Österreich

"Pfarrer wollte Sex mit mir, dann hat er mich gemobbt"

2005 wurde Silvia T. nach eigenen Angaben von einem Pfarrer verbal sexuell belästigt. Anschließend soll sie der Geistliche gemobbt haben.

Christine Ziechert
Silvia T. kritisiert die fehlende Aufarbeitung nach einer verbalen sexuellen Belästigung.
Silvia T. kritisiert die fehlende Aufarbeitung nach einer verbalen sexuellen Belästigung.
zVg

Es ist lange her, aber noch immer kann Silvia T. (Name geändert) nicht mit dem Vorfall abschließen. Die Salzburgerin wurde nach eigenen Angaben 2005 von einem Pfarrer verbal sexuell belästigt, doch wirkliche Konsequenzen gab es für den mittlerweile pensionierten Geistlichen nie. 

"Ich war nach sexuellen Übergriffen bei einem evangelischen Pfarrer – er war damals verheiratet und mehrfacher Vater – in der Seelsorge, um mich bei der Aufarbeitung der Vorfälle unterstützen zu lassen. Während eines Gesprächs hatte er die Hand auf meinem Oberschenkel und sagte zu mir: 'Soll ich ehrlich sein, soll ich wirklich ehrlich sein? Dann verlasse ich jetzt die Rolle des Seelsorgers. Es wundert mich nicht, dass dich andere Männer attraktiv finden – ich finde dich auch attraktiv. Und, wenn ich mit dir schlafe? Aber ich weiß nicht, ob eine sexuelle Beziehung gut für dich ist"", erzählt Silvia T.

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    "Er meinte, er wäre gerade in der Midlifecrisis, sexuell ausgehungert und es könnte mir guttun, da ich verklemmt wäre" - Silvia T.

    "Er meinte, er wäre gerade in der Midlifecrisis, sexuell ausgehungert und es könnte mir guttun, da ich verklemmt wäre. Er hätte auch den Film 'Herr der Gezeiten' mit Barbra Streisand gesehen, in dem sie eine Therapeutin spielt, die ihren missbrauchten Klienten durch Sex heilt", erinnert sich die heute Anfang Vierzigjährige, die damals selbst in der kirchlichen Jugendarbeit tätig war.

    Für die junge Frau brach eine Welt zusammen: "Nach meiner Ablehnung seines Sex-Angebotes kam es zunächst zur Auseinandersetzung mit dem Pfarrer. Dann zu meinem Ausschluss von Gemeindeaktivitäten. Er machte mir die Arbeit in der Gemeinde unmöglich, da er mich bei anderen als unglaubwürdig und psychisch krank darstellte, und ihm auch geglaubt wurde. Ich hatte keine Chance mehr auf Mitarbeit", meint Silvia T.

    "Ich war immer der Meinung, dass muss man doch intern regeln können. Ich wollte niemandem 'reinhauen' – es ist mir immer darum gegangen, das an einem Tisch zu klären" - Silvia T.

    Trotz allem kam eine Anzeige bei der Polizei für sie damals nicht in Frage: "Ich wollte seine Familie nicht zerstören. Ich bin ja in der Kirche neben seiner Frau gesessen und hatte eines seiner Kinder in der Jugendarbeit. Ich war immer der Meinung, dass muss man doch intern regeln können. Ich wollte niemandem 'reinhauen' – es ist mir immer darum gegangen, das an einem Tisch zu klären."

    Silvia T. wendet sich daher an mehrere Kirchenangehörige. Hilfe erhält sie nach eigenen Angaben keine – stattdessen bekommt sie von offenbar überforderten Pfarrern und anderen Gemeinde-Mitarbeitern Sätze wie "Hast du dich in ihn verliebt? Du wirst schon das Deine dazu beigetragen haben", "Du solltest es als Kompliment auffassen, er sagt das nur zu wirklich attraktiven Frauen" oder "Da hat er ordentlich danebengehauen. Ich kann damit rechnen, dass du ihn nicht anzeigst, er ist doch auch mein Freund!" zu hören. "Andere meinten, dass ich den Vorfall ohnehin nicht würde beweisen können, hatten Angst mit hinein gezogen zu werden oder fühlten sich nicht zuständig", so die Ehefrau und Mutter.

