Gesundheit

So weit wie dieser Corona-Impfstoff war noch keiner

Ein Live-Tracker zeigt, wie weit die Entwicklung der Impfstoff-Kandidaten vorangeschritten ist. Nun wurde erstmals ein Präparat als genehmigt gelistet

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Gemäß dem Live-Impfstoff-Tracker der "New York Times" hat erstmals ein Corona-Impfstoff eine Genehmigung erhalten, wenn auch nur "teilweise".
Gemäß dem Live-Impfstoff-Tracker der "New York Times" hat erstmals ein Corona-Impfstoff eine Genehmigung erhalten, wenn auch nur "teilweise".
Screenshot New York Times

Die ganze Welt wartet auf einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2. Zurzeit sind mehr als 145 Wirkstoffe in der Entwicklung, 19 werden bereits am Menschen getestet. Den jeweils aktuellen Stand im Wettrennen um die Corona-Impfstoffe zeigt täglich aktualisiert der Live-Tracker der "New York Times".

Während dort in den letzten Wochen nichts geschehen ist, sorgte das unverhoffte Auftauchen einer "1" unter dem Punkt "approval" für Aufregung. Demnach hat der erste Impfstoff die Genehmigung erhalten, wenn auch nur teilweise, wie der darunter notierten Erklärung zu entnehmen ist. Doch was bedeutet das?

Gibt es nun einen ersten Impfstoff oder nicht?

Jein. Zwar wurde tatsächlich ein Impfstoff – ein von der chinesischen Firma CanSino Biologics und der nationalen Academy of Sciences entwickeltes Vakzin – zugelassen, allerdings "nur teilweise". Das heißt: Es wurde bisher ausschließlich für die militärische Nutzung freigegeben. Das chinesische Militär hatte den Impfstoff zuvor als «speziell benötigtes Medikament» deklariert. Ende Juni 2020 bekam es grünes Licht für sein Vorhaben.

Während eines Jahres sollen nun Soldaten damit geimpft werden. Ob diese in die Versuche eingewilligt haben oder dazu verpflichtet wurden, ist nicht bekannt. CanSino lehnte es ab, dies gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters preiszugeben.

Was weiß man über den Impfstoff?

Der Impfstoff soll laut chinesischen Gesundheitsexperten um Wei Chen vom Pekinger Institut für Biotechnologie sicher sein und scheint bei den meisten Probanden eine Schutzwirkung zu erzielen. Das geht zumindest aus einer Mitte Mai 2020 im Fachjournal "The Lancet" veröffentlichten Studie hervor. Für diese hatten drei Probandengruppen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren – insgesamt 108 Personen entweder eine geringe, mittlere oder hohe Dosis des Vakzins gespritzt bekommen.

Bereits bei der ersten Untersuchung nach 14 Tagen waren bei den meisten Testpersonen Antikörper nachweisbar und erreichten 28 Tage nach der Impfung ihren Höhepunkt. Auch T-Zellen seien nachgewiesen worden – jene weißen Blutkörperchen, die für die Zerstörung erkrankter Körperzellen zuständig sind und so verhindern, dass sich die Viren weiter vermehren können.

Hat das Präparat Nebenwirkungen?

Laut den Studienautoren wurden alle drei Dosierungen gut vertragen. So wurden in den ersten 28 Tagen nach der Impfung keine schwerwiegenden unerwünsch­ten Ereignisse gemeldet, wie es in der Studie heißt. Leichtere bis mittelschwere Reaktionen waren jedoch häufig. Dazu gehörten Schmerzen an der Injektionsstelle (54 Prozent), Fieber (46 Prozent), Müdigkeit (44 Prozent), Kopfschmerzen (39 Prozent) und Muskelschmerzen (17 Prozent).

