Politik

Großbritanniens Wünsche an die "guten Freunde"

Heute Redaktion
Teilen

Premier Theresa May fordert von der EU Flexibilität in der Brexit-Frage. Vom aktuellen Gipfel in Salzburg darf sie nur wenig erwarten. Eine Zwischenbilanz zum Stand der Verhandlungen.

Diese Woche findet in Salzburg ein informeller EU-Gipfel statt, bei dem unter anderem der Brexit auf der Agenda steht. Die britische Premierministerin Theresa May hat das Treffen zum Anlass für einen Gastbeitrag in der "Welt" genommen, in dem sie von den Europäern Entgegenkommen bei den Brexit-Verhandlungen fordert.

"Ob wir der EU angehören oder nicht, wir sind Teil der europäischen Staatenfamilie und müssen gute Freunde bleiben", schreibt May in ihrem Appell. Ihre Worte dürften jedoch nur wenig daran ändern, dass die Verhandlungen auf internationalem wie nationalem Parkett ins Stocken geraten sind. Viele Fragen bleiben offen. Die wichtigsten Fragen zum aktuellen Stand, knapp 200 Tage vor dem Brexit.

Wann tritt Großbritannien aus der EU aus?

Der Brexit erfolgt am 29. März 2019 um 23 Uhr britischer Zeit.

Was ist der Stand der Verhandlungen?

15 Monate nach Beginn stehen laut EU-Verhandlungsführer Michel Barnier 80 Prozent des Austrittsvertrags. Geregelt sind die künftigen Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten auf dem Kontinent. Vereinbart ist zudem eine Übergangsphase bis Dezember 2020. So lange soll Großbritannien noch im Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben.

Was ist das Hauptproblem?

Die britische Provinz Nordirland und ihre künftige Grenze zum EU-Mitglied Irland. Durch den Brexit wiedereingeführte Grenzkontrollen könnten das Karfreitagsabkommen von 1998 in Gefahr bringen, das den blutigen Nordirland-Konflikt zwischen irisch-katholischen Nationalisten und protestantischen Loyalisten beendete.

Warum ist die Nordirland-Frage so schwierig?

London wie Brüssel sind sich einig, dass eine "harte Grenze" mit Kontrollen vermieden werden muss. Doch die Wege dahin sind umstritten. Ein Vorschlag Londons zielt darauf, dies über Vereinbarungen mit Handelsunternehmen und innovative technische Lösungen ohne Schlagbäume und Grenzbeamte zu erreichen.

Und wie will Brüssel vorgehen?

Die EU zweifelt, ob das geht. Sie hat deshalb eine "Auffanglösung" durchgesetzt, die mangels anderer Vereinbarungen greifen würde. Nach ihr würde Nordirland de facto im EU-Binnenmarkt bleiben. Nicht nur für Brexit-Hardliner ist das ein Horrorszenario.

Was passiert als Nächstes?

Parallel zum Austrittsabkommen soll es eine politische Erklärung geben. Über ihre Reichweite wird diese Woche beim Salzburg-Gipfel diskutiert. Einem EU-Vertreter zufolge könnte sie auch vage ausfallen und "Raum für künftige Verhandlungen" lassen. Denn eigentlich haben die beiden Seiten noch während der Übergangsphase Zeit, eine Einigung zu finden.

Wie viel Zeit ist noch für die Austrittsverhandlungen?

EU-Verhandlungsführer Michel Barnier wollte ursprünglich im Oktober fertig sein. Er bekräftigte am Dienstag, dann sei "die Stunde der Wahrheit", ob ein Abkommen "in Reichweite" sei. EU-Ratspräsident Donald Tusk schlug aber vor, in Salzburg über einen Sondergipfel im November zu beraten. Es wäre wohl die letzte Chance für das Brexit-"Endspiel": Denn vor Dezember muss eine Einigung stehen, damit das britische Parlament noch genug Zeit hat, sie zu billigen.

Ist ein chaotischer Austritt ohne Abkommen denkbar?

Ja. "Unglücklicherweise ist ein No-Deal-Szenario nach wie vor durchaus möglich", schrieb Tusk in seinem Einladungsschreiben für den Salzburg-Gipfel. Er forderte, eine drohende "Katastrophe" zu vermeiden. Denn ohne Austrittsabkommen würde es auch keine Übergangsphase geben.

Was wären die Folgen eines chaotischen Austritts?

Ab März würden Waren dann wohl tagelang in Zollkontrollen feststecken, weshalb London Versorgungsengpässe fürchtet. Auch Flüge von und nach Großbritannien könnten womöglich vorerst nicht mehr stattfinden.

Wie steht Theresa May in ihrer Heimat da?

In Großbritannien steht Theresa May wegen ihres Brexit-Kurses im Kreuzfeuer der Kritik: Teile der Opposition verlangten von der konservativen Premierministerin ein zweites Referendum über den EU-Austritt. Vertreter ihrer Partei werfen ihr dagegen zu viele Zugeständnisse an Brüssel vor.

Könnte May stürzen?

Ausgeschlossen ist das nicht. Ihre Gegner wie Ex-Außenminister Boris Johnson haben die Angriffe auf die Premierministerin zuletzt wieder verstärkt. Als wichtiges Stimmungsbarometer gilt der jährliche Parteitag der Tories ab Ende September. Klar ist: Stürzt May demnächst, wird ein Abschluss der Brexit-Verhandlungen noch unwahrscheinlicher.

Sollte die EU also auf May zugehen?

Der Salzburger Gipfel wäre eine Möglichkeit dafür. Doch die Signale aus Brüssel sind verhalten. Die EU will sich Diplomaten zufolge ihre Verhandlungsstrategie nicht zerstören und zu früh inhaltliche Zugeständnisse machen. Mehr als nette Worte kann May deshalb kaum erwarten. (red)