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Trotz Urteil: Pistorius bleibt gegen Kaution frei

Heute Redaktion
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Im Mordprozess gegen den südafrikanischen Sportler Oscar Pistorius hat das Gericht am Freitag entschieden: schuldig wegen fahrlässiger Tötung. Der Staatsanwalt konnte nicht zweifelsfrei beweisen, dass der 27-Jährige in der Nacht auf den Valentinstag 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp absichtlich erschossen hat. Pistorius selbst will aus Angst vor einem Einbrecher in Panik gehandelt haben. Bis zur Verkündung des Strafausmaßes bleibt der Sprintstar gegen Kaution auf freiem Fuß.

haben. Bis zur Verkündung des Strafausmaßes bleibt der Sprintstar gegen Kaution auf freiem Fuß.

Mit Fassung hat Oscar Pistorius den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen, er zeigte kaum eine Regung. Nach Verlesung des Urteils schien er sich stattdessen leicht vor Richterin Thokozile Masipa zu verbeugen. Am Donnerstag hatte er wiederholt im Gerichtssaal geweint.

Schon vor dem Urteil hatte die Richterin klar gemacht, dass Pistorius nicht wegen Mordes oder Totschlags verurteilt wird. Er habe jedoch in der Tatnacht fahrlässig gehandelt und genug Zeit gehabt, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, bevor er schoss.

Strafmaß erst Mitte Oktober

Die Anwälte von Oscar Pistorius machten im dicht besetzten Gerichtssaal bereits in der Früh einen entspannten Eindruck und lächelten. Nach südafrikanischem Recht könnte die Höchststrafe 15 Jahre sein. Eine kürzere Gefängnisstrafe oder sogar eine Strafe auf Bewährung sind möglich.

Das Strafmaß wird erst Mitte Oktober verlesen. In der Zwischenzeit können Staatsanwaltschaft und Verteidigung Gründe entweder für ein besonders hartes Urteil oder für mildernde Umstände vorlegen. Auch Freunde und Familie des Angeklagten können in Südafrika beim Gericht um Milde bitten.

Schuldig, in Restaurant geschossen zu haben

Richterin Thokozile Masipa ging bei der Urteilsverkündung auch auf die Nebenanklagepunkte des fahrlässigen Waffengebrauchs und Besitzes von illegaler Munition ein. Sie sprach Pistorius vom Vorwurf frei, einmal durch das Sonnendeck eines Wagens geschossen zu haben, befand den Angeklagten aber für schuldig, mit einer Pistole in einem Restaurant geschossen zu haben.

Pistorius muss nicht sofort ins Gefängnis

Pistorius stand seit dem 3. März vor Gericht - es war einer der spektakulärsten Prozesse in der südafrikanischen Geschichte. Insgesamt hatten Anklage und Verteidigung 36 Zeugen aufgeboten.

Nach dem Urteil darf Pistorius bis zur Verkündung des Strafmaßes gegen Kaution in Freiheit bleiben. Das entschied die Richterin Freitagnachmittag. Damit setzte sich sein Verteidiger gegenüber der Staatsanwaltschaft durch, die sich gegen eine Verlängerung der Kautionsregelung ausgesprochen hatte. 

Sonderbehandlung in Haft

Sollte Pistorius tatsächlich ins Gefängnis kommen, hätte der an den Unterschenkeln amputierte Sportler Anspruch auf eine besondere Behandlung.Wie die südafrikanische Justizvollzugsbehörde mitteilte, haben die Gefängnisse die Möglichkeit zur behindertengerechten Unterbringung von Häftlingen.

Binnen sechs Stunden nach Einlieferung müssen demnach neben seinen Bedürfnissen auch die Gefahren bewertet werden, die ihm in den von Gewalt geprägten Gefängnissen des Landes drohen. "Straftäter haben das Recht, ihre Haftstrafe unter menschenwürdigen Bedingungen" abzusitzen, heißt es. Dies schließe "regelmäßigen Sport, angemessene Unterbringung, Ernährung, Lesestoff sowie ärztliche Behandlung" ein.

