Österreich

Rettungsübung bringt "Heute"-Blut in Wallung

Heute Redaktion
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Als Notfallsanitäter braucht man nicht nur viel Wissen, sondern auch eine gute Kondition. Wie anstrengend Einsätze sein können, durfte "Heute" am eigenen Leib erfahren.

2019 versorgte die Berufsrettung Wien 665 Patienten mit schweren traumatischen Verletzungen. Neben Verletzungen der Wirbelsäule und des Oberkörpers sowie Knochenbrüche mussten sich die Notfallsanitäter auch um stark blutende Wunden kümmern. Wie belastend und schweisstreibend diese Situationen sein können, durften ich und mein Kollege Maxim Zdziarski bei einem Übungsszenario der Profi-Retter selbst erleben.

"Männliches Opfer, Alter 23, Arbeitsunfall, Unfallort am Heliport der Berufsrettung Wien": So lauten die Informationen, die wir für unseren ersten Einsatz als Rettungssanitäter bekommen. Bevor wir uns aber an die Erstversorgung von stark blutenden Wunden machen (diese sind zum Glück nicht echt, sondern mit viel künstlerischem Geschick und Kunstblut aufgepinselt), bekommen wir in der Zentrale der Berufsrettung Wien in der Radetzkystraße 1 (Landstraße) eine Schnelleinschulung.

"Bei blutenden Wunden ist Zeitfaktor entscheidend"

"In der Ausbildung zum Notfallsanitäter kommen rund 1.600 Stunden zusammen. Die Berufsrettung Wien ist auch die einzige Rettungsorganisation, die zur Gänze von der Stadt Wien finanziert wird und die zusätzlich im Rahmen eines Pilotprojekts nach Abschluss der Ausbildung noch eine dreijährige Weiterbildung inklusive Diplom anbietet", erklärt unser heutiger Ausbilder Mathias Gatterbauer (36). Zusammen mit seinem Kollegen Bertram Schadler (35) – beides Field Supervisor und Lehrer an der Rettungsakademie – erklärt er uns, wie man bei der "Bleeding Control", also dem Stoppen von Blutungen, am besten vorgeht. Eine Herausforderung, denn als Journalistin bin ich (zum Glück) öfter mit ausrinnenden Kugelschreibern als mit klaffenden Wunden konfrontiert.

Die beiden Profis kennen ihren Job aus dem Effeff. Mathias ist seit zwölf Jahren bei der Berufsrettung Wien, Bertram seit sieben Jahren. "Viele Menschen haben eine falsche Vorstellung von unserem Job. Unsere Aufgabe ist nicht das Heilen von Verunglückten, sondern die rasche Erstversorgung, das Stabilisieren und der Transport in ein Krankenhaus", so Mathias.

Droht ein Unfallopfer zu verbluten, ist besondere Eile gefragt. "Im Durchschnitt hat ein Erwachsener zwischen fünf und sieben Liter Blut in seinem Körper. Etwa bei einem Drittel Blutverlust wird es lebensgefährlich. "Stark blutende Wunden sind auch für erfahrene Rettungssanitäter eine Ausnahmesituation. Um dennoch schnell und richtig helfen zu können, sind Routine und die Einhaltung eines strikten Leitfadens notwendig", so Mathias und Bertram.

Erste Versuche mit Abbindung und Wundverband

Routine bei der Versorgung von derartigen Verletzungen haben wir als Redakteure keine. Unsere Ausbilder bemühen sich trotzdem, uns alles Wichtige mit auf den Weg zu geben. Der erste Schritt ist das Kennenlernen der Materialien, mit denen wir später arbeiten sollen. "Zunächst geht es darum, die Blutzufuhr zur Wunde abzusperren, dafür verwenden wir ein Tourniquet, also eine professionelle Abbindung oder einen Wundschnellverband", erklärt Bertram.

Nach den ersten Versuchen, uns gegenseitig das Blut abzubinden, werden Maxim und ich mit dem Inhalt des Rettungsrucksacks und den Geräten der Sanitäter vertraut gemacht. "Für unsere Übung heute brauchen wir nur die Materialien zum Blutstillen, aber nur damit ihr seht, was da so drin ist", lacht Bertram.

