Politik

"Europa braucht endlich sichere Grenzen"

Heute Redaktion
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Im Gespräch mit "Heute" stellten sich Ex-Parteichef Peter Pilz und Neo-Chefin der Liste "Jetzt", Maria Stern, zehn Fragen zu Migration, Mindestlohn & Co.

Frau Stern, Sie fordern ja eine Erleichterung auch für schlechter Verdiener. Sie haben Anfang September eine Seite eingerichtet: "factboxme SOS Familienbonus", auf der Sie aufrufen, auf den eigenen Bonus zu verzichten und zu spenden. Was passiert mit dem Geld?

Maria Stern: Ich möchte, dass dieses Geld in Elternvereinen verteilt wird. Diese wissen genau, welche Elternteile gut verdienen und welche Kinder in Armut aufwachsen, also wie man das Geld am besten verteilt. Ich selbst bin nur quasi Vorbild und stelle diese Plattform zur Verfügung. Ab 2019 werden die Spender und Vereine dann in der Plattform angeführt.

Derzeit sind nur Sie aufgelistet. Hat niemand Ihrem Beispiel gefolgt, oder wollen die Spender anonym bleiben?

Stern: Ich habe eine Bereitschaft gespürt, aber noch nichts Konkretes. Dazu kommt ja, dass ich gerade parallel dazu eine Partei aufbaue. Das kostete in den letzten Monaten sehr viel Zeit und Kraft.

Sie haben diese Aktion ja als "zivilen Ungehorsam" bezeichnet, sind dafür auch scharf kritisiert worden. Sind weitere derartige Aktionen geplant?

Stern: Viele. Im Fokus ist immer die Kinderarmut. Und nachdem die Kinderarmut unzählige verschiedene Gesichter hat, werden diese Aktionen so ausgelegt sein, dass diese verschiedenen Gesichter sichtbar werden. Es gibt ja nicht nur die Armut in Ein-Elternhaushalten, wobei die dort natürlich besonders stark vorhanden ist – Kinder von Alleinerzieherinnen leben mehr als doppelt so oft in Armut als jene von Zwei-Eltern-Haushalten, dicht gefolgt auch Kinder von Mehrkinder-Familien. Das war vor 5 Jahren noch nicht der Fall!

Hintergrund ist die Mindestsicherung – da standen die Mehrkinderfamilien auch medial im Fokus. Es betrifft aber auch Kinder von Selbstständigen, da hat die SVA in den letzten Jahren einiges verbockt. Und: Es steigt die Obdachlosigkeit bei Alleinerzieherinnen dramatisch - das ist ein absolutes Tabuthema. Es gibt da ganz viele Facetten, und die werde ich mit meinen Aktionen auch aufzeigen.

Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von der Mindestsicherung neu?

Stern: Da geht es um die Frage: "Inwieweit ist ein Gießkannenprinzip sinnvoll, wenn ich Kinderarmut ganz gezielt stoppen möchte?" Die Kindergrundischerung, die Erich Fenninger präsentiert hat, gefällt mir schon ganz gut.

Wo liegt da der Unterschied zur Mindestsicherung?

Stern: Die Mindestsicherung setzt seit 2010 unter der Armutsgrenze an. Dazu kommen jetzt Kürzungen und eine "Verländerung". Die Kindergrundsicherung hingegen sieht vor, dass die Kinder je nach Gehalt der Eltern mehr oder weniger erhalten. Das wäre eine gute Ergänzung zum Familienbonus. Das Problem dabei: Zahlt der Staat viel Geld für Familienleistungen, dann bleiben die Mütter eher zuhause. Auf diese Art würde eine "Zurück zum Herd"- Politik befeuert werden. Da müsste man gegensteuern. Mit einer großen Familienrechtsreform müsste man auch Väter in Teilzeit oder Karenz locken, wie in Skandinavien.

Nach Kollektivvertrag liegt die Lohnuntergrenze bei mindestens 1.500 Euro brutto. Wie hoch sollte der gesetzliche Mindestlohn sein?

Peter Pilz: 1.700 Euro Mindestlohn ist vernünftig und angemessen. Steigt die Produktivität immer weiter, die Löhne aber nicht, wie früher, parallel, dann kriegen wir ein volkswirtschaftliches Problem. Dann fallen nämlich die Kunden aus. In bestimmten Branchen müssen wir die ArbeitnehmerInnen besser schützen. Der tollste Mindestlohn aller Zeiten nützt uns nichts, wenn im Baunebengewerbe schwarz völlig andere Löhne gezahlt werden, Stichwort: illegale Beschäftigung. Wir müssen den ganzen illegalen Arbeitsmarkt austrocknen, der speziell aus osteuropäischen Ländern bedient wird. Wo die Bauindustrie zuschaut und sagt: "Des is ois kein Problem". Wir müssen beim Gehalt dicht machen, damit nichts mehr drunter geht.

