Politik

Das Leben von Christian Kern im Portrait

Heute Redaktion
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Publizist und Autor Robert Misik erklärt im Buch "Christian Kern, ein politisches Portrait", was den Ex-Kanzler antreibt, ihn prägte und wie er tickt.

Das 192 Seiten starke Buch erschien am Montag, den 22. Mai, im Residenz Verlag. "Heute" hatte das Portrait gelesen und bringt hier die wichtigsten Passagen:

Die Entscheidung, Kanzler zu werden

Nach außen hin erleben viele Mitstreiter Kern als jemanden, der nicht zögern würde, zuzugreifen, wenn die Wahl auf ihn fiele. Innerlich, so sagt er, war er aber durchaus ambivalent. Noch zwei Tage vor seiner endgültigen Designierung sagt er zu seiner Frau Eveline, womöglich werde der Kelch ja doch noch an ihnen vorübergehen. Kerns Frau nährt nicht unbedingt die Ambition, sondern eher die Skepsis. Kanzler? Das gesamte Leben auf den Kopf gestellt? Keine normale Minute mehr? Das muss nicht sein.

Wie tickt Kern?

"Er war immer der Fleißigste, Belesenste und der Gescheiteste von uns allen", erzählt ein langjähriger Weggefährte, der Kern noch aus den Tagen des sozialistischen Studentenverbands kennt. "Ja, er ist distanziert", sagt Maria Maltschnig, die mit Kern (zuerst als Assistentin) ins Kanzleramt übersiedelte. "Er ist ein irrsinnig kontrollierter Mensch, konsequent und diszipliniert. Das betrifft jede Gefühlsregung, aber auch den Sport."

War Kern einst ein Hippie?

"Wie lässt du los?", frage ich ihn. "Schon mal ausgebrochen? Nie Hippie gewesen?"

"Never! Ich war immer der Calvinist", erzählt Kern. "Die Phase, wo die Leute Partys feiern, auf den Putz hauen, die Sau rauslassen – die hatte ich nie. Ich glaub', ich habe zweimal in meiner Jugend durchgemacht, einmal zu Silvester, einmal nach der Matura. Sonst nie ... das Mörder-Party-animal war ich nie. Und das ging ja auch nicht, da ich ja sehr früh Vater geworden bin, und da fehlt dann einfach die Zeit."

Wie erholt sich Kern?

Abschalten, auf ganz andere Gedanken kommen – das heißt für Kern Musik hören, Ohrstöpsel rein, Depeche Mode oder Coldplay anstellen, noch mehr aber Sport betreiben. "Vier Stunden Tennis spielen, sich dann aufs Rad setzen und von Großenzersdorf nach Hainburg zum Braunsberg fahren und wieder zurück – das sind meine Exzesse. Voller Karacho, das ist der Normalfall. Wenn andere sagen: Bist du deppert, das tu ich mir nicht mehr an – da sag ich: ,Geht schon'. Etwa beim Mountainbiken. Du steigst nicht ab, bis du oben bist."

Die Eltern

Simmering, Kaiserebersdorfer Straße. Hier ist Christian Kern in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen, in einem schmucklosen Neubau, im Krieg zerstört, Ende der sechziger Jahre wieder aufgebaut. Eine Ecke weiter, in der Florian-Hedorfer-Straße, geht Kern in die Volksschule.

Christian Kerns Vater ist Arbeiter, aber nicht in einem großen Industrieunternehmen, sondern in einem kleinen Installationsbetrieb. "Mein Vater hat Elektriker gelernt, meine Mutter hat eine Handelsschule besucht", erzählt Kern. "Mein Vater hat Waschmaschinen verkauft und repariert und ist durch ganz Österreich getingelt. Meine Mutter war Sekretärin, bei SKF und bei Nivea. Dann haben sie ihr eigenes Geschäft gegründet, ein Milchgeschäft im zehnten Bezirk. Das haben sie gemeinsam geführt. Danach hat mein Vater eine Taxilizenz erworben und ist Taxi gefahren. Damit hat er das Familieneinkommen bestritten. Die Mama ist dann zu Hause geblieben" und hat sich um den kleinen Sohn und die zehn Jahre ältere Schwester gekümmert.

Was Kern in seiner Kindheit prägte

In der Familie war, wie das damals oft üblich war, "der Papa der gemütliche Typ". "Meine Mutter war extrem getrieben von Bildung, Bildung, Bildung. Bildung und Schule waren das Wichtigste. Sie hat immer geschaut, dass die Hausaufgaben gemacht werden. Dass ich rausgehe und Fußball spiele, ohne dass vorher die Hausaufgaben gemacht waren, das gab es nie."

Eltern kamen mit 1.200 Euro aus

"Als der Papa vor ein paar Jahren sehr krank geworden ist, habe ich meiner Mutter geholfen, den Papierkram für die Pflege zu erledigen. Die hatten gemeinsam 1.200 Euro Rente. Das heißt, sie haben ein entsprechend niedriges Einkommen gehabt. Aber mit dem Einkommen haben sie sich eine kleine Eigentumswohnung in Simmering erwirtschaftet, und ein kleiner Schrebergarten in Großenzersdorf ging sich auch aus."

Schiurlaub als einziger Luxus

"Man leistet sich keinen Luxus. Das einzige war: Einmal im Jahr sind wir auf Schiurlaub gefahren, ein, zwei Wochen nach Bad Kleinkirchheim, Mitterbach oder Bad Mitterndorf. Man wohnte in einem Pensionszimmer, und abends hat man am Zimmer gegessen. Und einmal im Urlaub, das war der einzige Luxus im Jahr, ging man ins Restaurant. Das war dann der Höhepunkt."

