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Papst Franziskus: Europa darf "Seele nicht verlieren"

Heute Redaktion
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Papst Franziskus hielt am Dienstag in Straßburg im Europaparlament und anschließend im Europarat eine Rede, die mit Standing Ovations quittiert wurde. Themen: Migration, Menschenwürde und Europa. Dabei traf er seine 97-jährige ehemalige Gastmutter wieder, bei deren Familie er in Deutschland im Jahr 1985 gwohnt hatte.

Papst Franziskus hielt am Dienstag in Straßburg im Europaparlament und anschließend im Europarat eine kritische Rede, die mit Standing Ovations quittiert wurde. Themen: Migration, Menschenwürde und Europa. Dabei traf er seine 97-jährige ehemalige Gastmutter wieder, bei deren Familie er in Deutschland im Jahr 1985 gwohnt hatte.

Seine Reise nach Straßburg verband Papst Franziskus mit einem Wiedersehen mit im EU-Parlament mit der 97-jährigen Helma Schmidt, die ihn vor fast 30 Jahren als Untermieter in Rheinland-Pfalz aufgenommen hatte. Franziskus (Jorge Bergoglio) hatte damals zwei Monate lang einen Deutsch-Kurs im Goetheinstitut absolviert.

Am Küchentisch von Frau Schmidt hatte Jorge Bergoglio mit seiner Gastmutter damals Deutsch-Vokabeln gebüffelt.

Nachdem er 1986 in Deutschland seine Doktorarbeit in Philosophie eingereicht hatte, hielt der gebürtige Argentinier zwei Jahrzehnte lang Briefkontakt mit Helma Schmidt.

Standing Ovations für Rede zu Armen

Im Europa-Parlament erntete der Papst am Dienstag zu Mittag dann Standing Ovations für seine Rede. Er rief zu Rückbesinnung auf die Werte der Europäischen Union auf, zur Achtung der Menschenwürde und zur Solidarität mit den Armen (Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Rede)

Viele Menschen seien heute in Europa einsam, etwa Alte, Arme, Jugendliche ohne Zukunftschancen oder auch Einwanderer, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Dienstag vor EU-Abgeordneten in Strassburg. Diese Einsamkeit sei durch die Wirtschaftskrise noch verschärft worden.
Liveübertragung

Im Europarat traf der Papst mit Generalsekretär Thorbjörn Jagland zusammen und hielt anschließend vor hohen Vertretern der paneuropäischen Organisation sowie den Richtern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine weitere Ansprache. Die vierstündige Visite in Straßburg galt ausschließlich den dort ansässigen europäischen Institutionen - die  bisher kürzeste Auslandsreise eines Papsts. Die Straßburger konnten dessen Auftritte live im gotischen Münster der Elsass-Metropole mitverfolgen.

Der Papst besuchte seit seinem Amtsantritt im März 2013 bereits Brasilien, den Nahen Osten, Südkorea und im September als erstes europäisches Land Albanien. Seine nächste Auslandsreise soll Franziskus Ende des Monats in die Türkei führen. Franziskus ist der zweite Papst, der die europäischen Institutionen in Straßburg besucht. Als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche sprach im Oktober 1988 Johannes Paul II. vor dem Europaparlament. Der gebürtige Pole plädierte damals - ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer - für ein geeintes, christliches und nach Osten hin geöffnetes Europa.

Lesen Sie weiter: Das sagte Franziskus vor dem EU-Parlament in Straßburg

Menschenwürde. Der Papst hat die EU aufgefordert, die Menschenwürde stärker ins Zentrum der europäischen Politik zu rücken. Europa laufe Gefahr, "seine Seele zu verlieren", warnte er. "Es bestehen noch immer zu viele Situationen, wo Menschen wie Objekte behandelt werden".  Und weiter: "Ich meine, dass es äußerst wichtig ist, eine Kultur der Menschenrechte zu vertiefen", sagte der Papst. Er ermutige die EU, zu den festen Überzeugungen der Gründungsväter zurückzukehren und Teilung zu überwinden. Im Mittelpunkt sei damals das Vertrauen auf einen mit Würde ausgestatteten Menschen gestanden.

Migration. Nachdrücklich appellierte der Papst an die EU-Staaten, gemeinsam das Migrationsproblem anzugehen. Sie dürften nicht länger hinnehmen, dass "das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird". Auf den Kähnen, die täglich an den europäischen Küsten landeten, seien "Männer und Frauen, die Aufnahme und Hilfe brauchen". Die EU-Staaten müssten sich angesichts dieser Situation gegenseitig unterstützen anstatt Lösungen anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer verletzten und Sklavenarbeit sowie soziale Spannungen förderten.

Die EU könne die mit der Einwanderung verbundenen Probleme nur mit Gesetzen bewältigen, welche die Rechte der europäischen Bürger schützen und zugleich eine Aufnahme der Migranten garantieren, betonte Franziskus. Dazu seien "korrekte, mutige und konkrete politische Massnahmen" notwendig.

Europa. Durch die Wirtschaftskrise sei die Einsamkeit von Alten und Jugendlichen verschärft worden. Mit der EU-Erweiterung sei das Misstrauen gegenüber den EU-Institutionen verstärkt worden. "Von mehreren Perspektiven aus gewinnt man den Eindruck von Müdigkeit und Alterung", sagte er im Hinblick auf den Zustand Europas. Der Papst kritisierte die vorherrschende "Wegwerfkultur" und den "Konsumismus". Die großen Ideale Europas schienen ihre Anziehungskraft verloren zu haben. "Der Mensch ist in Gefahr zu einem bloßen Räderwerk herabgewürdigt zu werden", mahnte der Papst.

"Europa hat es dringend nötig, sein Gesicht wieder zu entdecken, um im Geist seiner Gründungsväter in Frieden und Eintracht zu wachsen", sagte der Papst. Dabei müsse man ein Europa aufbauen, dass sich nicht nur um die Wirtschaft drehe, sondern um unveräußerliche Werte. Das Kirchenoberhaupt appellierte an die Abgeordneten, den "Gedanken eines verängstigten und in sich verkrümmten Europas fallen zu lassen" und stattdessen "das Europa, das den Himmel betrachtet", zu suchen. "Ich appelliere an Sie, dass Europa seine gute Seele wieder entdeckt."

Der Papst kritisierte auch ein vorherrschendes Vakuum im Westen. "Es ist gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt", sagte er. Europa sei eine Völkerfamilie, die durch Einheit und Verschiedenheit verbunden sei. Die EU müsse sich auf ihre Grundprinzipien von Solidarität und Subsidiarität besinnen. Dabei bezeichnete der Papst eine geeinte Familie als Fundament der Gesellschaft. "Ohne diese Festigkeit baut man letztlich auf Sand." In der Arbeitswelt sei ein angemessener sozialer Kontext notwendig, der nicht auf Ausbeutung beruhe.

Das Kirchenoberhaupt lobte den Einsatz der EU für Ökologie, jeder trage eine persönliche Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung. Das Denken sei zu oft von Herrschen, Manipulieren und Ausbeuten geleitet.