Und: Wir müssen schauen, dass es zwischen Mindestsicherung und Mindestlohn einen ausreichenden Abstand gibt. Der Anreiz, arbeiten zu gehen, muss stark genug sein! Vor allem im Tourismus wird man Unterstützungsmöglichkeiten ausloten müssen.

Wo müsste die Mindestsicherung liegen, damit ein ausreichender Unterschied zum von Ihnen geforderten Mindestlohn von 1.700 brutto (12 Mal) und der Mindestsicherung besteht?

Stern: Ich denke, die Armutsgrenze liegt bei 830 Euro, die kann man als einen Richtwert sehen.

Pilz: Das ist das absolute Minimum, drunter nicht. Ich nehme an, dass es bis 900/1.000 Euro gehen kann, aber man müsste sich genau anschauen, inwieweit dann die Länder betroffen wären.

Bereits jetzt tut sich die Wirtschaft in vielen Bereichen schwer, qualifizierte Arbeitskräfte zu generieren (siehe Gastronomie etc.), die Regierung hat die Liste der Mangelberufe auf 45 erweitert. Wie passt da das Modell der 35-Stunden-Woche hinein?

Pilz: In Österreich sind Arbeit, teilweise die Einkommen, sowie Belastungen auf Vermögen völlig falsch verteilt. Wir haben derzeit 200 Mio. Überstunden pro Jahr. Das ist Arbeit, die bei anderen fehlt. Arbeit verteile ich über die Besteuerung der Überstunden, und indem ich das Produktivitäts-Arbeitszeitverhältnis ins Gleichgewicht bringe. Da komme ich ungefähr auf 35 Stunden. Und: Wir machen Betriebe nicht konkurrenzfähig, indem wir die Lohnkosten senken, sondern, indem wir die Lohnnebenkosten mit einer öko-sozialen Steuerreforn senken. Wir müssen hohen Energieverbrauch, große Vermögen, steuerhinterziehende große Konzerne, wie Google und Apple besteuern.

Das wollte Finanzminister Löger doch auf EU-Ebene erreichen?

Pilz: Der entscheidende Punkt war nie die Google-Tax, so wie sie in Großbritannien eingeführt worden ist, sondern die Finanztransaktionssteuer, bei der sich Österreich immer geweigert hat, diese ernsthaft zu verfolgen. Die Finanztransaktionsteuer kann uns im Jahr 5, 10 Milliarden Euro, und mehr bringen. Im weltweiten Vergleich besteuern wir im Alleingang Arbeitnehmer übermäßig. Eine Google-Steuer hingegen im Alleingang einzuführen, das tun wir nicht. Wenn internationale Konzerne nicht besteuert werden, dann müssen das die ArbeitnehmerInnen zahlen. Wir müssen auch die Notbremse ziehen bei Spekulanten.

Stern: Ein weiterer, wichtiger Ansatz wäre, die Arbeit zwischen den Geschlechtern gerecht zu verteilen. Firmen sollten auch Vätern ermöglichen, in Teilzeit zu gehen. Dann hätte man eine gerechte Verteilung der Arbeit in der Familie erreicht, und würde auch bei der Armutsbekämpfung von pensionierten Frauen helfen. Familienbonus und andere Maßnahmen regen eher dazu an, daheim zu bleiben.

Seit 2018 erhalten Sie Parteienförderung sowie öffentliche Gelder für Ihre Parteiakademie "#offenegesellschaft" (1,1 Millionen Euro) in Höhe von rund 4,8 Millionen Euro, treten gleichzeitig für eine Halbierung der Parteienfinanzierung ein. Warum gehen Sie nicht mit gutem Beispiel voran und verzichten auf die Hälfte? Was passiert mit dem Geld für die Akademie? Auf der neuen Homepage findet man so gut wie nichts darüber.

Pilz: "Diese Förderung garantiert ein gewisses Mindestmaß an Unabhängigkeit. Bei parlamentarischer Arbeit und Klubförderung bin ich absolut dagegen, etwas zu kürzen, da geht es um die Qualität der Arbeit des Parlaments. Wir würden aber auch mit der halben Parteienförderung auskommen. Bei der ÖVP etwa würde bei insgesamt rund 61 Mio. Euro eine Halbierung schon einiges bringen.

Was passiert mit der Förderung für Ihre Akademie?

