Fussball

Rangnick: "Klasse, überall der Geruch von Bratwurst"

Ralf Rangnick ist in Österreich angekommen. Wie sieht sein Leben als ÖFB-Teamchef aus? Was ist mit Rot-Weiß-Rot möglich? "Heute" fragte nach.

Erich Elsigan
ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick nahm sich über eine Stunde Zeit.
ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick nahm sich über eine Stunde Zeit.
Heute

Ralf Rangnick nahm sich Zeit. Viel Zeit. Der ÖFB-Teamchef reiste vergangenen Sonntag nach Wien, um zum ersten Mal ausführlich mit der rot-weiß-roten Medien-Landschaft zu plaudern. Im Hotel Kempinski nahm der 64-Jährige auf einem weißen Leder-Chefsessel Platz, sprach mit "Heute" über das Nationalteam, die Stadionfrage, Schiedsrichter und den Geruch von Bratwurst.

Herr Rangnick, wie sieht der Tagesablauf eines Teamchefs aus, wo haben Sie Ihren Lebensmittelpunkt?

"Ich pendle noch zwischen Leipzig, wo ich meine Wohnung habe, die ich aber verkaufen will, und meiner Heimatstadt Backnang. Ich bin auch öfter in Salzburg. Ich bin derzeit auf der Suche nach einem Ersatzstandort für Leipzig, das kann durchaus in Österreich sein. Zum Tagesablauf: Kein Tag ist gleich. Ich bin im ständigen Austausch mit meinen Kollegen. Wir haben zum Beispiel am Mittwoch einen Zoom-Call, wo wir den Kader für den nächsten Lehrgang vorbesprechen wollen. Klar sind wir auch viel in den Stadien unterwegs."

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    gepa

    Zuletzt waren Sie in Lustenau, haben dort das 0:6 gegen Salzburg mitverfolgt. Wie war Ihr Eindruck?

    "Ich bin seit über 40 Jahren im Fußball tätig. Es war herrlich, mal wieder Fußball, wie man ihn sich vorstellt, zu sehen. Ich fand es süß, wie der Stadionsprecher gesagt hat: 'Wir bedanken uns bei 4.500 Zuschauern und sind ausverkauft.' Es passiert in einer ersten Liga selten, dass du mit 4.500 Zuschauern ausverkauft bist. Es war eine tolle Atmosphäre. Und auch rundherum war es so, wie du dir Fußball vorstellst. Es war überall der Geruch von Bratwurst. Ich fand es klasse."

    Im Vergleich zu Ihren bisherigen Jobs: Haben Sie als Teamchef mehr oder weniger zu tun?

    "Es liegt ja immer auch an einem selbst, wie viel Zeit man in etwas investiert. Wenn die Lehrgänge anstehen, ist es schon intensiv – aber nicht vergleichbar mit der Tätigkeit eines Vereinstrainers. Wir haben ja keine Spieler, mit denen wir täglich trainieren können und keinen Standort, wo wir sagen können, wir machen da was. Sich jeden Tag vier Stunden lang in Zoom-Calls auszutauschen, macht auch wenig Sinn. Entscheidend ist, dass wir wissen, wie die Jungs drauf sind, dass uns keiner durch den Raster fällt."

    Können Sie uns ein paar Kalender-Einträge nennen?

    "Nach dem nächsten Lehrgang werde ich noch ein, zwei Wochen in Wien bleiben. Ich werde mir Trainingseinheiten bei Rapid und der Austria anschauen. Die U21 spielt am 27. September gegen Wales auf der Hohen Warte, auch da bin ich dabei. Und ich habe vor, mich mit Frauen-Teamchefin Irene Fuhrmann zu treffen, um sie kennenzulernen."

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      Sie haben die halbe Fußball-Welt gesehen. Was sagen Sie zur Infrastruktur in Österreich?

      "Österreich ist wahrscheinlich sogar noch vor der Schweiz das Land mit den besten Trainingscamps für Teams im Sommer – da sind Top-Hotels mit Top-Trainingsplätzen vereint. Deswegen kommen ja selbst aus den fünf europäischen Top-Ligen viele Vereine nach Österreich. Und gleichzeitig fragen wir uns beim Nationalteam, wo wir beim nächsten Lehrgang trainieren und wohnen wollen. Das Hotel hier in Wien ist klasse, ich bin gerne hier. Aber trotzdem fahren wir zwischen 20 und 30 Minuten zum Happel-Stadion – um dann auf irgendeinem der drei oder vier Plätze, der noch den halbwegs besten Zustand hat, zu trainieren. Das ist ja grotesk, wenn man sich das überlegt. Eigentlich müsste man dort hingehen, wo sonst Liverpool hinfährt. Da kommt dann das Problem: Wo sollen wir spielen? Man kann also nur dorthin gehen, wo man auch Länderspiele absolvieren kann."

