Ukraine

Pikante Prognose – darum läuft Putins Zeit ab

Seit einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Laut Russland-Kenner Ulrich Schmid ist ein schnelles Ende nicht absehbar – von Putin aber sehr wohl.

Gelingt Putin bis 2024 keine Kriegsentscheidung, ist er wohl als Präsident Geschichte.
Gelingt Putin bis 2024 keine Kriegsentscheidung, ist er wohl als Präsident Geschichte.
via REUTERS

Ein Jahr Krieg in der Ukraine hat die Welt verändert. Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen (HSG), sagt zum kurzfristigen Ausblick: "Russlands Ziel wird es in den nächsten Monaten sein, die vier annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja wieder gänzlich unter Kontrolle zu bringen und zu halten."

Entscheidend für die Frage, ob dies gelingt, wird laut Schmid die Lieferung der westlichen Kampfpanzer sein. "Da harzt es derzeit, ich gehe nicht davon aus, dass die Panzer vor dem Spätsommer in der aktuell angekündigten Zahl von etwas über 100 Kampfpanzern einsatzbereit und die ukrainischen Mannschaften entsprechend trainiert sein werden."

Kriegsmaschinerie von Russland gegen westliche Waffen

Schmid geht davon aus, dass die "heiße Phase", in der sich der Krieg gerade befinde, noch sicher bis Ende 2023 weitergehen wird. Dafür nennt er mehrere Gründe:

- Russland hat noch viele Panzer in der Reserve, die aber technologisch den westlichen unterlegen sind. Die russische Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren und Putin scheut sich nicht vor einer Materialschlacht. Das haben die letzten Monate gezeigt.
- Man kann derzeit nicht davon ausgehen, dass das politische System in Russland zusammenbricht. Putin schwört die Bevölkerung mit propagandistischem Trommelfeuer auf die Notwendigkeit dieses Kriegs ein. Ein Umsturz von Innen ist deshalb zurzeit unwahrscheinlich.
- Die Wirtschaftsleistung der Ukraine ist zwar um die Hälfte eingebrochen, doch der Wille Westeuropas und der USA, die Ukraine mit allem zu unterstützen, was sie braucht, ist derzeit ungebrochen.
- Der Widerstandsgeist der Ukraine ist enorm. Selbst wenn Präsident Selenski plötzlich umschwenken und Russland im Austausch für Frieden einen territorialen Gewinn zusichern würde, käme das einem politischen Selbstmord gleich: Die ukrainische Bevölkerung würde einen solchen Verhandlungsfrieden nach all den Opfern und Entbehrungen nicht akzeptieren.

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    "Mit meiner heutigen Ansprache spreche ich in einer Zeit unumkehrbarer Veränderungen in der Welt, in einer Zeit großer historischer Ereignisse, die ...
    "Mit meiner heutigen Ansprache spreche ich in einer Zeit unumkehrbarer Veränderungen in der Welt, in einer Zeit großer historischer Ereignisse, die ...
    IMAGO/ITAR-TASS

    Im Moment läuft laut Schmid also alles auf weitere Monate des Zermürbungskriegs hinaus. Weder sei es realistisch, dass Russland seine Ziele rechtzeitig erfüllen und die vier Regionen komplett erobern kann, noch sei die Ukraine in der Lage, die russische Armee ganz aus dem eigenen Land zu vertreiben.

    Gleich drei Präsidentschaftswahlen 2024

    Am wahrscheinlichsten ist für Schmid deshalb das Szenario, dass die heftigen Kämpfe an der Front und die Bombardierungen im ganzen Land bis Ende 2023 weitergehen. "Dann könnte der Krieg sich abkühlen und es könnte mittel- bis langfristig zu einem Szenario wie in Korea 1953 kommen." Nach drei Jahren Krieg wurde damals ein Waffenstillstand vereinbart, das Land ist bis heute zweigeteilt mit einer Waffenstillstandslinie.

    Interessant wird es laut Schmid, wenn der Krieg sich auch 2024 noch in der "heißen Phase" befindet: 2024 stehen in Russland, in der Ukraine und in den USA Präsidentschaftswahlen an. "Herrscht bis dann immer noch Krieg, kann ich mir vorstellen, dass Wladimir Putin nicht mehr zur Wahl antritt. In dem Fall würde er wohl rechtzeitig einen Nachfolger aufbauen, der drei Kriterien erfüllen muss:

    - Er müsste loyal sein zum "System Putin" und die herrschende nationalistische Ideologie stützen.
    - Er müsste die Privilegien der russischen Elite garantieren.
    - Er müsste das Land modernisieren und aus der Isolation herausführen können.

    Auch die Unterstützung der Ukraine durch US-Präsident Joe Biden könnte im Wahlkampf laut Schmid ins Wanken geraten. "Im Moment kann Biden mit seiner Freiheitsrhetorik noch überzeugen. Wenn es in den Wahlkampf geht, könnten innenpolitische Probleme und kritische Stimmen zu den Kosten der Unterstützung für die Ukraine aber in den Vordergrund treten."