    Pfarrer verfasste Entschuldigungsbrief

    Immer wieder bittet die Salzburgerin an unterschiedlichen Stellen der evangelischen Kirche um Hilfe und Aufarbeitung des Vorfalls, rennt aber nach eigenen Angaben gegen Mauern. 2010 wendet sie sich schließlich an die Gleichstellungsbeauftragte, es folgt ein Gespräch mit dem damaligen Bischof. Zwei Monate später erhält Silvia T. einen äußerst vage im Konjunktiv gehaltenen Entschuldigungsbrief des Pfarrers als nach ihren Angaben einzige Intervention. 

    Dass dies die einzige Intervention war, bestreitet die Evangelische Kirche: "Die Behauptung, es wären Jahre vergangen, bis die
    Kirche (re-)agiert habe bzw. es zu einem Mediationsverfahren gekommen sei, ist belegbar falsch. Tatsache ist, dass es in den Jahren zwischen 2010 und 2018 u.a. mehrere persönliche Gespräche zwischen dem Bischof und dem Opfer gab, woraufhin sich die Kirche damals u.a. bereit erklärt hat, die Kosten für Therapiesitzungen zu übernehmen", heißt es in einer Stellungnahme an "Heute".

    Der Entschuldigungsbrief des Pfarrers
    Der Entschuldigungsbrief des Pfarrers
    zVg

    Mediation mit Pfarrer wurde abgebrochen

    2018 – also 13 Jahre nach dem Vorfall – findet eine Mediation statt: "Der Pfarrer zeigte keinerlei Einsicht. Er meinte, ich hätte ihm eindeutige Signale gesendet. Auch alle anderen hätten gesagt, dass mit mir etwas nicht stimmen würde, er musste die anderen vor mir warnen. Ich sah keinen Sinn mehr in der Mediation, brach sie ab und wechselte die Kirchengemeinde", berichtet die Salzburgerin. Aber auch dort setzte sich laut Silvia T. die Rufschädigung fort, die nie aufgearbeitet wurde. Als Konsequenz wurde ihr nahegelegt, aus der Kirche auszutreten.

    2020 schaltet die Ombudsfrau der katholischen Kirche laut Silvia T. schlussendlich den Weissen Ring ein, der nach Angaben der Salzburgerin von der Evangelischen Kirche bereits 2012, spätestens aber nach dem Synoden-Beschluss 2018 hätte eingeschaltet werden müssen: "Das Fazit eines einmaligen Gesprächs mit einer Vertreterin des Weissen Rings und dem Bischof war –  als Alternative zum Disziplinarverfahren – ein pauschales Rundschreiben an alle Seelsorger sowie die Kostenübernahme für 20 Therapiestunden. Eine Konsequenz, geschweige denn eine Aufarbeitung der Rufschädigung durch den Pfarrer sowie der Schädigung seiner Kollegen oder eine stellvertretende Wiedergutmachung, gab es nicht. Ich hätte mir zumindest ein internes Verfahren erwartet", ist Silvia T. noch immer wütend.

    Weisser Ring legt keine Entschädigung fest

    "Es ist nicht richtig, dass der Weisse Ring erst durch die Ombudsfrau der Katholischen Kirche eingeschaltet wurde. Wahr ist vielmehr, dass der vormalige Bischof den Kontakt zum Weissen Ring – im Einklang mit unseren diesbezüglichen Richtlinien – schon Jahre zuvor empfohlen hat und das Clearing 2020 auf Anregung des aktuellen Bischofs erfolgte. Die Ombudsfrau der katholischen Kirche wurde lediglich – aufgrund ihres bereits bestehenden, vertrauensvollen Kontakts zum Opfer sowie ihrer Verortung in Salzburg – mit der Erstellung des Clearingberichts beauftragt, um der Betroffenen dadurch aus Sicht der Evangelischen Kirche Fahrten zu Terminen in Wien zu ersparen", heißt es seitens der Evangelischen Kirche.

    "Darüber hinaus ist das Verfahren beim Weissen Ring, anders als behauptet, keine 'Alternative zum Disziplinarverfahren', sondern dient vor allem dazu, dass von unabhängiger Seite festgestellt wird, ob und in welcher Form dem Opfer eine Entschädigung zusteht. Die Evangelische Kirche hat es sich zum Prinzip gemacht, derartige Entscheidungen nicht kirchenintern zu treffen und die diesbezüglichen Empfehlungen des Weissen Rings als bindend zu betrachten, um keine
    Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die Anliegen von Betroffenen angemessen beurteilt werden. Tatsache ist, dass der Weisse Ring damals entschieden hat, dass seitens der Kirche keine Entschädigung zu leisten ist", wird in der Stellungnahme ausgeführt.