      Die meisten finden aktuell im Prater statt. Bleibt das so?

      "Ich will mit Österreich Geschichte schreiben und dazu gehört auch, dass wir in jedem einzelnen Quali-Spiel eine geile Atmosphäre haben und die Post abgeht. Wo der Gegner sich denkt: 'Was ist dann hier los?' Ich habe darüber schon mit Peter Schöttel (ÖFB-Sportdirektor, Anm.) und Bernhard Neuhold (ÖFB-Geschäftsführer, Anm.) gesprochen. Nach der EM-Quali-Auslosung wollen wir schauen, gegen welchen Gegner wir in welchem Stadion die größte Chance und die bestmögliche Atmosphäre haben. Wo kriegst du das Stadion proppenvoll, wo stehen die Leute hinter der Mannschaft. Genau nach diesen Kriterien müssen wir die Heimspiel-Stadien vergeben, statt zu sagen: 'Wir spielen im Prater, weil wir schon immer dort gespielt haben.' Wenn du dort vor 15.000 Fans spielst, ist das Stadion halb leer. Du hast außer dem Praterstadion noch Salzburg, theoretisch Klagenfurt, in Zukunft Linz. Auch in Wien hätten wir grundsätzlich noch zwei weitere Stadien."

      Sie sprechen Linz an. Der LASK ist Tabellenführer. Kann er Salzburg gefährden?

      "Mich überrascht das nicht. Der LASK war ja bereits unter Trainer Ismael und davor unter Glasner ganz nah dran. Jetzt scheinen sie wieder eine richtig gute Truppe zusammengestellt zu haben. Das zeigt: Wenn du dich auf die wesentlichen Dinge konzentrierst, auf die richtige Zusammenstellung des Kaders, auf den Fußball, und dann auch noch den richtigen Trainer zur richtigen Zeit hast, kannst du Erfolg über die Leistungsentwicklung planen. Sie haben von 18 möglichen Punkten 16 geholt, da kann man nur den Hut ziehen."

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        Die legendärsten ÖFB-Legionäre 
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        Lässt sich dieser Höhenflug fortsetzen?

        "Aktuell ist Salzburg Zweiter. Normalerweise wird es schwierig für die Konkurrenz – wenn Salzburg keine gravierenden Fehler in der Kaderplanung oder Trainerplanung macht. Und diese Gefahr sehe ich nicht, solange Christoph Freund als Sportchef verantwortlich ist."

        Nochmal ein Blick nach Lustenau. Wie beurteilen Sie den Aufsteiger?

        "Ich finde, sie machen das ganz gut. Sie versuchen, junge Spieler zu entwickeln. Muhammed Cham war ja auch bei ihnen."

        Sie sprechen ÖFB-Talent Cham an. Er spielt heuer bei Clermont Foot in Frankreich, hält nach vier Spielen bei zwei Toren. Haben Sie Ihn schon für das Nationalteam am Zettel?

        "Klar, wir schauen schon, wo gibt es Spieler, die man vielleicht noch nicht so kennt. Gerade junge Spieler, wenn sie ein Profil haben, von dem wir nicht so gesegnet sind. Schnelle Konterstürmer, Tempodribbler. Cham hat bei Clermont jetzt in jeder Partie begonnen. Das heißt schon was in der französischen Liga. Es gibt noch paar andere Talente. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Es gibt Marlon Mustapha bei Mainz 05, der oft eingewechselt wird. Flavius Daniliuc, Dijon Kameri von Salzburg, der intern hoch gerated wird. Er hat sich körperlich enorm entwickelt, ist erst 18. Es würde mich nicht wundern, wenn er nächste Saison in Salzburg absoluter Stammspieler ist."

        Bleiben wir in Salzburg. Maxi Wöber mutierte wie bei Ihnen zum Linksverteidiger.

        "Es hatte schon gute Gründe, warum Matthias Jaissle ihn dort hingestellt hat. Er hat gesehen, dass Maxi das bei uns gut gemacht hat im Nationalteam. Und, bei allem riesengroßen Respekt: Andreas Ulmer wird auch nicht jünger. Er hat noch ein Jahr Vertrag, da macht man sich in Salzburg natürlich Gedanken, wer sonst noch auf der Position spielen kann."

