Politik

"Habe gar kein Problem-Bewusstsein bemerkt"

Bundeskanzler Kurz spricht im Interview über die Neuwahl-Entscheidung und verrät, wie er die FPÖ in den letzten 48 Stunden erlebt hat.

Heute Redaktion
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"Heute": Wann haben Sie von der Existenz des Videos erfahren?

Sebastian Kurz: Gerüchteweise am Donnerstag, dass ein Skandalartikel über den Vizekanzler in Deutschland erscheinen wird.

Woher kamen diese Gerüchte?

Aus Journalistenkreisen.

Wann haben Sie das Video gesehen?

Freitag um 18 Uhr, so wie jeder andere.

Haben Sie seither das gesamte Video, das sieben Stunden lang ist, anschauen können?

Nein, nur die Passagen, die online stehen.

Ihre erste Reaktion?

Ich war schockiert, fassungslos, aber auch enttäuscht. Das Video hat die FPÖ und die erfolgreiche Arbeit einer Bundesregierung zerstört. Wir haben den Reformstillstand beendet, die Schuldenpolitik beendet und kleine und mittlere Einkommen massiv entlastet. Das Video hat auch massiven Schaden für unser Land angerichtet. Die Aussagen, die darin getroffen werden, stehen auch meinem Verständnis von Politik absolut entgegen.

Wann haben Sie sich entschieden, die Koalition mit der FPÖ zu beenden?

Rasch. Mir war sofort bewusst, dass ich eine klare Entscheidung treffen muss. Hier wurden ganz klar rote Linien überschritten.

Warum hat es dann so lange gedauert?

In einer so schwierigen Situation muss man gut überlegt vorgehen. Ich habe daher eine Entscheidung getroffen und dann den Bundespräsidenten sowie die Mitglieder des Bundesparteivorstandes informiert.

Aber Sie hätten ja eigentlich gleich Neuwahlen ausrufen können?

Ich wollte besonnen reagieren, nichts überstürzen. Ich habe auch das Gespräch mit der FPÖ gesucht.

Die Reaktion?

Ich hatte den Eindruck, dass vielen bei den Freiheitlichen die Dimension nicht klar war. Ich habe gar kein Problembewusstsein bemerkt. Vor allem aber gab es keine Bereitschaft sicherzustellen, dass die Affäre transparent und lückenlos aufgeklärt wird.

Haben Sie Vermutungen, wo das Video herstammen könnte?

Nun, wir alle wissen, dass die SPÖ 2017 Tal Silberstein damit beauftragt hat, die politischen Gegner zu zerstören. Es wurden ja sogar antisemitische Facebookseiten produziert, die der ÖVP und mir in die Schuhe geschoben werden sollten. Hier wurde sehr viel Geld in die Hand genommen und ich halte es für möglich, dass er dahintersteht. Wichtig ist jetzt die umfassende und unabhängige Aufklärung des Falles.

Aber warum wurde das dann nicht schon im Nationalratswahlkampf eingesetzt. Damals, 2017, wäre der Schaden doch viel größer gewesen?

Darüber kann auch ich nur Vermutungen anstellen.

Noch einmal zurück zum Samstag. Warum hat es bis knapp vor 20 Uhr gedauert, bis Sie sich mit einer Erklärung zu Wort gemeldet haben?

Man darf so etwas nicht aus der Hüfte schießen.

Aber was dauert da so lange, wenn ohnehin klar ist, dass man Neuwahlen will?

Ich habe mehrmals mit dem Herrn Bundespräsidenten geredet, mit der FPÖ, meinen Partnern in den Bundesländern, mit Vertretern aus meiner Partei. Ich wollte sie vorab von meiner Entscheidung informieren. Ich halte es für legitim, dass man sich in einer solchen Situation die notwendige Zeit nimmt, um klar zu entscheiden.

Stimmt es, dass Sie der FPÖ ein Angebot gemacht haben: Sie zieht Kickl zurück und die Koalition geht weiter?

Ich habe der FPÖ von Anfang an klargemacht, dass ich die Affäre zu 100 Prozent aufgeklärt haben möchte. Es kann daher nicht sein, dass der damalige FPÖ-Generalsekretär nun als Innenminister gegen sich selbst ermittelt.

Sie meinen Kickl?

Er war damals Generalsekretär. Es ist im Video von möglichen Spenden aus dubiosen Quellen an die FPÖ die Rede.

Sie streben bei der Wahl die absolute Mehrheit an?

Was es jetzt braucht, sind klare Verhältnisse in Österreich, damit der Weg der Veränderung fortgesetzt werden kann. Dafür werbe ich.

Sie sollen heute der offiziellen Übergabe des Pandas von China an Österreich in Schönbrunn beiwohnen. Nehmen Sie den Termin wahr?

Leider kann ich da nicht, zu der Zeit tagt nämlich der Parteivorstand.

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