Österreich

Eltern ließen Mädchen (13) sterben – es war kein Mor...

Heute Redaktion
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Die Eltern, die für ihr sterbendes Kind keinen Arzt gerufen hatten, müssen nur je fünf Jahre in Haft. Denn die Geschworenen entschieden in Niederösterreich: Es war kein Mord.

Tiefe Einblicke in die teils groteske Welt der erzkonservativen Familie gab es beim Mordprozess am Mittwoch in Krems: "Keine Mama möchte, dass ihr Kind stirbt. Ich habe auf Gott vertraut", so die gebürtige Deutsche. Auch sie habe einige Kinder im Spital entbunden, daher sei ein Krankenhaus nicht per se schlecht, aber im Fall ihrer Tochter habe sie eben voll und ganz auf Gott vertraut.

Gebetsmühlenartig sprachen Vater (39) und Mutter (35), beide Mitglieder der "Gemeinde Gottes", von Gott und dass nur der Allmächtige heilen könne. Trickfilme durfte die 13-Jährige nicht schauen, auch ein Schulbesuch blieb dem Mädchen verwehrt. Die Eltern waren ja extra aus Deutschland nach Österreich gekommen, um die Schulpflicht für ihre insgesamt sieben Kinder zu umschiffen. Den Lebensunterhalt bestritt das arbeitslose Paar aus der Familienbeihilfe und Zuwendungen aus der Gemeinde.

Keine Trickfilme

Die Eltern sprachen über die letzten Tage der 13-Jährigen. Der Vater berichtete, dass er erst kurz vor dem Tod seiner Tochter von seiner Missionierung in Afrika zurückgekommen sei. Beide waren sich einig: "Unsere Tochter wollte ja selbst keinen Arzt." Da wurden Anklägerin und Senatsbeisitzender grantig: "Allen Ernstes? Ihre 13-Jährige Tochter durfte keine Trickfilme schauen, soll aber in der Lage gewesen sein selbst zu entscheiden, ob sie einen Arzt brauche oder nicht?" "Naja, wir haben den Wunsch unserer Tochter respektiert", so die Eltern.

Die Eltern meinten auch, dass ihre Tochter noch einen Tag vor dem Tod Trampolinspringen war: "Sie wirkte halt etwas angeschlagen", so die Mutter.

Unfassbar: Der Zustand der 13-Jährigen verschlechterte sich – wie berichtet – rapide. Die Eltern saßen nur neben dem Bett der 13-Jährigen, beteten und beteten und beteten. Selbst als die Kleine vor Schmerzen schrie und schließlich ins diabetische Koma fiel reichten sich die Eltern nur die Hände zum Gebet.

"Würde jetzt Arzt rufen"

Im Laufe der Verhandlung war dann doch so etwas wie eine Einsicht zu merken. "Aus jetziger Sicht würde ich doch einen Arzt rufen", betonte die Deutsche. Gutachter Wolfgang Denk sprach von einem dramatischen Verfall der 13-Jährigen in ihren letzten Lebenstagen.

Wie mehrmals berichtet laborierte die 13-Jährige an einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung, war bereits 2017 dem Tode nah, wog damals nur noch 22 Kilogramm, durfte aber, nach Drängen einer Sozialarbeiterin, eine gute Woche ins Wiener SMZ Ost und wurde behandelt. Die Eltern unterschrieben einen Revers, die 13-Jährige war danach nie mehr in ärztlicher Behandlung.

Im September verschlechterte sich der Zustand der Kleinen, am 16. September konnte sie nicht mehr essen, gehen, schrie vor Schmerzen, am 17. September starb das Mädchen.

Zu hinterfragen ist auch die Rolle der Behörden. Denn: Alle sieben Kinder waren nie in einem Kindergarten oder einer Schule, der Spitalsaufenthalt der 13-Jährigen im Jahr 2017 passierte ja nur auf Drängen einer Sozialarbeiterin. Eine engmaschige Kontrolle der Familie fand dann eben nicht statt.

Von Mordanklage im Zweifel freigesprochen

Am Dienstagnachmittag zogen sich die Geschworenen zur Urteilsberatung zurück. Sie mussten entscheiden, ob das passive Verhalten der Eltern als Mord zu werten war. Die Laienrichter entschieden schließlich mit vier zu vier Stimmen im Zweifel für die Angeklagten (Anm.: also vier für Mord, vier gegen Mord). Es war also kein Mord, sondern eine Vernachlässigung mit Todesfolge.

Das Urteil: Je fünf Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft meldet jedoch Rechtsmittel an – somit nicht rechtskräftig.

Übrigens: Die Höchststrafe für Vernachlässigung mit Todesfolge wäre zehn Jahre Haft gewesen. Bei Ersttätern nimmt man in der Regel rund ein Drittel der Höchststrafe an - in diesem Fall ist es genau die Hälfte.