Zehn Jahre nach Triumph

Tournee-Sensation Diethart: "Ich war wie in Trance"

Vor zehn Jahren triumphierte Thomas Diethart bei der Vierschanzentournee. Im "Heute"-Talk erinnert sich der Ex-Adler zurück - und gibt einen Ausblick.

Erich Elsigan
Tournee-Sensation Diethart: "Ich war wie in Trance"
Thomas Diethart gewann vor zehn Jahren überraschend die Vierschanzentournee.
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Herr Diethart, Ihnen ist vor zehn Jahren die große Sensation gelungen, Sie haben quasi aus dem Nichts die Vierschanzentournee gewonnen. Wie präsent ist das noch?

Diethart: "Eigentlich relativ wenig. Sicher sprechen mich rund um die Zeit immer wieder Leute darauf an, aber im Grunde ist es nicht mehr so präsent."

Die große Frage ist natürlich: Wie war das Märchen möglich?

"Das ist schwer zu erklären. Ich bin damals ganz normal im Continental-Cup gesprungen, bin recht lässig gehupft. Ich habe dann mit ein bisschen Glück die Möglichkeit bekommen, in Engelberg im Weltcup zu springen. Ich bin ohne Druck reingestartet, das Ziel war einfach, dass ich die Quali schaffe oder sogar ein paar Punkte hole. Und mit der Lockerheit hat es überraschend gut funktioniert, ich bin Vierter und Sechster geworden. So ist das ins Laufen gekommen. Denn gleich danach hat die Tournee begonnen."

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    Die Sie mit den Rängen drei, eins, fünf und eins sensationell gewonnen haben. Ab wann haben Sie geahnt: Ja, es ist möglich? Gab es einen speziellen Moment, in dem es Klick gemacht hat?

    "Eigentlich nicht. Ich habe lange nicht daran gedacht, dass ich um den Sieg mitspringen könnte. Sicher, ich habe nach Garmisch die Startnummer des Führenden bekommen. Aber der Sieg war nicht der Plan. Der Plan war, dass ich meine Sachen einfach weitermache, mehr war gar nicht in meinem Kopf. Das war wichtig, das hat es dann am Ende auch ausgemacht."

    Welche Gedanken hatten Sie beim Tournee-Finale in Bischofshofen vor dem letzten Sprung?

    "Viel war da nicht. Ich war ein bisschen nervös, muss ich gestehen. Es waren extrem viele Leute da, die Stimmung war ein Wahnsinn, die Eltern und die ganze Familie waren vor Ort. Aber die Nervosität war gut, die habe ich gebraucht. Wenn ich oben saß und es ein bisschen innerlich vibriert hat, war das ein gutes Zeichen. Das brauchte ich, um 100 Prozent abzuliefern. Mehr war nicht im Kopf. Der Trainer hat freigegeben und ich habe halt meine Sachen gemacht. Es war wie in Trance. Ich bin rausgehupft, bin gleich in eine super Flugposition gekommen und bin richtig gut runtergesegelt."

    Nach der Tournee blieb Ihnen die ganz große Karriere verwehrt. Im Einzel waren Sie nie mehr am Stockerl. Haben Sie sich manchmal gefragt, was Sie in den zehn Tournee-Tagen 2013/14 anders gemacht haben?

    "Ja, da mache ich mir bis heute Gedanken, um ehrlich zu sein. Wahrscheinlich war genau das der Fehler. Wenn man in so einer Situation ist, wo alles funktioniert, beginnt man irgendwann zu denken. Man lässt es nicht mehr automatisch ablaufen, sondern versucht aktiv einzugreifen. Sobald das passiert, geht die Formkurve nach unten, das sieht man jedes Jahr immer wieder. Dass man dann versucht, dorthin zurückzukommen, wo man war, ist ein Fehler. Das haben mir schon viele ehemalige gute Athleten bestätigt. Es ist das Schlechteste, das man machen kann. Man verliert sich in Kleinigkeiten. Skispringen entwickelt sich ja von Jahr zu Jahr weiter. Das Material ändert sich ein bisschen, der Körper ebenfalls. Es macht keinen Sinn, nach irgendwelchen Dingen zu suchen. Ich glaube, dieses Nachdenken war der Punkt, warum ich nie mehr an die Tournee-Leistung anknüpfen konnte."

    6. Jänner 2014: Thomas Diethart jubelt mit Coach Alex Pointner.
    6. Jänner 2014: Thomas Diethart jubelt mit Coach Alex Pointner.
    GEPA

    Hat der Tournee-Triumph Ihr Leben nachhaltig verändert?

    "Ja. Einerseits war es immer mein Ziel, an die Weltspitze zu kommen. Das ist mir gelungen. In welcher Hinsicht mich der Sieg verändert hat, ist schwer zu sagen, da bräuchte man die Außenansicht. Aber allein, was ich an Lebenserfahrung gewonnen habe, ist unbezahlbar. Zu sehen, was alles passiert, wenn man erfolgreich ist, war sehr spannend."

