Coronavirus

So schlimm wütete Corona in Österreichs Pflegeheimen

Gesundheitsminister Anschober präsentiert die Ergebnisse einer Analyse über Covid-19 für Alten- und Pflegeheimen sowie Handlungsempfehlungen.

Roman Palman
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Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Elisabeth Rappold im Rahmen der Pressekonferenz "1. Teil der Studie Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen und weitere Lockerungsempfehlungen für Besuche in Alten- und Pflegeheimen" am 9. Juni 2020 in Wien.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Elisabeth Rappold im Rahmen der Pressekonferenz "1. Teil der Studie Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen und weitere Lockerungsempfehlungen für Besuche in Alten- und Pflegeheimen" am 9. Juni 2020 in Wien.
picturedesk.com/APA/Herbert P. Oczeret

Die Gesundheit Österreich GmbH hat im Auftrag des Gesundheitsministeriums eine umfassende Analyse der Corona-Situation in Alten- und Pflegeheimen durchgeführt. Nach der Präsentation eines Zwischenberichts im Juni, liegt nun der Endbericht vor.

Neben der konkreten Covid-19-Situation in den Einrichtungen wurden in der Studie auch die Empfehlungen des Sozialministeriums für Schutzmaßnahmen in Alten- und Pflegeheimen evaluiert.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Elisabeth Rappold im Rahmen der Pressekonferenz "1. Teil der Studie Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen und weitere Lockerungsempfehlungen für Besuche in Alten- und Pflegeheimen" am 9. Juni 2020 in Wien.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Elisabeth Rappold im Rahmen der Pressekonferenz "1. Teil der Studie Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen und weitere Lockerungsempfehlungen für Besuche in Alten- und Pflegeheimen" am 9. Juni 2020 in Wien.
picturedesk.com/APA/Herbert P. Oczeret

Ab 10.30 Uhr informiert Gesundheitsminister Rudi Anschober gemeinsam mit der Studienautorin Elisabeth Rappold über die Ergebnisse und die daraus abzuleitenden Handlungsempfehlungen für die Zukunft. "Heute" berichtete Live:

Anschober beginnt mit einer internationalen Rundschau: "Wo stehen wir: Keine Änderung der Situation. Steigende Zahlen weltweit", so das ernüchternde Resümee des Ministers. Nach den USA und Brasilien, ist auch immer stärker Indien betroffen.

In Europa zeichne sich eine leichte Trendwende ins negative ab. Spanien, Frankreich und Osteuropa (Stichwort: Westbalkan) würden wieder steigende Zahlen melden, die ernst zu nehmen sind. 

"Die Richtung stimmt"

In Österreich weiterhin eine sehr stabile Situation mit leichtem Trend zur Verbesserung. Die Zahl der aktiven Erkrankten sei in den vergangenen 24 Stunden wieder gesunken – "Die Richtung stimmt", sagt Anschober in Hinblick auf die Reproduktionszahl die aktuell bei 1,01 liege.

In der zweiten Phase, dem Lockdown, hätte sich die Altersstruktur der Infizierten völlig verändert. "Da ist das Virus bei den Älteren angekommen", analysiert der Minister den massiven Anstieg in der Altersgruppe 85+. In der dritten Phase der schrittweisen Wiedereröffnung waren diese weiterhin die am schwerste betroffene Gruppe.

Jüngere ignorieren Gefahr

Mittlerweile verschiebe sich die Struktur in Richtung der Jüngeren. "Wir haben vielleicht ein Problem mit dem Sicherheitsbewusstsein unter der jüngeren Bevölkerung", so Anschober zu dem Anstieg der Infizierten in jüngerem Alter. Dafür würden die Schutzmaßnahmen für die älteren Generationen nun greifen, da hier die Zahlen rückläufig seien.

Die geringe Mortalität des Coronavirus und die daraus resultierende Untersterblichkeit in Österreich sei ein Testament an unser starkes Gesundheitssystem und das Engagement der Ärzte und des Pflegepersonals. Es sei wichtig, bereits jetzt Vorkehrungen in den Krankenhäusern für den Herbst und die erwarteten steigenden Fallzahlen zu treffen.