Die Sommer verbringt die Familie im Schrebergarten in Großenzersdorf. "Meinen ersten Auslandsurlaub habe ich mit 18 gemacht, da sind wir im Sommer dann nach Italien gefahren, nach Jesolo."

Kern als Teenager

Seine Teenagerjahre verbringt Kern im Gymnasium Gottschalkgasse. es sind die späten siebziger, frühen achtziger Jahre, für die jungen Leute ist Bruno Kreisky nicht unbedingt ein Held, auch die Sozialdemokratie übt nicht gerade eine große Anziehungskraft auf aufgeweckte heranwachsende aus.

Wandel vom Jung-Grünen zum Sozialdemokraten

Die ersten Vorformen der späteren Grünen entstehen, und der junge Christian Kern ist als Gymnasiast einer der lokalen Protagonisten. Er wird Mitbegründer der alternativen Liste Simmering, und noch als 19-jähriger ist er bei der Gründung der Grünalternativen Liste (GaL) dabei, einer eher linken Grünen-Liste, die bei den Nationalratswahlen 1986 antritt und läppische 6005 Stimmen erreicht.

Aber schon bald verlässt Christian Kern den Orbit der Ökologie- und Alternativbewegung. Er hat Soziologie und Politikwissenschaften inskribiert.

Ausgerechnet Günther Nenning, der selbst zum Grünen geworden und 1985 spektakulär aus der SPÖ ausgeschlossen worden war, sollte Kern vom Grünen zum Sozialdemokraten machen.

Warum Kern nicht AZ-Sportreporter wurde

Gemeinsam geben die Studentenaktivisten ein Magazin heraus, das "Rotpress". Kern ist Chefredakteur. In dieser Funktion geht er in die Viehmarktstraße, wo ... in diesen Jahren die "Arbeiter-Zeitung" ihre Redaktion hat. Kern soll Chefredakteur Robert Hochner interviewen ... Nach dem Interview fachsimpeln die beiden noch über Sport. Hochner bietet Kern an, als Sportredakteur in der AZ zu beginnen. Aber nur, wenn der Chefredakteur ihm zusage, dass er nächstes Jahr live von der Tour de France berichten und bei der Königsetappe von Alpe d'Huez vor Ort dabei sein dürfe, erwidert Kern. "Abgemacht", sagt Hochner.

Gleich danach ruft Kern seinen alten Freund Karl Pachner an. "Stell dir vor, der Hochner hat mir angeboten, bei der AZ anzufangen", erzählt er Pachner, der eine kleine Nachrichtenagentur, den "Wirtschaftspressedienst", leitet. "Mach doch keinen Unsinn, Sportredakteur ist doch nichts für Dich", antwortet Pachner. "Wenn du schreiben willst, dann fang doch bei uns an." Und so wird Kern Wirtschaftsjournalist.

Der junge Vater

Er lernt Karin Wessely kennen, die er früh heiratet, die beiden ziehen zusammen, und bald wird ihr erster Sohn, Nikolaus, geboren. Vater mit 22 – das war in diesen Jahren und diesen Kreisen ziemlich einzigartig und originell. "Während die anderen abends ausgegangen sind, war das bei mir schnell zu Ende", erzählt Kern. "Babysitter kannst du dir nicht leisten, und ich hatte daran auch kein großes Interesse gehabt. Ich fand das ja großartig, Zeit mit dem Niko zu verbringen."

Kern schupft Kaffeesäcke

Bisher hatte Kern sein Geld mit Ferial- und Studentenjobs verdient. Mit Babysitten, beispielsweise. Oder in der Eduscho Kaffeefabrik in Simmering, "da haben wir die Kaffeesäcke auf die LKWs geladen und am Fließband die Deckel auf die Dosen geschraubt". Oder im Zentrum Simmering, der Einkaufsmall, bei Sport Klepp, "Da habe ich im Verkauf gearbeitet und Tennisschläger bespannt". Damit hatte Kern seine erste Studentenbude in der Simmeringer Hauptstraße finanziert – "28 Quadratmeter, mit Gaskonvektorheizung und Fließwasser von den Wänden", erzählt er lachend –, später war er mit Wessely in die Reinprechtsdorfer Straße nach Margareten gezogen.

Die Jahre als Alleinerzieher

"Wir haben uns aber nach einiger Zeit nicht mehr ganz so gut verstanden, wie das so ist." Das junge Paar trennt sich. Und Niko bleibt beim Vater. Ein paar Jahre lang bleibt Kern alleinerziehender Vater, versucht Studium, Studentenpolitik, Jobs und die Erziehung seines Sohns unter einen Hut zu bringen. Und die Liebe zu geben, die so ein kleines Kind braucht. "Du schreibst halt dann die Seminararbeiten nachts, wenn das Kind schläft – wie das halt so üblich ist."

Versöhnung und erneute Trennung

Später finden Kern und Wessely wieder zusammen und bekommen zwei weitere Söhne, Simon und Paul, trennen sich wieder – Niko bleibt beim Vater, die zwei jüngeren Buben bei der Mutter. "Weißt du", sagt er dann, "das ist schon ein Prinzip: Du hast eine Verantwortung im Leben und der hast du dich am Ende zu stellen, auch wenn es nicht bequem ist."

Beim Stromversorger Verbund lernt Kern seine zweite Frau, Eveline Steinberger kennen, eine Energiemanagerin und Expertin für erneuerbare Energien. Mit ihr hat Kern heute eine neunjährige Tochter. (GP)