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Tiktoker verdienen Geld mit Schlafen

Follower können Tiktoker live beim Schlafen beobachten. Diese schlagen daraus oft Profit.

Heute Redaktion
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Samstag, 11.30 Uhr: Nur der Kopf schaut aus der Bettdecke heraus. Die Augen sind geschlossen. Der Tiktoker Zitronensohn schläft tief und fest. Doch allein ist er dabei nicht: Gerade schauen ihm rund 3.000 Follower zu. Im Sekundentakt flitzen Emojis und Kommentare über den Bildschirm. Hin und wieder poppt ein Panda-Gift auf.

320 Euro im Schlaf verdient

"Schläft der immer noch?", "wach mal auf!" oder "was macht der?", schreiben Follower. Andere reagieren mit Wut-Emojis oder warnen: "Leute, wir müssen alle weg. Er bekommt Geld."

Um 12 Uhr klingelt der Wecker. Der deutsche Tiktoker mit knapp 400.000 Followern streckt kurz den Kopf in die Kamera, dreht sich um und schläft weiter. Noch nicht wach ist auch der Berner Tiktoker Papi47. Es ist dunkel. Abgesehen von einer Bettdecke, die sich ab und zu bewegt, passiert nichts. 100 User schauen zu.

Livestreams beim Schlafen werden immer beliebter. Virtuelle Coins locken mit der Möglichkeit, Geld im Schlaf zu verdienen. "Ich war der Erste, der diesen Trend gesetzt hat", sagt Papi47 (150.000 Follower). Pro Schlafstream verdiene er im Schnitt 40 bis 100 Euro. "Das Maximum waren 320 Euro." Er streame aber nicht wegen des Geldes. "Die Leute wollen mich einfach beim Schlafen sehen. Ich verstehe sie nicht. Aber ich mache, was meine Fans wollen."

"Mir geht es um die Challenge"

Auch der 18-jährige Titoker Alan Wägli (14.000 Follower) streamte seinen Schlaf kürzlich live und verdiente damit Geld. "Wie viel es war, bleibt mein Geheimnis", sagt er. An einem Freitag um 21 Uhr habe er den Stream gestartet, habe noch etwas ferngesehen und mit Freunden Musik gehört. "Gegen Mitternacht ging ich zu Bett. Den Stream schaltete ich dann am nächsten Morgen um 9 Uhr aus." Rund 250 Follower seien online gewesen.

"Mir ging es nicht ums Geld, sondern um die Challenge, so lange live zu gehen", sagt Wägli. Auch Jennifer Vorfi (26.100 Follower) verdiente Geld im Schlaf. Auch sie will den Betrag nicht verraten. "Eigentlich wollte ich mich aber nicht beim Schlafen streamen. Ich war einfach lange wach gewesen und schlief ein, als der Stream noch lief", sagt die 17-Jährige.

Stars locken mit Nummern

Für Social-Media-Nutzer ist klar, welchen Zweck die Schlafstreams haben. "Das Ziel ist natürlich, möglichst viele Zuschauer durch die lange Dauer des Livestreams zu erreichen. Das bringt den Tiktokern automatisch mehr Follower und durch Gifts mehr Geld", sagt Samira Sigg (17).

Auch Livio Flurin (15) stellt fest, dass manche bekannte Tiktoker ihre Popularität ausnutzen. "Sie sagen in ihren Livestreams immer: ‹Jeder, der mir ein Gift sendet, kriegt meine Nummer.› So verdient man sehr schnell Geld."

Livestreams als Gefahr

Schlafstreams machte die 19-jährige Tiktokerin cece_12324 (37.000 Follower) noch nie. Aber auch sie verdiente mit ihren Livestreams Geld – bis zu 200 Euro monatlich."Mittlerweile mache ich keine Livestreams mehr. Ich finde es nicht fair, von jüngeren Zuschauern Geld anzunehmen", sagt sie.

Die Tiktokerin Liz Steele hält nichts von Schlafstreams. Sie finde es wegen der Strahlen ungesund, vor dem Handy einzuschlafen, sagt sie. "Vielleicht gibt es auch Psychopathen, die einen filmen oder anderes machen. Ich finde es ein wenig gefährlich für die Person, die einschläft."

"TikTok kann süchtig machen"

Psychotherapeutin Karin Haiderer* beobachtet die sozialen Medien und Trends wie TikTok schon seit längerer Zeit und warnt vor den Risiken.

Frau Haiderer, schläft man gut, wenn man gleichzeitig auf Tiktok live ist?

So absurd es klingen mag, ja. Tiktoker sind von der Aufmerksamkeit ihrer Zuseher abhängig. Ohne ihre Fans fühlen sie sich einsam und leer. Wenn die Welt auch im Schlaf auf sie schaut, ist das in ihrer Welt beruhigend.

Soll das heißen, dass exzessives Tiktoking süchtig macht?

Dazu gibt es noch keine Studien. Aber wir wissen, dass ein exzessives Selfies-Machen und -Posten auf ein geringes Selbstbewusstsein hindeutet und dazu dient, die Stellung in der sozialen Gruppe zu verbessern. Und ja, dass es zu einer Verhaltenssucht werden kann.

Können Sie das noch näher erklären?

TikTok befriedigt das wichtigste Bedürfnis des Menschen, nämlich das nach Beziehung. Im realen Leben muss man sich Beziehungen erarbeiten und aufbauen - virtuell sind es Posts und Likes, die einem in Sekundenschnelle unglaublich viele Freunde und Anhänger bringen. Das stimuliert das Belohnungszentrum im Gehirn und verschafft kurze Glücksmomente, die schließlich zur Abhängigkeit führen können. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die virtuellen Beziehungen weder stabil noch verlässlich sind.

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