37 Prozent aller Todesopfer in Pflegeheimen

Nach Anschobers Überblick über die aktuelle Situation übernimmt Studienautorin Elisabeth Rappold das Wort: 923 Sars-Cov-2-Fälle in Alten- und Pflegeheimen seien bis 22. Juli 2020 registriert worden. Von den bis dahin etwas mehr als 600 Todesfällen in Österreich sei mehr als die Hälfte aller Frauen und ein Viertel der Männer in einem Alten- und Pflegeheim in Betreuung gewesen. Insgesamt waren 37 Prozent der Todesopfer Bewohner von Betreuungseinrichtungen.

Die Mortalität auf 100.000 Einwohner gerechnet zeigt zwischen den EU-Staaten massive Unterschiede. Der Europa-Schnitt liegt laut Rappold bei 21,3 Personen. In Österreich seien es 7,8 Todesopfer unter 100.000 Bewohnern gewesen, ganz anders die Situation etwa in Belgien. Dort war die Mortalität mit 84,6 Opfern pro 100.000 mehr als zehn Mal so hoch wie hierzulande.

Ergebnisse der Studie

Rappold und ihr Team konzentrierte sich für ihre Analyse besonders auf die Empfehlungen zu Gegenmaßnahmen durch die Bundesregierung zu Beginn der Pandemie und ob diese im weiteren Verlauf greifen konnten. In Summe seien alle Themen den Heimen bekannt gewesen und im großen Teil umgesetzt worden. Einzig bei der Kommunikation hätte es Defizite gegeben – besonders schwierig sei es gewesen Menschen mit Demenz über die Gefahren aufzuklären.

Es sei in Folge viel Kontakt zwischen verschiedenen Pflegeheimen entstanden. Die Einrichtungen versuchten sich gegenseitig zu unterstützen und ihr Vorgehen zu koordinieren. Gerade am Anfang seinen auch viele Anfragen an die Spitäler eingegangen. "Hier ist wirklich die Möglichkeit entstanden, dass man miteinander lernt und gemeinsam von Wissen profitiert", so Rappold.

Materialmangel überall

Zum Thema Schutzausrüstung, schildert die Expertin, dass es hier vielfach zu Engpässen gekommen sei. Beginnend bei Einweghandschuhen und Desinfektionsmitteln über Schutzmasken seien fast alle Einrichtungen mit einem Mangel konfrontiert gewesen. "Je komplizierter die Ausrüstung technisch war, desto schwieriger war es, diese zu bekommen."

Ein weiteres gewichtiges Thema sei die Ambivalenz. Während einige Heime sich gut geleitet sahen, hätten sich das Personal von anderen Einrichtungen von den vielen neuen Pflichten / Empfehlungen erdrückt gefühlt. Es habe auch ganz viele Fälle von Freiheitsbeschränkungen gegeben, die über das Maß hinausgegangen seien.

Empfehlungen

Jetzt sei es wichtig, Maßnahmen zu finden, die Rahmenbedingen für eine weitere Krise schaffen, so die Expertin. "Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion über Beschränkung des Einzelnen und Schutz der Allgemeinheit." Ihre weiteren Empfehlungen:

➤ Fachliche Empfehlungen zur Wiederaufnahme von Personen in den Heimen

➤ Ehrenamtliche Mitarbeiter (dazu gehören auch Angehörige) sollten eingebunden werden

➤ Höhere Wertschätzung und Anerkennung für die Arbeit des Pflegepersonals

➤ Hohes Potenzial von Telemedizin noch nicht ausreichen genutzt: "Das gehört mehr aufgebaut."

➤ Bewohner stärker in Krisenstäbe und Entscheidungen einbeziehen

➤ Aueinandersetzung mit biopsychosozialen Folgen für die einzelnen Bewohner