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Scheinreferenden: Putin zündet nächste Eskalationsstufe

Angesichts schwerer Niederlagen im Krieg setzt Russland auf weitere Eskalation. Putin lässt in den besetzten Gebieten Scheinreferenden durchführen.

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Was plant Putin? Die Teilmobilmachung wurde bereits vollzogen, die Scheinreferenden sollen am Freitag abgehalten werden.
Was plant Putin? Die Teilmobilmachung wurde bereits vollzogen, die Scheinreferenden sollen am Freitag abgehalten werden.
ILYA PITALEV / AFP / picturedesk.com

In vier besetzten ukrainischen Regionen lässt Russland in demokratisch nicht legitimierten Scheinreferenden die Menschen über einen Beitritt zu Russland abstimmen. Ab Freitag wollen die Besatzer in den östlichen Gebieten Luhansk und Donezk sowie in Cherson und Saporischschja im Süden völkerrechtswidrige Abstimmungen über den Anschluss an Russland durchsetzen.

Es handelt sich um Scheinreferenden, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Mit den vier Gebieten droht sich Moskau eine Fläche von über 108.000 Quadratkilometern einzuverleiben.

Angriffe in der Ost- und Südukraine wären künftig Angriffe auf Russland

Auf ähnliche Weise annektierte Russland bereits 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Wie schon damals ist eine internationale Anerkennung auch diesmal nicht in Sicht. Dennoch würde der Kreml Angriffe auf Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja künftig als Angriffe auf eigenes Staatsgebiet werten. Und Putin droht: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen." Also auch Atomwaffen.

Putin begründet dies mit dem angeblichen Schutz der dortigen Zivilbevölkerung vor ukrainischen Angriffen. Zweieinhalb Millionen Menschen hätten wegen der Kämpfe fliehen müssen. "Diejenigen, die geblieben sind – etwa fünf Millionen Menschen – sind nun ständigen Artillerie- und Raketenangriffen von neonazistischen Kämpfern ausgesetzt. Sie greifen Spitäler und Schulen an und verüben Terroranschläge gegen Zivilisten", behauptete Putin in seiner Mobilmachungsrede.

Auslandreisen für Wehrpflichtige "nicht mehr zu empfehlen"

Russlands Gouverneure wurden direkt angewiesen, die Einberufung von Soldaten in ihren Regionen zu organisieren. Zur Durchsetzung der Mobilmachung hat Putin zudem gerade erst mehrere Gesetze verschärfen lassen. So werden Fahnenflucht und der "freiwillige" Eintritt in die Kriegsgefangenschaft nun hart bestraft.

Außerdem dürfen wehrpflichtige Russen nach Putins Befehl zur Teilmobilmachung ihren Wohnort laut Gesetz nicht mehr verlassen. Aus der Staatsduma hingegen hieß es, innerhalb Russlands könnten die Menschen trotzdem weiterhin ungestört reisen, Auslandsreisen seien nun aber nicht mehr zu empfehlen.

Moral und Zusammenhalt in der Truppe schwindet

Nach sieben Monaten Krieg hat Russland zwar im Osten und im Süden der Ukraine größere Gebiete erobert, musste zuletzt aber auch eine herbe Schlappe hinnehmen: Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven zogen sich russische Truppen fast komplett aus dem nördlichen Gebiet Charkiw zurück.

Laut Prognosen internationaler Militärexperten dürfte Russland länger brauchen als erwartet und nur Verbände mit zweifelhafter Kampfkraft aufstellen können. Der US-Militärexperte Rob Lee meint auf Twitter, dass auf russischer Seite dann immer mehr Soldaten am Kampf beteiligt seien, die dort nicht sein wollten. Sein Fazit: "Zwischen ukrainischen und russischen Verbänden wird der Unterschied in der Moral und dem Zusammenhalt der Truppe immer größer."

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    Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Ankündigung der Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte am 21. September 2022.
    Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Ankündigung der Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte am 21. September 2022.
    Kreml via REUTERS
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