    Disziplinarverfahren wurden beantragt

    Nach der für Silvia T. enttäuschenden Entscheidung des Weissen Rings beschließt sie, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen: "Ich habe zwei Disziplinarverfahren beantragt. Dass ich das selbst machen kann, hatte mir bis zu diesem Zeitpunkt niemand gesagt", meint sie. Das eine Verfahren, das die eigentliche sexuelle Belästigung betrifft, wird aufgrund der Verjährung eingestellt.

    Im anderen Verfahren geht es um folgende Aussage, die der Pfarrer bei der Mediation 2018 getätigt haben soll: "Es gab keine sexuellen Übergriffe, sondern ich habe meine Rolle als Pfarrer, als Seelsorger kurzzeitig verlassen." Die Mediatorin sagt als Zeugin aus, und auch Silvia T. kommt kurz zu Wort. Der Pfarrer wird schuldig gesprochen, geht aber in Berufung und wird schließlich freigesprochen: "Weitere Zeugen wurden nicht befragt, Beweise nicht angeschaut", wundert sich Silvia T. weiter, bei der als Folge eine komplexe Traumafolge-Störung diagnostiziert wurde.

    Evangelische Kirche bedauert sexuelle Belästigung

    "Mehr als 40 Kircheninterne waren nicht bereit, sich mit ihrem Fehlverhalten und ihrer Überforderung auseinanderzusetzen und den Fall zur Aufarbeitung in professionelle Hände abzugeben, stattdessen wurde ich richtiggehend raus gemobbt. Und das, obwohl es die Strukturen zur Unterstützung durchaus gegeben hätte", ärgert sich Silvia T.

    Die Evangelische Kirche bedauert, dass es "im Jahr 2005 zu einer verbalen sexuellen Belästigung durch den von Ihnen genannten evangelischen Pfarrer gekommen ist. Ein solches Verhalten ist inakzeptabel. Die Evangelische Kirche nimmt Vorwürfe von sexueller Belästigung und Gewalt äußerst ernst."

    Nummern für Betroffene und Ansprechstellen
    Gewalt
    Frauenhelpline (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 222 555
    Männernotruf (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 246 247
    Rat auf Draht: 147
    Autonome Frauenhäuser: 01/ 544 08 20
    Gewaltschutzzentren: +43 1 585 32 88
    Weisser Ring: 0800 112 112
    Mobbing
    WKO Wien: +43 1 514 50 1010
    Mona-Net: Gewalt und Mobbing im Internet: mona-net.at

    "Wir bedauern außerordentlich, dass der Schmerz, den die verbale sexuelle Belästigung des Pfarrers ausgelöst hat, durch die vielfältigen Bemühungen nicht gelindert werden konnte" - Evangelische Kirche

    "Als sich die Betroffene damit 2010 an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche wandte, wurde seitens der zuständigen Stellen unverzüglich reagiert. Dem Pfarrer wurden entsprechende Konsequenzen auferlegt, er musste sich dem Wunsch des Opfers entsprechend entschuldigen und einem Mediationsverfahren stellen, vor allem aber wurden seither zahlreiche Anstrengungen unternommen, um den Schaden wiedergutzumachen und den Vorfall dem Willen der Betroffenen entsprechend aufzuarbeiten. Unter anderem wurden von hochrangigen Vertretern der Kirche Gespräche mit dem Opfer geführt", heißt es weiter.

    Zudem bedauere die Evangelische Kirche außerordentlich, "dass der Schmerz, den die verbale sexuelle Belästigung des Pfarrers ausgelöst hat, durch die vielfältigen Bemühungen nicht gelindert werden konnte", sieht sich aber an die Ergebnisse der unabhängigen Instanzen des Disziplinarsenats sowie des Weissen Rings gebunden.

    "In Zukunft würde ich mir eine offene und kritikfähige Kirche wünschen, die – wo Fehler passieren – ganz besonders gut hinsieht, um es besser zu machen" - Silvia T.

    Für die Evangelische Kirche ist der Fall somit abgeschlossen, für Silvia T. nicht: "In Zukunft würde ich mir eine offene und kritikfähige Kirche wünschen, die – wo Fehler passieren – ganz besonders gut hinsieht, um es besser zu machen. Und ich würde mir wünschen, dass die oberste Prämisse bei derartigen Vorfällen eine zeitnahe Unterstützung von Opfern wie auch Tätern sowie eine lückenlose und professionell begleitete Aufarbeitung ist."