Weltweit sind mehr als 145 Wirkstoffe in der Entwicklung, 19 Impfstoffkandidaten werden bereits am Menschen getestet.
Weltweit sind mehr als 145 Wirkstoffe in der Entwicklung, 19 Impfstoffkandidaten werden bereits am Menschen getestet.
Unsplash

Unter der höchsten Dosis kam es gelegentlich auch zu schwereren Reaktionen vom Grad 3 wie Fieber (14 Prozent), Müdigkeit (6 Prozent), Muskelschmerzen (3 Prozent), Gelenkschmerzen (3 Prozent) und Kurzatmigkeit (3 Prozent). In der Phase-2-Studie sollen deshalb nur die beiden niedrigeren Dosierungen eingesetzt werden. Welche Dosierungen die Soldaten erhalten sollen, ist unbekannt.

Wie bewerten unbeteiligte Fachleute den Impfstoff?

Die Meinungen sind geteilt. Dan Barouch, Direktor der Impfstoffforschung am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, bezeichnete die Erkenntnisse gegenüber der "New York Times" als "vielversprechend. Alles in allem würde ich sagen, dass dies eine gute Nachricht ist."

Anders sieht das Hana M. El Sahly vom Baylor College of Medicine in Houston, Texas. In einem Kommentar im «New England Journal of Medicine» übt sie unter anderem Kritik an der gewählten Impfstofftechnologie. So nutzen die Forscher das Adenovirus Ad5, um den Impfstoff in den Körper zu schleusen. Der Erreger, ein Erkältungsvirus, löst in den meisten Fällen Symptome in den oberen Atemwegen aus. Viele Menschen dürften mit ihm oder anderen Adenoviren schon in Kontakt gekommen ein, was zu einem Problem werden kann.

So gelangt der Impfstoff in den Körper

Bei dem nun teilweise genehmigten Impfstoff nutzen die Forscher die Hülle des Ad5 als eine Art Taxi. Diese wurde genetisch so modifiziert, dass sie sich nicht mehr vermehren kann. Dort hinein platzieren sie Partikel des neuartigen Coronavirus – sie verkleiden es gewissermaßen, um es einzuschleusen. Wird die Kombination dann als Impfstoff injiziert, reagiert das Immunsystem so, als ob es sich um das echte Coronavirus handeln würde, und bildet Antikörper dagegen. Die geimpfte Person ist dann unempfindlich gegenüber Sars-CoV-2.

Denn hätte jemand aufgrund vorheriger Infektionen mit Adenoviren Antikörper gegen Ad5, könnte sich dessen Körper daran erinnern und es würde keine Immunreaktion darauf erfolgen und ein effektiver Schutz gegen Sars-Cov-2 bliebe aus. Im schlimmsten Fall, könnte ein Ad5-Wirkstoff die Geimpften sogar empfänglicher für das Virus machen, so wie es vor rund zehn Jahren bei Tests mit einem HIV-Impfstoff der US-Pharmafirma Merck geschehen ist, mahnt El Sahly in ihrem Kommentar. Sie bezeichnet die Wahl des Transportsystems entsprechend als «bedenklich».

Für wie viele Menschen ein Ad5-Impfstoff gefährlich werden könnte, beschreibt Hildegund Ertl vom Wistar Institute in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania im Fachjournal «Nature». Demnach hat rund die Hälfte der Amerikaner und bis zu 90 Prozent der Menschen in Afrika Antikörper gegen A55.

Ist das der einzige Kritikpunkt?

Nein. Weiter kritisiert El Sahly die Interpretation der Daten: Zwar ist laut den Studienautoren nach der Impfung bei «50 bis 75 Prozent» der Teilnehmer die Menge neutralisierender Antikörper gegen Sars-CoV-2-Viren um das Vierfache gestiegen. Allerdings habe das Team um Wei Chen bei der Bewertung nicht berücksichtigt, dass die Probanden bereits eine bestehende Immunität gegen Ad5 haben könnten. Daher müsse der von ihnen beschriebene Vierfachanstieg infrage gestellt werden. Ob die tatsächlich erzeugte Immunantwort für einen Immunschutz ausreiche, sei offen.