"Sehr harte Wochen"
Sind Russen nach Winter-Einbruch in Ukraine im Vorteil?
Militärexperte Franz-Stefan Gady analysiert die Auswirkungen des Wintereinbruchs auf den Krieg in der Ukraine. Vor Kurzem war er erst selbst vor Ort.
Erst wenige Wochen ist Franz-Stefan Gady (41) wieder zurück aus dem Kriegsgebiet Ukraine. Zusammen mit internationalen Kollegen unternahm der steirische Politikanalyst und Militärexperte eine Recherchereise an die Front, besuchte Gefechtsstände und auch eine Drohnenfabrik.
Inzwischen ist nicht nur in Österreich der Winter mit aller Macht hereingebrochen, sondern auch über die Frontlinie zwischen ukrainischen Verteidigern und Wladimir Putins Invasionstruppen. Im Gespräch mit der "Kleinen Zeitung" klärt Gady nun drei Mythen über Krieg während eines Winters auf:
1) Profitiert Russland vom Wintereinbruch?
"Nein. Weder Russland noch die Ukraine profitieren vom Wintereinbruch an der Front", weiß der Österreicher. Der Winter treffe beide Seiten der Frontlinie gleich hart. Die Soldaten beider Kriegsparteien seien nun vorrangig damit beschäftigt, den widrigen Witterungsverhältnissen zu trotzen.
Das bedeute, für trockene und warme Quartiere zu sorgen, Panzer, Geschütze und anderes Gerät, so gut wie es geht, winterfest zu machen und, wo es möglich ist, Truppen auch zur Erholung in die Etappe hinter der Front bzw. auf Heimaturlaub zu schicken.
Doch gerade letzteres scheint für Gady in der aktuellen Lage "etwas illusorisch": "Es gibt einfach nicht genug Soldaten, um jene, die dringend Erholung brauchen, für ein paar Tage nach Hause zu schicken."
Als Faustregeln gelten:
- "Sollte es viel regnen, begünstigt es die Verteidigung, weil der Schlamm [...] ein Vorkommen mit Fahrzeugen, aber auch zu Fuß schwer macht. Das gleiche gilt für starken Schneefall."
- "Sollte der Boden aber frieren ohne größere Schneemengen, kann das die Angreifer begünstigen."
Es bleibe also abzuwarten, wie sich das Wetter in den kommenden Wochen und Monaten tatsächlich entwickelt.
2) Steigert der Wintereinbruch die Erfolgschancen der russischen strategischen Luftkriegskampagne?“
"Ja, mit Sicherheit. Seit einigen Tagen hat Russland wieder verstärkt ukrainische kritische Infrastruktur angegriffen", so der Experte.
Seit Tagen würde Putins Armee wieder vermehrt mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen das ukrainische Stromnetz und Wärmekraftwerke angreifen, um die Strom- und Heizversorgung der Ukraine zu zerstören. "Dadurch will Russland den Widerstandwillen der Zivilbevölkerung schwächen bzw. zermürben. Die niedrigen Temperaturen helfen hier natürlich".
Heuer habe Russland auch mehr Raketen und Drohnen für diese Angriffskampagne abgestellt als noch im letzten Jahr.
Doch die Ukraine sei gleichzeitig auch besser darauf vorbereitet, habe das Stromnetz dezentralisiert, zusätzliche Hilfsgeneratoren aus dem Ausland erhalten und auch die Flug- und Raketenabwehr verstärken können – "obwohl es auch hier Munitionsmängel zu geben scheint".
Der Analyst sieht eine dunkle Zeit voraus: "Auf die ukrainische Zivilbevölkerung kommen aber auf jeden Fall sehr harte Wochen zu."
3) Beeinflusst das Winterwetter das Tempo des Krieges?
"Ja, mit Sicherheit. Das ist vor allem auf den Einfluss der Witterungsverhältnisse bei dem Einsatz von Drohnen zurückzuführen." Ist es zum Beispiel bewölkt, zu windig oder zu kalt, könnten viele Drohnen nicht fliegen. Und wenn Drohnen nicht fliegen können, bedeute es, dass es für beide Seiten schwierig ist, Ziele für die Artillerie, also für die Mörser, Geschütze und Raketenwerfer, zu finden. "Das reduziert die Feuerrate entlang der Front und reduziert auch die Chancen, dass es zu größeren Angriffen kommt."
Eine Garantie, dass durch das Wetter weniger gekämpft wird, hat man aber nicht. Im Gegenteil, erinnert Gady an die von den Russen gestartete Gegenoffensive im letzten Winter. Sein Fazit: "Also ja, das Wetter beeinflusst das Tempo von Operationen auf dem Gefechtsfeld, aber gekämpft wird sicher auch weiterhin durch den Winter hindurch."