Österreich

Warum Rechtsextremisten Waffen horten

Heute Redaktion
Teilen
Picture

Bei der jüngsten Razzia in der Neonazi-Szene wurden auch Waffen gefunden. Experte Weidinger über Skinhead-Konzerte, Waffenlager und die rechte Digitalisierung.

Am Dienstag wurden 32 Privatwohnungen in ganz Österreich auf den Kopf gestellt. 217 Beamte führten die Razzia durch, es wird gegen 90 Beschuldigte aus der rechtsradikalen Szene nach dem Verbotsgesetz ermittelt. Ausgangspunkt war ein Konzert, das im Frühjahr des Vorjahres im obersteirischen Mürztal stattfand – "Heute.at" berichtete.

"Soweit wir wissen, gibt es solche Konzerte nicht oft in Österreich", sagt Rechtsextremismus-Experte Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) im Gespräch mit "Heute.at".

Zur Person

Dr. Bernhard Weidinger betreut die Rechtsextremismus-Sammlung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Seine Schwerpunkte liegen auf Rechtsextremismus und Neonazismus im internationalen Vergleich, Studentenverbindungen, Männlichkeiten, völkischem Nationalismus und der politischen Ideengeschichte ab dem 19. Jahrhundert.

(Foto: Foto Wilke | Mediendienst.com)

In den vergangenen Jahren hätten offen neonazistische Veranstaltungen eher im benachbarten Ausland stattgefunden. Also in der Schweiz, Deutschland und Italien – teilweise auch mit Teilnehmern aus Österreich.

Hierzulande bewegen sich die Konzerte laut Weidinger meist in einer Grauzone. Bands würden offiziell angekündigt spielen, auch wenn sie umstritten seien. "Weil einzelne Mitglieder mit einschlägigen Personen kooperiert oder in der Vergangenheit gewisse Symbole genutzt haben", so der Experte. Gleichzeitig würden sie sich allerdings offiziell von Neonazismus distanzieren – trotz teilweise verdächtiger Liedtexte.

Obwohl gegen 90 Beschuldigte ermittelt wird, kam es im Zuge der Razzia zu keiner einzigen Festnahme. "Das hat mich überrascht", sagt Weidinger. "Aber natürlich braucht es für eine Festnahme oder Untersuchungshaft entsprechende Haftgründe. Dass etwa keine Verdunkelungsgefahr geortet wurde, könnte daran liegen, dass zwischen Konzert und Hausdurchsuchung viel Zeit lag." Wer Spuren verwischen wollte, habe das möglicherweise bereits zwischen Konzert und Hausdurchsuchung getan.

Neben Flaggen mit einschlägigen Symbolen wurden auch Waffen sichergestellt. Die Behörden veröffentlichten unter anderem ein Foto, auf dem Messer, ein Schlagstock und ein Schwert zu sehen sind. Spezialisten prüfen nun, ob die Waffen einsatzfähig sind.

"Es gibt natürlich viele Menschen, die vor allem historische Waffen sammeln – SS-Dolche und Ähnliches. Weil ihnen alles gefällt, was mit Hitler zu tun hat", erklärt Weidinger. Es komme aber immer wieder zu Waffenfunden bei Neonazis – mit teils beachtlichem Umfang.

Wofür sie die Waffen horten? "Ich gehe davon aus, dass diese Leute das nicht aus Jux und Tollerei tun. Sie könnten sich auf eine erwartete bürgerkriegsartige Situation vorbereiten oder – abstrakt oder konkret – tatsächlich an offensive Aktionen denken. Jedenfalls ist das für mich naheliegend, wenn man sich diese Funde ansieht."

Er wisse nicht, was in diesem Fall genau sichergestellt wurde, doch bei Kriegsgerät aus dem Zweiten Weltkrieg dürfte es sich eher um Sammlerstücke handeln. Einsatzfähige, neuere Schuss-, Hieb- und Stichwaffen seien möglicherweise tatsächlich für den Einsatz gedacht.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wertete die Razzia als Beleg für die Handlungsfähigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). In letzter Zeit hatten sich die Meldungen gehäuft, der Geheimdienst erhalte nach der BVT-Razzia im Februar 2018 nicht mehr alle Informationen von ausländischen Partnerdiensten. Kickl bestreitet die Vorwürfe.

"Ich habe nicht den Eindruck, dass das BVT auf dem rechten Auge blind ist oder es in den letzten Jahren war", schätzt Weidinger die Lage ein. "Ich hoffe, dass das auch so bleibt und anstehende Organisationsreformen mit personellen Änderungen, die im Gespräch sind, die Wachsamkeit nicht beeinträchtigen."

Und wie sieht es mit rechtsterroristischen Akten in Österreich aus? Es ist eine Frage der Kategorisierung. "Es gab etwa den wenig beachteten Fall des 'Breivik von Traun'", gibt Weidinger zu bedenken.

Am 22. Juli 2011, also an demselben Tag, an dem der rechte Massenmörder Anders Breivik in Norwegen 77 Menschen tötete, war auch Johann N. (48) in Traun (OÖ) zur Tat geschritten. Er hatte einen Rumänen (65) erschossen sowie dessen Ehefrau (damals 63) und Sohn (damals 37) lebensgefährlich verletzt. Der Killer beging in der Untersuchungshaft Suizid. Später wurde bekannt, dass er weit mehr Menschen töten wollte. N. hatte vor, das Land "von Ausländern zu befreien", sagte ein Ermittler damals.

Außerdem habe es laut Weidinger immer wieder Übergriffe und Brandanschläge gegeben, teilweise mit Toten. "Der letzte Fall, den man ganz zweifelsfrei als rechtsterroristisch bezeichnen kann, war Franz Fuchs", so Weidinger.

Fuchs hatte von 1993 bis 1997 Anschläge mit Brief- und Rohrbomben gegen Migranten und Minderheiten sowie jene, die sie unterstützten, verübt. Die Anschlagserie forderte vier Todesopfer. 15 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, darunter auch der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ).

"Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten hat es auch seither gegeben", sagt Weidinger. "Und das Potenzial, auf das die wiederholten Waffenfunde hindeuten, gibt es natürlich auch."

Über die letzten zehn, fünfzehn Jahre stelle man eine steigende Tendenz bei Straftaten mit rechtsextremer Motivation fest. Dass die Szene in dieser Zeit gewachsen wäre, lässt sich nicht eindeutig feststellen. "Viele Delikte werden von unorganisierten Einzelpersonen verübt", erklärt Weidinger.

"2015 poppte auf Facebook eine Vielzahl neuer Grüppchen auf, die es aber nicht schafften, ihren Online-Support auf die Straße zu bringen und eher als virtuelle Phänomene einzuordnen sind."

Die Szene habe sich aber stark gewandelt. Neu sind etwa die Modernisierung des Rechtsextremismus durch die Identitären oder die Hinwendung zu Russland. Auch hätten sich in den letzten Jahren einige neue Print- und Onlinemagazine rechtsextremer Provenienz etablieren können.