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Polizist nahm Sarah wohl fest, bevor er sie tötete

Der Polizist nutzte seinen Status, um sein Opfer in eine Falle zu locken. Der Fall lässt auch ein halbes Jahr später noch die Wogen hochgehen.

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    Der Fall der getöteten Sarah Everard (33) löste in London und ganz Großbritannien Bestürzung und eine breitflächige Debatte über die Sicherheit von Frauen aus. Nun kommt raus, dass der Täter wohl in Uniform war, als er sein Opfer entführte und tötete.
    Der Fall der getöteten Sarah Everard (33) löste in London und ganz Großbritannien Bestürzung und eine breitflächige Debatte über die Sicherheit von Frauen aus. Nun kommt raus, dass der Täter wohl in Uniform war, als er sein Opfer entführte und tötete.
    AFP

    In die Falle gelockt und ermordet: Ein Polizist hat nach Darstellung der Anklage eine Festnahme inszeniert, um die Londonerin Sarah Everard zu vergewaltigen und zu töten. Der 48-Jährige habe im März so getan, als kontrolliere er die 33-Jährige wegen eines Verstoßes gegen die damaligen Corona-Regeln, sagte Staatsanwalt Tom Little am Mittwoch vor dem Londoner Strafgericht Old Bailey. Es sind bislang noch nicht bekannte Details, mit denen der Ankläger in dem aufsehenerregenden Fall schwere Vorwürfe gegen den geständigen Mann erhebt.

    Täter nutzte Angst vor Corona-Regelbruch

    Sarah Everard war am 3. März dieses Jahres zu Fuß auf dem Heimweg von einer Freundin, als sie verschwand. Landesweit war die Anteilnahme gewaltig, eine große Suchaktion wurde gestartet. Der Ausgang sorgte für Trauer und Wut: Tage später wurde Sarah Everards Leiche in einem Waldstück in der südostenglischen Grafschaft Kent gefunden. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass ein Mitglied der Londoner Polizei dringend tatverdächtig war.

    Staatsanwalt Little ist sicher, dass der Angeklagte – verheiratet, zwei Kinder – die junge Frau angehalten und sich dabei als Polizist vorgestellt hat. Die Tatsache, dass Everard während des relativ strengen Corona-Lockdowns auf dem Rückweg vom Abendessen bei einer Freundin gewesen sei, habe die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie einen Verstoß gegen Corona-Beschränkungen eingesehen habe, sagte der Ankläger. Weil er zuvor an Corona-Patrouillen teilgenommen hatte, habe der Polizist gewusst, wie mutmaßliche Regelbrecher angesprochen werden.

    Im März war es in England nicht erlaubt, sich zu Hause zu besuchen. Der 48-Jährige habe Everard mit Handschellen gefesselt und dann mit einem Leihwagen nach Kent gefahren. Dort habe er die junge Frau vergewaltigt und mit seinem Gürtel erdrosselt.

    1.800 Stunden Videoaufnahmen

    Minutiös zeichnete Little vor Gericht nach, wie der Polizist sich mutmaßlich auf die Tat vorbereitete und wie er an den folgenden Tagen versuchte, seine Spuren zu verwischen. Wie der 48-Jährige sich Benzin besorgte, um die Leiche zu verbrennen, Müllsäcke kaufte, um Everards Handy zu entsorgen, dass er immer wieder zum Tatort fuhr – und wenige Tage später in unmittelbarer Nähe Zeit mit seiner Familie verbrachte: Alles gestützt von Kameraaufnahmen und Funkzellenüberwachung. Dabei wird klar, dass Sarah Everard ein Zufallsopfer war.

    1.800 Stunden Bilder seien ausgewertet worden, berichtete Little. Auch auf die Spur des Polizisten kamen die Ermittler durch Überwachungsbilder – eine Bus-Kamera zeichnete den Moment auf, in dem er Everard anhielt. Der verdächtige Wagen war ein Mietauto, für das der Angeklagte seinen Namen und seine Kontaktdaten genutzt hatte.

    Schnell räumte der Polizist ein, die junge Frau entführt zu haben. Er habe dies aber nur getan, weil er von einer Bande osteuropäischer Krimineller gezwungen worden sei, erzählte er. Bei denen habe er Schulden gehabt, sie hätten seine Familie bedroht. Die Ausrede brach bald zusammen. An diesem Donnerstag wird der 48-Jährige aller Voraussicht nach wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Neuer Fall erschüttert Großbritannien

    Es ist der juristische Schlusspunkt eines Falls, der das Land in Atem gehalten hat. Landesweit sorgte der Mord an Sarah Everard für Wut und Entsetzen, eine neue Debatte über Gewalt gegen Frauen begann. Herzogin Kate legte öffentlich Blumen nieder. Der Hashtag "shewasjustwalkinghome" – sie ist doch nur heimgegangen – wurde zum Schlagwort für zahlreiche Berichte über Belästigung und sexuelle Übergriffe. Die Londoner Polizeichefin Cressida Dick geriet unter Druck, weil ihre Einsatzkräfte eine Mahnwache Hunderter Frauen für Everard mit Verweis auf Corona-Regeln gewaltsam auflösten.

    Doch geändert hat sich nicht viel. Derzeit sorgt erneut ein Mord an einer jungen Frau in London landesweit für Entsetzen. Die 28-jährige Sabina Nessa verschwand auf dem kurzen Weg von ihrer Wohnung zu einem Pub, ihre Leiche wurde am nächsten Tag gefunden, ein 36-Jähriger ist mittlerweile angeklagt. Seit dem Mord an Sarah Everard wurden in Großbritannien Dutzende Frauen mutmaßlich von Männern getötet.