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Stadt will "ohne Tabus" über Citymaut diskutieren

Heute Redaktion
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Phalanx für den Klimaschutz: Die rot-grüne Stadtregierung lässt erstmals ein eigenes Klimabudget erstellen.
Phalanx für den Klimaschutz: Die rot-grüne Stadtregierung lässt erstmals ein eigenes Klimabudget erstellen.
Bild: Helmut Graf

Die Stadt Wien tritt beim Klimaschutz aufs Gas: Künftig sollen alle Ausgabeposten auf ihre klimarelevanten Aspekte geprüft werden. Auch eine Neuordnung des Verkehrs steht im Raum.

In Sachen Klimaschutz geht die Stadt Wien nun in die Offensive. Erstmals wird ein Klimabudget erstellt, ein Klimarat aus internationalen Wissenschaftern und Experten soll dabei unterstützen. Das ist das Ergebnis der Regierungsklausur, die die Mitglieder der rot-grünen Stadtregierung heute, Mittwoch, im Wiener Rathaus abhielten.

"Der Klimawandel macht sich weltweit bemerkbar und wirkt sich direkt auf das Leben der Menschen aus", betonte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Um dagegen anzutreten, will die Stadt die Ziele ihrer Politik künftig stärker unter dem Aspekt Klima stellen. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen pro Kopf um 50 Prozent, bis 2050 sogar um 85 Prozent gesenkt werden.

1. Wiener Klimabudget als 3-Säulen-Modell

Um das zu erreichen, lässt die Stadt durch eine neu eingesetzte Arbeitsgruppe bestehend aus politischen Vertretern der rot-grunen Stadtpolitik sowie Experten von September 2019 bis April 2020 erstmals ein Klimabudget erarbeitet. Das Ziel ist dabei, vom Berichtswesen zum Steuerungsinstrument zu gelangen.

Vorgegangen wird dabei in einem 3-Säulen-Modell: Im ersten Schritt soll ein Berichtswesen implementiert werden, im zweiten Schritt empirische Grundlagen fur die Bewertung von stadtischen Maßnahmen und deren klimapolitische Auswirkungen entwickeln werden, um schließlich in einem letzten Schritt zu einer wirkungsorientierten Folgeabschatzung und nachvollziehbaren Entscheidungshilfe zu gelangen.

Drei Expertenkreise für Klimaschutz

Unterstützt wird die Stadt dabei von einem neuen Klimarat, der den Burgermeister und die Vizeburgermeisterin in Grundsatzfragen der Wiener Klimapolitik unmittelbar sowie in weiterer Folge auch die "Key Player" beraten soll.

Dazu werden drei Kreise gebildet: Das "Advisory Board Wissenschaft" setzt sich aus sechs hochkaratigen Wissenschaftern aus dem In- und Ausland zusammen. Dazu zählen etwa die Meteorologin Helga Kromp-Kolb (BOKU Wien), die Urban Management-Expertin Verena Madner (Wiener Wirtschaftsuniversität) oder Robert Lechner, Geschäftsführer des Ökologie-Instituts Wien. Der zweite Expertenkreis ist das "Sounding Board Gesellschaft" und besteht aus zusatzlichen 15 bis 20 Experten aus Gesellschaft, NGOs und Interessensvertretungen. Den letzten Kreis bildet das "Sounding Board Stadt Wien", in dem 10 bis 15 Experten aus der Stadt und stadtnaher Unternehmen sitzen.

Ressortubergreifender Hitzeplan im Sommer 2020

Zusätzlich wird ein ressortubergreifender Hitzeplan erstellt. Mit Sommer 2020 wird es einen mehrstufigen Aktionsplan fur die hei- ßesten Tage im Sommer geben: Maßnahmen im Rahmen des Hitzeplans konnen von gekennzeichneten Kuhlraumen in allen Bezirken, wie Kirchen, Buchereien oder Amtshausern uber einen Ausbau des Fahrtendienstes fur altere Menschen bis hin zu sektoralen Fahrverboten reichen.