Pilz: Da haben wir jetzt drei große Projekte. Mein Lieblingsprojekt ist ein großes Online-Medium. Das braucht es. Das zweite Projekt ist eine Debattenreihe "Offene Gesellschaft". Da geht's darum, ein Debattenschema aufzubauen bei dem dann über das geredet wird, was wehtut. Also über den politischen Islam, über die Frage Einwanderung bis hin zu Ausländerkriminalität. Das dritte ist ein Think Tank: Wissen vorbereiten für das, was wir umsetzen möchten. Da haben wir das ganze Jahr dafür gebraucht – es ist ja nicht so, dass wir das ganze Jahr in Höchstform waren.

In Ihren Leitlinien steht: "Die Einwanderung muss sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientieren und darf nicht zum Absenken sozialer Standards führen. Dafür muss die 'Rot-Weiß-Rot–Karte' reformiert (...) werden." Deckt sich die jüngste Reform der Regierung, die ab 1.1.2019 gilt (Erweiterung der Mangelberufe, einfacherer Zugang für AusländerInnen in Mangelberuf-Jobs, keine Verknüpfung mit Nachweis eines Mietvertrags) mit Ihren Forderungen?

Pilz: Man muss bei den Grenzen anfangen. Das war ja ein Hauptgrund, warum ich die Grünen verlassen habe. Europa braucht Grenzen und wir müssen bestimmen, wer darf einwandern und wer nicht, jenseits von Asyl. Aber dafür braucht es einen Grenzschutz. Wenn ich höre, dass schon wieder kein Geld für Frontex da ist, dann ist das vollkommen verantwortungslos.

Das nächste ist der Arbeitsmarkt. Wir brauchen ein Punktesystem mit Faktoren wie Sprachkenntnissen, Integrationsvoraussetzungen, berufliche Qualifikationen, Bildung, etc.

Die Mangelberufsliste ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist zwar sinnvoll, mehr Leute in Mangelberufe zu holen, aber es darf zu keiner Absenkung des Lohnniveaus kommen. Kein einziger österreichischer Koch darf weniger verdienen, nur weil die Regierung jetzt Köche auf die Liste setzt. Da braucht es ein sehr genaues System.

Stern: Wir müssen auch bei der Bildung genauer hinschauen. Brennpunktschulen sind ein massives Problem. Da sitzen zum Teil in der neunten Schulstufe 16- und 17-Jährige, die diese Schulstufe schon zum 2. oder 3. Mal wiederholt haben. Da ist von vorneherein klar, dass die keine Chance am Arbeitsmarkt haben werden. Da muss man Geld investieren, damit die Kinder, die in solche Schulen gehen, keine Belastung für den Sozialstaat werden.

Pilz: Gäbe es nicht die zehntausenden oder hunderttausenden Leute, die hier privat geholfen haben und immer noch helfen, dann hätten wir katastrophale Zustände. Die Leute in Österreich springen freiwillig ein, weil der Staat versagt, das sollte einfach nicht sein.

Herr Pilz, das Vertrauen weiblicher Wähler ist durch die Vorfälle erschüttert. Wie geht es Ihnen heute damit?

Pilz: Grüne Abgeordnete und auch Mitarbeiter des Klubs haben sich damals bitter beschwert, dass die grüne Parteispitze an sie herangetreten ist mit der Aufforderung mich zu belasten. "Sogts. er hat euch belästigt." Die haben geantwortet: "Davon kann nicht die Rede sein, wir haben gut zusammengearbeitet."

Ich will mit den Schmutzkübeln, mit denen einige gegen uns Politik machen, nichts zu tun haben. Das Ganze war für die Grünen und auch für mich nicht gut. Ich habe es ausgehalten, aber es war extremst unangenehm und manchmal sogar unerträglich. Ich weiß mit der Sache besser umzugehen, als so mancher FPÖler, der jetzt unbeholfen feministische Brandreden im Parlament schwingen möchte.

Was würden Sie einer enttäuschten Wählerin sagen?

Pilz: Respekt nicht nur vor Frauen ist bei uns eine Selbstverständlichkeit. Ich komme aus einem Background ausschließlich aus feministischen Traditionen, Parteien und Bewegungen. Ich bin mit einer Feministin verheiratet und ich bin der Sohn einer Feministin. Das prägt fürs ganze Leben.

Stern: Die #Metoo-Debatte hat in Österreich bis auf den Fall der Nicola Werdenigg (Ex-Rennläuferin, die offen über sexuelle Gewalt im ÖSV sprach, Anm.) wenig ans Tageslicht gebracht – weil wir mit Peter Pilz sehr schnell einen gehabt haben, auf den das alles projiziert worden ist. Da haben sich rundherum alle abputzen können! Damit wurde eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema leider verhindert, was ich sehr schade finde.

