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"Putins Vergeltungsschläge werden noch brutaler werden"

Wladimir Putin wird in die Defensive gedrängt. Wie wird er reagieren? Zwei Militärexperten ordnen ein.

20 Minuten
Die Erfolge der Ukraine provozieren Putin enorm. Die Prognose sieht düster aus. Sieht er Atomwaffen als letztes Mittel im Krieg?
Die Erfolge der Ukraine provozieren Putin enorm. Die Prognose sieht düster aus. Sieht er Atomwaffen als letztes Mittel im Krieg?
via REUTERS

Die Welt blickt auf Russland und fragt sich, wie Wladimir Putin auf die Teilerfolge der Ukraine reagieren wird. Laut den beiden Experten Jean-Marc Rickli vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik und dem Strategieexperten Marcel Berni von der ETH kann eine Eskalation nicht ausgeschlossen werden.

Marcel Berni erklärt im Gespräch mit "20 Minuten": "Es ist ein klarer ukrainischer Durchbruch durch die russischen Linien an der Nordostfront zu beobachten. Dabei handelt es sich um einen operativen Überraschungserfolg, der die Russen nun zur Reaktion zwingt."

"Leider wird sich Putin zumindest mittelfristig mit Vergeltungsschlägen aushelfen, die häufig unschuldige Zivilisten treffen. Diese könnten noch brutaler ausfallen, als bisher. Zudem könnte er das dritte russische Armeekorps in die Ukraine entsenden", prognostiziert Berni.

Jean-Marc Rickli erläutert seine Sicht der Dinge: "Wie die Reaktion ausfallen wird, ist immer schwierig zu sagen. Eine Eskalation kann aber nicht ausgeschlossen werden. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Ukraine weiter vorrückt und russische Truppen weiter in Richtung der russischen Grenze zurückdrängen. Putin könnte diese Dynamik dann stoppen wollen, indem er mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen oder nuklearer Erpressung in Saporischschja droht."

Schaut Putin also nur einem eskalierenden Gegenangriff entgegen?

Rickli: Nein, es gibt auch noch die Möglichkeit, dass Putin aufgrund des Vorstoßes der ukrainischen Armee versuchen will, Verhandlungen aufzunehmen, da die russischen Streitkräfte erschöpft sind. Putin würde die Krim und Teile des Donbass behalten wollen, um die Situation einzufrieren. Die Ukrainer wären aber allem Anschein nicht bereit dazu und würden das Momentum ihrer Siege bewahren wollen und weiter zurückschlagen.

Sind die Russen schlecht in der Kriegsführung?

Berni: Die russischen Soldaten stehen schon lange im Feld und ihnen gehen personelle und materielle Reserven aus. Nun werden sie überraschend ins Sandwich genommen, weil die Ukrainer parallel im Nordosten und Süden angreifen. Damit müssen sich die Russen auf einem langen Frontbogen verteidigen – mit wenig Bodenkräften, die jetzt durch die zeitgleichen Angriffe auseinandergezogen werden.

Was bedeutet das für den russischen Angriffskrieg?

Berni: Die Russen können zur Zeit keinen konzentrierten operativen Schwerpunkt mehr aufbauen, also genau das, was Russland Anfang Sommer im Donbass noch stark gemacht hat.

Putin wird in die Enge gedrängt. Wächst damit die Wahrscheinlichkeit, dass es nun zu einem atomaren Angriff kommt oder Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden?

Berni: Ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen ist von Anfang an im Raum gestanden. Es ist schwierig zu sagen, wie Putin nun weiter vorgeht. Vielleicht sehen wir morgen einen atomaren Pilz über der Ukraine – was ich nicht hoffe. Ich gehe davon aus, dass er keine Atom- oder Waffenvernichtungswaffen einsetzen wird.

Weshalb?

Berni: Der Angriff mit solchen Waffen würde dazu führen, dass der Krieg in neue Sphären gelangt und noch härtere Gegenschläge aus der Ukraine und auch von der NATO erfolgen würden. Dies will Putin vermeiden. Außerdem haben die Drohungen, Nuklearwaffen einzusetzen, in den letzten Wochen abgenommen.

Rickli: Die Russen könnten sich aber für eine Eskalation nach der Doktrin «Eskalation zur Deeskalation» entscheiden. In letzterem Fall könnten sie verschiedene Waffen einsetzen und strategische Ziele in der gesamten Ukraine angreifen, auch im hinteren Teil des ukrainischen Territoriums. Die Frage ist jedoch, welche Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Durchführung solcher Operationen bestehen. Nach dem, was wir jetzt auf dem Schlachtfeld sehen, sieht es so aus, als seien die russischen Einheiten erschöpft und nicht in der Lage, gemeinsame Operationen durchzuführen.

Wie erklären Sie sich die Erfolge der ukrainischen Armee in den letzten Tagen?

Berni: "Die Ukraine hat das Gefechtsfeld in den letzten Wochen erfolgreich vorbereitet. Russischer Nachschub wurde angegriffen und eine Offensive um Kherson angepriesen. Außerdem hat die Ukraine in letzter Zeit ihre Soldaten an westlichem Gerät ausgebildet, das sie jetzt sehr geschickt einsetzen. Die Ukraine beherrscht das mobile Zusammenspiel zwischen Infanterie und mechanisierten Verbänden zur Zeit besser als die Russen. Der rasche Vorstoß im Nordosten hat die Moral auf ukrainischer Seite befeuert."

Weshalb setzt Putin nun nicht seine Luftwaffe ein?

Berni: "Das hat zwei Gründe: Zum einen hat sich während des Kriegs gezeigt, dass die russische Luftwaffe technologisch nicht so ausgefeilt ist, wie es der Westen angenommen hat. Viele Raketen sind beispielsweise nicht sehr präzise. Zum anderen hat Putin Angst vor der Luftverteidigung der Ukraine. Ganz am Anfang des Kriegs schoss die Ukraine Hubschrauber vom Himmel. Sollten Putin auch die Kampfjets vom Himmel geschossen werden, würde er das Gesicht im eigenen Land verlieren. Weiter kann ich mir vorstellen, dass er die Luftwaffe zurückhalten will, sollte der Krieg weiter eskalieren. Putin würde dann die Luftwaffe als letzte Verteidigungsstaffel nutzen."

Welchen Einfluss haben die westlichen Geheimdienste – informieren diese die ukrainische Armee und unterstützen so den Gegenangriff?

Berni: "Westliche Geheimdienste haben die Ukraine schon vor dem Beginn des Krieges mit Informationen versorgt. Diese geheime Unterstützung ist im Moment sehr wichtig und erklärt viele vermeintlich überraschende ukrainische Nadelstichoperationen der letzten Monate."

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