Umweltfreundlichen Verkehr stärken, Citymaut "offen diskutieren"

Der motorisierte Verkehr zählt zu den größten Problemen beim Klimaschutz. Daher will Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) den Anteil umweltfreundlicher Mobilität weiter ausbauen, etwa durch neue Radwege. "Ein Kilometer, der mit dem Rad zurückgelegt wird, bringt der Gesellschaft 16 Cent (bedingt durch den Gesundheitsnutzen), während für einen im Auto zurückgelegten Kilometer 15 Cent an gesellschaftlichen Kosten anfallen", rechnet die Stadt vor.

Künftig soll der Anteil des motorisierten Verkehrs weiter sinken. Helfen soll dabei neben dem Ausbau der Öffis auch eine Neuorganisation der Parkraumbewirtschaftung. Für Anfang Oktober hat Hebein zu einem Runden Tisch geladen, bei dem "ohne Tabus" über Ideen diskutiert werden soll. Auch über die umstrittene Citymaut. "Ich will offen darüber sprechen, aber wenn es eine bessere Möglichkeit gibt, bitte gerne", so Hebein.

Mehr Bäume, weniger versiegelte Flächen

Das heuer gestartete Pilotprojekt der "coolen Straßen" habe so gut funktioniert, dass es nun ausgebaut wird. Künftig soll es in Wien 23 neue "coole Straßen plus" geben, die Abkuhlung und durch die hohe Aufenthaltsqualität sozialen Zusammenhalt vereinen. Um der Versiegelung des Stadtgebietes entgegenzusetzen, sollen mittelfristig auch Straßen in Wohngebieten ruckgebaut werden.

Klimaschutz bei Wohnen und Wohnbau

Auch das Baugewerbe sowie Heizsysteme im Wohnbau hätten großes Potenzial zur Einsparung von CO2. Durch Forderungsmaßnahmen würden in Wien jahrlich rund 375.000 Tonnen CO2 eingespart, so die Stadt. Neben thermischen Maßnahmen (Dammung) werden dabei nach Moglichkeit unter anderem Energieversorgungssysteme saniert oder durch umweltfreundeliche Alternativen wie Fernwärme, Biomasse oder Wärmepumpen ersetzt.

Im geforderten Neubau habe die Stadt mit dem Kriterium Okologie bei Bautragerwettbewerben einen Hebel in der Hand, um entsprechende Maßnahmen durchzusetzen, etwa klimaschonendes Bauen und Wohnen, Grunraummanagement oder Beschattung. Mit der Bauordnungsnovelle 2018 verbot die Stadt zusatzlich Ol- und Kohleheizungen sowie von dezentralen Gasthermen im Neubau und habe die Anwendung von Photovoltaik-Anlagen erleichtert.

Neues Mega-Speicherbecken soll Jahrhundertregen auffangen

Einem der zehn niederschlagsreichsten Mai-Monate der Messgeschichte folgte heuer der trockenste Juni der 250-jahrigen Messgeschichte. Dazu gab es heftige Unwetter, bei denen Wochen- oder Monatsmengen konzentriert in wenigen Stunden fielen. Wahrend man derartige Regenfalle bisher nur aus Tropen kannte, sind diese "Rainbombs" auch in Wien keine Seltenheit mehr.

Die Stadt Wien habe hier bereits – weitgehend unbemerkt, weil unter der Erde – mit riesigen Speicherbecken vorgesorgt. Aktuell errichtet Wien Kanal in Liesing neben der Triester Straße ein weiteres Speicherbecken: Mit dem Projekt "Gelbe Heide" konnen bis zu 10 Millionen Liter Regenwasser aus Altmannsdorf und Hetzendorf aufgenommen werden. Die Fertigstellung ist fur 2020 geplant, die Kosten liegen laut Bürgermeister Ludwig bei rund neun Millionen Euro.

Fur die Zukunft liege der Fokus in der Weiterentwicklung der Kanalnetzsteuerung und der Entwicklung von Strategien zur Vermeidung von Regenwassereinleitungen in die offentliche Kanalisation. Bei Stadtentwicklungsgebieten werde zudem großter Wert auf ein zeitgemaßes Regenwassermanagement gelegt.

Neben dem Donauhochwasserschutz setze die Stadt auch umfassende Hochwasserschutzmaßnahmen an den Oberlaufen der Wienerwaldbache. Aktuell gibt es Planungen fur den Rosenbach und den Krauterbach.

