen". Es heißt, der russische Präsident sei so misstrauisch gegenüber seiner eigenen Kommandostruktur geworden, dass er anfing, Befehle direkt an die Front zu erteilen.

Laut dem ehemaligen russischen Geheimdienstoffizier sowie aktuellen und ehemaligen russischen Beamten wacht Putin täglich gegen sieben Uhr morgens auf und erhält ein schriftliches Briefing über den Krieg, dessen Informationen sorgfältig zusammengestellt sind, um Erfolge hervorzuheben und Rückschläge herunterzuspielen.

Angst vor Überwachung durch USA

Aus Angst vor digitaler Überwachung weigert er sich seit langem, das Internet zu nutzen, so russische und US-amerikanische Beamte, was ihn noch abhängiger von den Briefing-Unterlagen macht, die von ideologisch ausgerichteten Beratern zusammengestellt werden. So soll es teilweise mehrere Tage dauern, bis aktuelle Informationen über das Schlachtfeld auf Putins Schreibtisch landen, wodurch sie oft veraltet sind.

Kreml spricht Dementi

"Der Präsident hat, wie schon früher, mehrere Kanäle, um Informationen zu erhalten", so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. "Alle Behauptungen, dass er verzerrte Informationen erhalte, entsprechen nicht der Realität." Doch die Recherchen des "Wall Street Journal" sprechen eine andere Sprache: Bei verschiedenen diesjährigen Putin-Treffen sollen die Beteiligten den Eindruck erhalten haben, der Präsident habe kein klares Bild vom Konflikt.

Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dementiert Berichte über verzerrte Informationen.
Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dementiert Berichte über verzerrte Informationen.
REUTERS

In einer Rede im April sagte CIA-Chef Bill Burns, Putins Beraterkreis habe sich verengt, und in diesem kleinen Kreis sei es nie karrierefördernd gewesen, Putins Urteilsvermögen oder seinen Glauben infrage zu stellen, dass es sein Schicksal ist, Russlands Einfluss in der Welt wiederherzustellen.

"Papa" soll nicht verärgert werden

Laut Boris Bondarev, einem desertierten russischen Karrierediplomaten, der nach Beginn der Invasion von seinem langjährigen Posten bei der ständigen Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen in Genf zurückgetreten war, hat sich Putins System der Selbsttäuschung über lange Zeit hinweg entwickelt. Viele Beamte lernten demnach, während zwei Jahrzehnten Putin-Herrschaft, Moskau jene Geschichten zu erzählen, die es hören wollte.

"Beamte und leitende Angestellte wussten, dass sie, um Lob und Beförderungen zu erhalten, gute Nachrichten übertreiben und die schlechten herunterspielen sollten – aus Angst, 'Papa' zu verärgern", so Bondarev. "Papa" sei ein Spitzname für Putin, der einst auch für russische Zaren verwendet worden sei.

Einen Hinweis darüber, wie Putins Umfeld mit Kriegsinformationen umgeht, liefert auch eine Szene vom Beginn der Ukraine-Invasion. Fünfzehn Tage nach Beginn des Krieges, nachdem sein Schnellangriff auf Kiew gescheitert war, sass Putin mit finsterer Miene in einem goldbestickten Sessel, als ihn sein Verteidigungsminister in einer im Fernsehen übertragenen Sitzung über eine Videoverbindung informierte.

"Wladimir Wladimirowitsch, alles läuft nach Plan", sagte Schoigu. "Wir berichten Ihnen das jeden Tag."

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