    Wo steht der "Goldene Adler" heute?

    "Der steht daheim am Kamin oben."

    Du haben sich bei der Vierschanzentournee gegen Legenden wie Morgenstern, Schlierenzauer, Ammann, Stoch und Kasai durchgesetzt. Macht es das nochmal spezieller?

    "Am meisten taugt mir, dass ich mit meinem Vorbild Thomas Morgenstern springen durfte. Ich habe ihn das erste Mal gesehen, als ich in Stams im Gymnasium war. Es gab das Alois-Lipburger-Gedächtnisspringen, dort habe ich den 'Morgi' zum ersten Mal gesehen und habe ein Foto mit ihm gemacht. Dass ich dann Jahre später mit ihm im selben Team bin, war wirklich cool."

    Und bei der Schanzentournee haben Sie ihn sogar besiegt, er wurde Gesamt-Zweiter.

    "Dass man vor seinem Vorbild landet, macht es schon speziell."

    Was macht den Mythos Vierschanzentournee aus?

    "Rein für den Athleten ist es die Herausforderung, auf vier komplett unterschiedlichen Schanzen in so kurzer Zeit konstant Leistung zu bringen. Das ist wirklich schwierig. Es gibt zum Beispiel keine Schanze, die mit Bischofshofen vergleichbar wäre. Jeder Athlet hat seine Lieblings- und seine Hass-Schanzen."

    Heuer heißt der Favorit Stefan Kraft. Wen haben Sie sonst am Zettel?

    "Das wird heuer richtig spannend. Die Deutschen sind sehr stark, die Österreicher sind stark, die Norweger haben wieder aufgeholt und die Japaner sind mit Kobayashi auch vertreten. Einen Tipp abzugeben, ist echt schwierig. Mit Kraft muss man aber immer rechnen. Und er hat ja die Tournee schon mal gewonnen, er wüsste also, wie es geht. Es ist beeindruckend, auf welchem Niveau er die letzten Jahre springt."

    Ist das Publikum ein großer Faktor? Kann es beflügeln – oder auch hemmen?

    "Sicher beides. Wenn man daheim springt und die ganze Familie da ist, war es immer ein Push für mich. Mir hat es getaugt, wenn viele Leute da waren und die Stimmung gut war. Aber das kann sicher auch in die andere Richtung gehen, dass man sich einen Extra-Druck macht, weil man abliefern muss. Unsere Athleten sind das aber gewohnt, die können damit umgehen."

    Ist so eine Sensation, wie Sie sie 2013/14 abgeliefert haben, nochmal möglich?

    "Ich glaube schon. Wichtig ist der erste Wettkampf. Wenn man in Oberstdorf gut startet und das nötige Glück hat, kann es passieren. Ich war ja auch nicht der erste Überraschungssieger, muss man sagen."

    Gesprungen wird im K.o.-Modus. Wie beurteilen Sie den?

    "Es ist ein cooles System. Nur für die jungen oder noch nicht so guten Athleten ist es oft schwierig. Zunächst geht es darum, die Quali zu überleben. Man ist nervös, macht sich Druck. Dann hast du im Wettkampf meist einen sehr starken Gegner und weißt, es ist fast unmöglich, dich für den zweiten Durchgang zu qualifizieren. Es hat Vor- und Nachteile. Für einen arrivierten Springer ist es relativ egal."

    Silvester steht vor der Tür. Wird das im Springer-Zirkus eigentlich gefeiert? Am nächsten Tag steht ja das Neujahrsspringen auf dem Programm.

    "Das ist individuell. Wir hatten damals ein feines Essen, die Freundinnen waren auch dabei. Ich bin aber immer vor Mitternacht schlafen gegangen. Einige waren noch Raketenschießen und haben angestoßen. Dass man richtig Party macht, ist aber nicht der Fall. Zumindest weiß ich nichts davon."

    Sie sind mittlerweile als Co-Trainer der Damen erfolgreich. Die warten noch auf ihre Vierschanzentournee-Premiere. Wie stehen die Chancen, dass es bald Realität wird?

    "Sehr gut, denke ich. Deutschland ist jetzt mal mitgezogen und probiert die Bewerbe in Garmisch und Oberstdorf. Ich sehe das mal als Generalprobe, dann sieht man, ob es funktioniert. Es steckt ja sehr viel Logistik dahinter. Das wissen wir zum Teil gar nicht. Ich glaube, es werden viele Zuschauer kommen. Österreich wird in den nächsten Jahren sicher nachziehen und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis wir eine Frauen-Tournee haben."

    Zum Abschluss: Sie hatten in Ihrer Karriere einige schwere Stürze. Gibt es Spätfolgen?

    "Ich habe mich ziemlich gut erholt. Nach meinem letzten Sturz habe ich meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Das wird aber zum Glück immer besser. Ich rieche und schmecke wieder ein bisschen was. Der Körper funktioniert eigentlich sehr gut. Gröbere Nachwehen habe ich nicht."

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