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Wer ermordet die irakischen Internet-Stars?

Heute Redaktion
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Die Schönheitskönigin von 2015 verlässt den Irak, denn Shimaa Qasim hat Todesdrohungen erhalten. Zuvor waren in kurzem Abstand vier Frauen ermordet worden.

"Du bist die Nächste!" Diese Drohung erreichte Shimaa Qasim, kurz nachdem das irakische Model Tara Fares (22) in Bagdad erschossen worden war.

Es war nicht die einzige Drohung, wie die 25-Jährige unter Tränen im Instagram-Video erzählt. "Wir sind Medienstars geworden, und deswegen kann man uns jetzt wie Hühner abschlachten?", klagt Qasim. Sie werde den Irak verlassen und nach Jordanien gehen, sagte sie später dem irakisch-kurdischen Sender Rudaw.

"Nicht einfach zuwarten, bis etwas passiert"

Nach der Mordserie an prominenten Irakerinnen fühle sie sich in Bagdad nicht einmal bei sich zu Hause mehr sicher, erklärte die Ex-Miss und heutige TV-Journalistin. "Ich kann nicht einfach warten, bis etwas passiert."

Qasims Angst ist berechtigt und dürfte längst auch viele junge Irakerinnen gepackt haben, die sich von ihrer traditionellen Rolle abwenden, sich freizügiger kleiden und unabhängig leben wollen. So wie es Tara Fares (22) tat.

Im Porsche exekutiert

Das Instagram-Model mit rund drei Millionen Followern war Ende September in Bagdad in ihrem Porsche erschossen worden. Ein junger Mann ermordete die junge Frau mit drei Schüssen und flüchtete auf einem wartenden Motorrad, wie Bilder einer Überwachungskamera zeigen.

Mittlerweile hat die Polizei einen Verdächtigen verhaftet. Der irakische Innenminister erklärte, dass "eine extremistische Gruppe" hinter dem Mord stehe. Namen oder nähere Einzelheiten nannte er aber nicht.

Vier ermordete Frauen in zwei Monaten

Diese Erklärung dürfte im Irak freilich niemanden überraschen. Längst wird darüber spekuliert, dass Fares' Ermordung mit weiteren Verbrechen gegen prominente Frauen zusammenhänge und dass dahinter ein und dieselbe Gruppierung stehe.

So starben im August in Bagdad innerhalb einer Woche eine berühmte Schönheitschirurgin und eine bekannte Besitzerin eines Schönheitsinstitutes bei sich zu Hause. Gerüchten zufolge wurden beide Frauen vergiftet. Kurz darauf erschoss ein Unbekannter die Aktivistin Suad al-Ali, die im südirakischen Basra die Proteste gegen die Regierung organisiert hatte.

Verdacht fällt auf schiitische Extremisten

Hinter den vier Morden vermuten nicht wenige einen Rachefeldzug radikaler Islamisten. Die (sunnitischen) Anhänger des "Islamischen Staats" (IS) kommen weniger in Frage: Der IS ist in Bagdad, wo drei der vier Morde geschahen, kaum präsent. Wahrscheinlicher ist es, dass schiitische Extremisten hinter der Mordserie stecken.

Seit ihre Milizen sich erfolgreich im Kampf gegen den IS hervortaten, haben auch schiitische Fundamentalisten an Macht gewonnen. Längst beeinflussen sie die nationale Politik und versuchen, der Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken. Leute, die sich in den Augen dieser Islamisten "zu westlich", "abtrünnig", "pervers" und überhaupt "unislamisch" aufführen, werden offen verbal bedroht, angegriffen, ermordet.

Immer mehr junge Atheisten

Viele junge Iraker wollen diese Beeinflussung der religiösen Sittenwächter nicht mehr hinnehmen. Begeistert unterstützen sie etwa Aktivistinnen wie Marina Jaber, die, gefolgt von einer Kamera, mit ihrem Fahrrad allein durch Bagdad fährt und immer mehr Nachahmerinnen findet – obwohl Frauen auf Fahrräder immer noch eine Seltenheit in dem konservativ-islamischen Land sind.

Eine weitere Reaktion: Immer mehr junge Iraker wenden sich von der Religion ab. Es habe noch nie so viele Atheisten im Land gegeben wie jetzt, hört man gerade an Universitäten immer wieder. (gux)