        Ist Ulmer im Nationalteam noch ein Thema?

        "Jeder Spieler, der noch nicht seinen Rücktritt erklärt hat, ist ein Kandidat. Bei Andi muss man sehen: In zwei Jahren bei der EM wäre er 38. Was noch wichtiger ist: Er hat nur noch heuer Vertrag. Es kann ja sein, dass er nächsten Sommer seine Karriere beendet. Deshalb habe ich entschieden, mir andere Jungs anzusehen. Was Andi kann, weiß ich – ihn kann ich jederzeit nominieren."

        Schmerzt Sie der Rücktritt von Martin Hinteregger? Waren Sie überrascht?

        "Überraschend war es für alle, aber man muss es akzeptieren. Wenn ein Spieler im besten Fußballeralter in einer Situation, in der sich sein Klub und er selbst erstmals in der Vereinsgeschichte für die Champions League qualifizieren, sagt, er will nicht mehr, muss es schon ernst zu nehmende Gründe geben. Das macht normal keiner, auch finanziell betrachtet. Bei aller Professionalität im Fußball ist die Entscheidung mehr als zu respektieren. Denn hier geht es um den Menschen."

        Im ersten Lehrgang haben Sie Gernot Trauner zum Comeback verholfen. Warum?

        "Er bestreitet jedes Spiel bei Feyenoord, er macht es gut. Ist cool, unaufgeregt. Grundsätzlich will ich zur Kader-Nominierung sagen: Für mich die Form der letzten zwei, drei Monate entscheidend, nicht der letzten drei Jahre. Wir benötigen die bestmögliche Kader-Zusammenstellung, um erfolgreich zu sein. Da zählt nicht, was einer vor einem Jahr gemacht hat. Das ist uninteressant. Dass es immer wieder Ausnahmen geben kann, ist auch klar. Ein Beispiel ist Marcel Sabitzer. Er hatte keine gute Saison bei den Bayern, da hätte man sagen können: 'Er spielt nicht, darum lade ich ihn nicht ein.' Das wäre aber falsch gewesen. Denn wie er jetzt zeigt, hat er das Zeug, um bei den Bayern zu spielen. Und bei uns. Ausnahmen kann es also immer geben. Vielleicht trifft es diesmal Xaver Schlager. Er war einer der Spieler, die alle vier Spiele bei mir von Anfang an bestritten hat. Ich habe nichts von körperlichen Defiziten gemerkt. Die werden jetzt aber als Argument angeführt, warum er in Leipzig so wenig spielt. Die Defizite müssten zwischen dem ÖFB-Lehrgang und jetzt passiert sein. Da hat er aber bereits in Leipzig trainiert."

        Das Schiri-Wesen in Österreich sorgt immer wieder für Wirbel. Lange hat kein Referee bei einem Großereignis gepfiffen, der VAR macht in der Liga Ärger. Würden sich die Probleme lösen, wenn Profi-Schiedsrichter am Werk wären?

        "Gibt es die nicht? Das wird dann wohl finanzielle Gründe haben. Die Frage ist ja: Wie wirst du besser als Schiedsrichter? Sicher brauchst du Talent, Ausstrahlung, Führungspersönlichkeit. Aber alles andere ist Training möglichst nahe an Wettkampfbedingungen. Ich habe in England angeregt, dass die aktuellen Schiedsrichter unter der Woche bei den Vereinen vorbeischauen. Und zwar jede Woche bei einem anderen, damit keine Nähe entsteht. Und dann sollen sie die Trainingsmatches pfeifen. Das würde auch das Verständnis zwischen Spielern, Vereinen und Schiedsrichtern stärken. Das wäre hier wohl beruflich schwierig."

        Der Krieg in der Ukraine überschattet aktuell vieles. Was sagen Sie zur Situation?

        "Meine Eltern sind im Alter von 13 und 14 Jahren aus Königsberg beziehungsweise Breslau geflüchtet. Ein paar Wochen später waren beide Städte tatsächlich in Schutt und Asche gelegt. Mein Vater hat dann eine Stelle in Baden-Württemberg bekommen, dadurch bin ich später dort aufgewachsen. Es kann sich aber niemand vorstellen, dass wir mitten in Europa, ein paar Stunden von Wien entfernt, einen solchen Krieg haben. Das versteht keiner."

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