Würden Sie noch einmal mit einem Mandatsverzicht auf die Vorwürfe reagieren?

Pilz: Das Problem dabei war, dass der Schritt bei FPÖ, ÖVP und auch Grünen als Schuldeingeständnis wahrgenommen wurde. Ich habe mir gedacht, dass ich von anderen wahrscheinlich dasselbe verlangt hätte. Deswegen musste ich das selbst auch von mir verlangen. Meine Frau hat damals zu mir gesagt: "Gib keinen Millimeter nach!" Ich würde es aber trotzdem noch einmal so machen, wie ich es gemacht habe.

Die Frage war nämlich: Gehe ich einen Schritt zurück und erlaube eine rechtsstaatliche Überprüfung, auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass die Vorwürfe falsch sind. Oder reihe ich mich ein in die große Reihe der Politiker, die einfach gesagt haben: "Stimmt nicht! Rutscht mir den Buckel runter!"

Was mich aber sehr gefreut hat: Ich habe in dieser Sache mehr Unterstützung von Frauen als von Männern gefunden, das war sehr spürbar. Das ist eine wirklich gute Erinnerung aus diesem schweren halben Jahr. Und das ist jetzt abgeschlossen.

Eine aktuelle Spectre-Umfrage bescheinigt Ihnen laut eigenen Aussagen rund 5 Prozent. Wohin geht die Reise?

Pilz: Wir nähern uns langsam dem, was wir bei der letzten Nationalratswahl hatten. Nach dieser selbstverschuldeten Phase, in der wir auf 2 Prozent gefallen sind: Das war ein Betteln um Kinderkrankheiten! Das war wie aufwachen und sagen: "Jössas na, jetzt hab ich Keuchhusten und Masern und alles gehabt, jetzt brauche ich unbedingt noch Scharlach!" Dann waren wir aber durch. Es hat ein paar Wochen gegeben, da habe ich mich schon gefragt, warum tue ich mir das eigentlich noch einmal an. Wir werden gebraucht, damit die Kontrolle funktioniert, weil die Sozis das nicht zusammenbringen. Die Sozis sind genetisch oppositionsunfähig.

Wir sind die Kontrollpartei und wir sorgen dafür, dass es für Türkis-Blau in den Ausschüssen immer unangenehmer wird. Das können wir zehnmal besser als die Neos und 20 Mal besser als die SPÖ. Trotzdem muss die Opposition gut zusammenarbeiten, denn alleine sind wir zu wenige. Ich habe da viel Arbeit investiert, um die Opposition in den U-Ausschüssen zu vernetzen.

Mit welcher Oppositionspartei können Sie am besten?

Pilz: Ich tue mir aufgrund der großen Gerechtigkeitsfragen mit der SPÖ leichter als mit den Neos. Weil die Neos ja quasi in den großen Sozialfragen auf Seiten der Bundesregierung stehen. Da trennen uns Welten. Allerdings in der parlamentarischen Kontrolle, Kultur und Grundrechten sind mir die Neos aber sympathisch, ich stehe ihnen auch nahe in diesen Dingen.

Ich habe aber immer auch mit FPÖ oder ÖVP Mandataren arbeiten können, vorausgesetzt eine gewisse Kontrolle. Erst heute hat mich ein Ex-FPÖ-Abgeordneter angerufen und gesagt: "Ihr habt da einen freiheitlichen Kabinettsmitarbeiter übersehen im Eurofighter U-Ausschuss. Nehmt euch den bitte ordentlich vor!" Und tatsächlich ein Mitarbeiter der FP-Kommission stand auf der Eurofighter Payroll.

Sie deklarieren sich als Europa-Partei, Sie haben aber derzeit keinen Sitz im Europaparlament. Sie haben angekündigt, anzutreten. Mit wem? Und mit welchen Geldern?

Pilz: Unsere Partei wird keine Kandidaturen verordnen, wie das andere Parteien tun, sondern wir werden eine Plattform gründen, die breiter ist als unser Parlamentsklub, die großteils aus unabhängigen Mitgliedern besteht. Ende Jänner präsentieren wir diese Plattform. Von März an wird es einen sehr kurzen Wahlkampf geben.

Wer Spitzenkandidat wird, ist ein Geheimnis. Diese Leute werden sich selbst reihen und selbst vorstellen. Das bissl Geld, das man für den Wahlkampf braucht, werden wir zur Verfügung stellen, aber es wird auch Spenden geben. Wir werden weiter die billigsten Wahlkämpfer der zweiten Republik bleiben. Für die Europawahl führen wir gerade die Diskussion, ob wir ein ganzes, oder doch nur ein halbes Plakat aufhängen wollen.

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