"Ich wollte keiner Nazi-Organisation beitreten"

Heute Redaktion
Teilen
Picture

Paul Vodicka schloss sich der Kommunistischen Jugend an, verweigerte den Kriegsdienst, boykottierte den Bau von Schützengräben, wurde verhaftet und flüchtete vom Jugend-Strafgefangenenlager. Seinem Bruder half er zu desertieren. Ein Gespräch mit Maria Jelenko-Benedikt.

Ich treffe Paul Vodicka im Sandleitenhof in Wien-Ottakring – ein Ort, an dem kommunistische Widerstandskämpfer im Jahr 1945 Soldaten der Deutschen Wehrmacht durch einen gefälschten Befehl entwaffnen konnten.

Vodicka selbst engagierte sich ab 1943 bei der Kommunistischen Jugend in Hernals. Er wuchs im sogenannten "Negerdörfl" auf, einer Barackensiedlung, in der seine kommunistischen Eltern ihn und seinen älteren Bruder großzogen. Nach einem Einberufungsbefehl meldete sich Vodicka – er war damals HAK-Schüler – freiwillig bei der norddeutschen Marine in Stralsund. Doch anstatt in den Krieg zu ziehen, tauchte er unter, schlief in Parks oder bei Bekannten, versteckte sich im "Negerdörfl".

Nach einer anonymen Anzeige kam er im Jahr 1944 ins Straflager für jugendliche Wehrdienstverweigerer nach Zurndorf, Burgenland, das dem Sicherheitsdienst (SD, Anmerkung) unterstellt war. "Wer diese Zeit genau kennt, weiß, dass der Sicherheitsdienst eine der ärgsten und brutalsten faschistischen Organisationen war und die SDler den Ruf 'die Bluthunde Schirachs'' (Schirach war Reichsjugendführer der NSDAP, Anm.) hatten", erzählt Vodicka.

"Wollte keiner Nazi-Organisation beitreten"

Im Straflager wurde Vodicka Zeuge von Erschießungen und grausamen Vergewaltigungen durch SDler. "Wir wurden militärisch ausgebildet, mit der Absicht, dass wir freiwillig zur SS (Schutzstaffel, Anm.) gehen. Ich war natürlich damals schon politisch organisiert und interessiert und nicht bereit, irgendeiner Nazi-Organisation beizutreten. Deshalb bin ich von dort geflüchtet", erinnert sich Vodicka an diese Zeit.

Wie er das schaffte? Als er nach einer Selbstverletzung einen Ausgehschein bekam, haute er ab, zu seinem Bruder. Dieser war im burgenländischen Weiden stationiert, wo er gemeinsam mit einer Gruppe jugendlicher Antifaschisten aus dem "Negerdörfl" Schützengräben bauen sollte. Vodicka: "Da haben wir beschlossen, den Bau zu sabotieren." Wie sie das genau anstellten? "Mein Bruder hat das Werkzeug für den Schützengrabenbau verkauft und gegen Wein eingetauscht. Der Wein ist dann an alle Arbeiter, die dort waren, verteilt worden. Die waren in der Früh total besoffen und wollten nicht arbeiten. Die Burschen von der Hitlerjugend (HJ, Anm.), welcher die Arbeiter unterstellt waren, wollten sie mit Gewalt zum Schützengraben bringen. Die haben aber nicht mit den 'Negerdörflern' gerechnet. Die HJler sind daraufhin so verprügelt worden, dass das Lager sofort aufgelöst worden ist."

Das war wenige Monate vor Kriegsende. Vodicka konnte flüchten, wurde von Genossen in einem Dachboden in einem Gemeindebau in Wien Ottakring versteckt. Sein Bruder bekam eine Einberufung zum Volkssturm. Vodicka half ihm und drei weiteren Kameraden, vom Stützpunkt in Ottakring zu desertieren: "Die sind vom Posten in voller Uniform die Johann-Staud-Gasse runtermarschiert. Ungefähr in der Mitte der Gasse – damals eine dunkle Kastanien-Allee, wo ich mich gut verstecken konnte – kam der Chef der HJ entgegen. Ich habe geschrien: 'Stechschritt!', der andere sagte noch geistesgegenwärtig: 'Augen links', als der Chef der HJ vorbeigefahren ist. Der ist in der Beiwagenmaschine gesessen, wie der Hitler halt."

Die Jugendlichen hatten aber Glück und wurden nicht enttarnt. Vodicka brachte sie in sein Versteck am Dachboden, wo sie sich bis zum Kriegsende aufhielten.

Das Interview ist Teil einer Zeitzeugen-Serie. Alle Zeitzeugen-Gespräche finden Sie auf www.heute.at/zeitzeugen

Erika Kosnar: "Ich musste den 'gelben Stern' tragen"

Martin Wachtel: "Nazis warfen meinen Vater die 'Todesstiege' runter"

Barbara Schmid: "Damit ich überlebe, legte mich Mama als Baby weg"

Kurt Rosenkranz: "Da sagte der Lehrer zu uns: 'Ihr Saujuden'"

Richard Wadani: "Von Anfang war mir klar: Ich werde desertieren"

Anna Hackl: "Ich versteckte zwei KZ-Flüchtlinge vor den Nazis"

Lucia Heilman: "Auf jeder Parkbank stand plötzlich 'Nur für Arier'"

Margarethe Baranyai: "Die Nazis brachten meine Mutter ins KZ"

Robert Schindel: "Mein Leben verdanke ich zwei Krankenschwestern"

Alfred Grasel: "Am Spiegelgrund bekam ich mehrere Injektionen"

Helga Mandelburger: "Meine kranke Schwester entging der Gaskammer"

Ludwig Popper: "Sie nahmen meinem Vater die Arzt-Erlaubnis weg"

Hannes Sulzenbacher: "Weil er schwul war, kam er in Konzentrationslager"

Anni Honus: "Mein kranker Bruder bekam die Todesspritze"

Tina Bachmann: "Er ging ins KZ, um seine Mutter zu schützen"