Ein Alptraum wird wahr: Liegestütze

Ich schnalle mir den Rucksack um – und merke schnell, welches Gewicht die rund 700 Sanitäter der Berufsrettung Wien so jeden Tag mit sich herumschleppen. Maxim schnappt sich die übrige Ausrüstung: Neben einem Defibrillator zählt auch ein Absauggerät (falls der Rachenraum verlegt ist) und eine Sauerstoffeinheit dazu. Doch wenn wir denken, dass es jetzt gleich losgeht, werden wir enttäuscht. Denn zuerst stehen Liegestütz auf dem Programm. "Die Sanitäter müssen körperlich fit sein", grinst Mathias und schmeißt sich für die ersten Übungen auf den Boden. Maxim und ich folgen – wenn auch weniger elegant.

Nachdem das geschafft ist, dürfen wir uns an unsere erste blutende Wunde machen. "Bei Schuss- oder Stichwaffen stopfen wir diese mit sterilem Verbandsmaterial aus. Darauf kommt dann der Druckverband", weist uns Bertram an. Maxim und ich kommen der Aufforderung nach, während Mathias den Behälter mit dem Kunstblut drückt und das falsche Blut an uns vorbei spritzt. Trotzdem haben wir die Blutung innerhalb kürzester Zeit unter Kontrolle und nicken uns zufrieden zu.

Im Laufschritt runter, rauf und wieder runter

Die Entspannung hält aber nicht lange, denn jetzt, da wir die Basics gelernt und verstanden haben, müssen wir richtig ran. "Männliches Opfer, Alter 23, Arbeitsunfall, Unfallort am Heli-Port der Berufsrettung Wien" schallt es durch das Handfunkgerät. Schnellen Schrittes machen wir uns aus dem 1. Stock auf dem Weg aufs Dach der Berufsrettung Wien. Das heißt: Vollbepackt hasten wir Stufen runter, einmal ums Gebäude und dann mehrere Etagen wieder hinauf. Am Heli-Port angekommen, erklärt uns Mathias, das Opfer sei doch im Keller des Gebäudes. Aber wenn wir schon mal hier sein, könnten wir doch die Chance für ein paar Kniebeugen nützen. Unsere einzige Antwort ist ein leises Stöhnen. Unser Ausbilder ist trotzdem zufrieden und lässt uns wieder vom Dach.

Von dort sprinten wir – jetzt schon etwas kurzatmig – die Treppen hinunter, bis wir in einem nachgebauten Waldstück unser Opfer finden. Der erste Check sagt uns: drei blutende Wunden, der bisherige Blutverlust unbekannt. Klar ist aber, viel Zeit haben wir nicht. Entschlossen nehmen Maxim und ich die Versorgung der Wunden in Angriff. Dabei zeigt sich schnell, dass wir, dank anderer Übungen – etwa bei einem Einsatztraining der Polizei Wien – schon ein eingespieltes Team sind. So können die Blutungen bei unserem Unfallopfer rasch gestillt werden.

Schnaufend und voller Adrenalin schauen wir uns um – und blicken in die zufriedenen Gesichter unserer Ausbilder. "Das war für das erste Mal richtig gut", lobt Bertram. Als Belohnung für den guten Job lässt mich Mathias sogar kurz seine Berufsrettungs-Jacke anprobieren.

Höchste Anerkennung für Leistung der Berufsretter

Unser Training bei der Berufsrettung Wien zeigt wieder einmal sehr deutlich: Man weiß die Leistungen anderer erst dann richtig zu schätzen, wenn man es einmal selbst machen muss. In diesem Fall heißt das, Adrenalin, mögliche Behinderungen anderer oder vor Schmerzen schreiende Opfer ausblenden, um so schnell und richtig wie möglich helfen zu können.

Schon unsere kleine Reise durch ein paar Stiegenhäuser und vom Dach in den Keller, zeigt, wie schweißtreibend und körperlich fordernd der Job ist. Einsätze, wie etwa bei einer Baustelle auf 40 Metern Höhe wollen wir uns gar nicht vorstellen. Und dann müssen die Profi-Retter noch punktgenau und in Sekundenschnelle die richtigen Maßnahmen treffen. "Daher ist es so wichtig, die Standard Operating Procedures – also die genauen Handlungsschritte – zu kennen. In echten Einsätzen wissen die Sanitäter genau, wer was und wann macht", erzählt Mathias.

Um so weit zu kommen, braucht es ständige Übung und regelmäßige Trainings – so wie das Szenario zur "Bleeding Control", bei der nicht nur das Kunstblut spritzt, sondern auch das Blut von uns "Heute"-Redakteuren in Wallung gebracht wurde.