Gesundheit: Stadt plant 36 neue Primärversorgungszentren



Nicht unmittelbar eine Klimaschutzthema, aber um nichts weniger wichtiger, ist die Gesundheitsversorgung der Wiener. In den nächsten Jahren plant die Stadt Wien die Etablierung von Erstversorgungsambulanzen (EVA). Diese EVAs mit Offnungszeiten an den Tagesrandern und Wochenenden sollen eine wichtige Steuerungsfunktion im Wiener Gesundheitswesen ubernehmen. Sie dienen als erste Anlaufstelle fur Spontanfalle: Kleine Behandlungen erfolgen sofort, bei schweren Fallen kann auch eine Weiterleitung in Spezialambulanzen erfolgen, die Vermittlung in den niedergelassenen Bereich erfolgt ebenfalls uber die EVAs.

Außerdem sollen die EVAs ein wichtiger Ausbildungsort fur die moderne Allgemeinmedizin werden. Ein Pilotprojekt dazu startet noch heuer im Herbst im Krankenhaus Hietzing.

Zudem soll der, im Fruhjahr gemeinsam mit der WGKK und dem Bund beschlossene Ausbau der Primarversorgungseinheiten (PVE) forciert werden. Bis 2025 sollen 36 neue PVE in Wien gebildet werden. Erweiterte Offnungszeiten sowie inter- und multiprofessionelle Zusammenarbeit der Ärzte sollen dieses Modell fur Patient und Mediziner gleichermaßen attraktiv machen.

Hacker will Rettung des PVE Donaustadt

In dem Fall des Primärversorgungszentrum in der Donaustadt, das nach der Kündigung des Vertrags durch die Wiener Gebietskrankenkasse das Aus droht, findet Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) klare Worte: Als Stadtrat sei er für die Zielplanung verantwortlich, nicht für die Verträge. Er habe den Landesgesundsheitsfonds beauftragt, einen Runden Tisch zwischen Ärztin, Ärztekammer und Krankenkasse zu veranstalten, bei dem eine Lösung gefunden werden soll. "Das Zentrum funktioniert gut, die Ordination ist voll und die Patienten sind zufrieden. Und das benachbarte Donauspital wird deutlich entlastet, daher habe ich großes Interesse daran, dass die Ordination weiter besteht", so Hacker.

Wiener Jugendunterstützung als "Meilenstein"

Ein "Meilenstein" sei auch die neue "Wiener Jugendunterstützung", die im Sinne eines "One-Stop-Shop" arbeitslose Jugendliche zwischen AMS und Mindestsicherung unterstützen soll. "Ab April oder Mai 2020 wird die 'Wiener Jugendunterstutzung' die Lebenschancen fur rund 27.000 jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren verbessern und ihnen durch Beratung und Unterstützung neue Perspektiven geben", so Ludwig und Hebein.

Künftig werden die fur die Mindestsicherung zustandige MA 40 und das AMS Wien ihre Zusammenarbeit neu organisieren und intensivieren. Die Leistungserbringung wird in einem gemeinsamen Haus in Wien Meidling erfolgen, das Prinzip "One-Stop-Shop" auch raumlich umgesetzt. MA 40 und AMS Wien werden gemeinsame Bewertungen vornehmen, die begleitende Sozialarbeit verstarken und die Bildungs- und Qualifizie- rungsangebote in Kooperation mit der Wiener Ausbildungsgarantie weiterentwickeln. Damit wird eine Verbesserung der Arbeitsmarktintegration dieser Zielgruppe durch eine hohere Betreuungsqualitat und damit einhergehend Reduktion der Abbruche von Schulungsmaßnahmen erreicht werden.

Türkise Kritik an "Ankündigungen ohne konkrete Umsetzung"

Kritik an den heute vorgestellten Maßnahmen übte der nichtamtsführende Stadtrat der ÖVP Wien Markus Wölbitsch. Erneut würden nur Ankündigungen gemacht, die Umsetzung von wichtigen Projekten sei überfällig. "Notwendig wäre der rasche Ausbau von Photovoltaik-Anlagen auf Amtshäusern und Ladestationen für E-Autos. Auch die Verlängerung der U-Bahnen bis an die Stadtgrenzen ist überfällig", so Wölbitsch.