 
Fahrlässige Tötung ist eine Straftat aus dem Bereich der Tötungsdelikte (Delikte mit Todesfolge) in Zusammenhang mit Fahrlässigkeit (mangelnder Umsicht und Sorgfalt) und steht damit in klarem Gegensatz zu den vorsätzlichen Tötungen.

Die fahrlässige Tötung gilt als das klassische Fahrlässigkeitsdelikt. Problematisch bei sämtlichen Fahrlässigkeitsdelikten ist die Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs des Täters. Es ist stets abzuwägen, ob die Sorgfaltspflichtverletzung dem Täter noch zurechenbar ist, um eine Strafbarkeit zu begründen.

Seite 2: Wieso Pistorius weinte und weshalb es kein vorsätzlicher Mord war!

Oscar Pistorius erschien Donnerstagfrüh im schwarzen Anzug im Gericht. Er wirkte ruhig, sah aber blass aus. Steenkamps Eltern Barry and June blickten zu ihm hinüber. Die Mutter hatte einen Strauß roter Rosen vor sich. Auch die Familie von Pistorius kam: Vater Henke, Schwester Aimee, Bruder Carl und Onkel Arnold. Carl sitzt wegen Verletzungen, die er sich kürzlich bei einem Autounfall zugezogen hat, derzeit im Rollstuhl.

Tränen bei Tatschilderung

Zu Beginn der Urteilsverkündung schilderte die Richterin die Ereignisse der Tatnacht noch einmal und sah keine Anzeichen für Streit vor der Tat. Sie wiederholte einige der Aussagen des Angeklagten und kommentierte Zeugenaussagen zu den Schüssen in der Tatnacht. Zu diesem Zeitpunkt begann der Sprinter plötzlich zu weinen

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Masipa fasste die vier Anklagepunkte (neben dem Tod von Steenkamp unter anderem auch noch Gebrauch einer Schusswaffe in der Öffentlichkeit) noch einmal zusammen und bezeichnete einige Zeugen als "unglaubwürdig". Gleichwohl gebe es objektive technische Beweise für die zeitlichen Abläufe in der Tatnacht. Pistorius litt nach Aussage der Richterin zur Tatzeit nicht unter einer mentalen Störung. "Er wusste, was richtig und was falsch war."

Richterin schloss vorsätzlichen Mord aus

Pistorius hatte die Schüsse in der Nacht zum Valentinstag 2013 zwar nie bestritten. Der 27-Jährige argumentiert aber, im Badezimmer einen Fremden vermutet und aus Panik vor dem vermeintlichen Einbrecher gehandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm einen vorsätzlichen Mord vor. Die Richterin sieht dies in der Urteilsbegründung aber nicht als bewiesen und schloss vorsätzlichen Mord bereits aus. Die Staatsanwaltschaft habe dafür nicht genügend Beweise vorbringen können.

Der Angeklagte könne nicht schuldig wegen Mordes gesprochen werden, das schließe aber vorsätzliche Tötung nicht aus, betonte die Richterin vor der Mittagspause. Gleichzeitig übte sie Kritik am Verhalten von Pistorius vor Gericht, betonte aber, dass jemand, der nicht die Wahrheit sagt, nicht automatisch schuldig ist. Er habe während des Prozesses ausweichend geantwortet. Es sei aber seine "bewusste Entscheidung" gewesen, als er vier tödliche Schüsse durch die geschlossene Toilettentür abgegeben habe.

Der Prozess hatte vor rund sechs Monaten begonnen. Der beinamputierte Pistorius hatte 2012 in London mit seinem Olympia-Start auf Prothesen weltweit Furore gemacht. In Südafrika ist es üblich, aber nicht zwingend, dass ein Richter das Urteil erst am Ende seiner Ausführungen bekanntgibt.

Seite 3: Das sagt Südafrika zum Urteil!

 "Das hat eine große Last von unseren Schultern genommen. Das wird Reeva nicht zurückbringen, aber unsere Gedanken sind bei ihrer Familie und ihren Freunden." (Arnold Pistorius, der Onkel von Oscar Pistorius)

"Es handelt sich um ein umstrittenes Urteil, das in der Bevölkerung für Wut gesorgt hat. Selbst Juristen finden die Entscheidung seltsam. Es scheint überraschend, dass die Richterin dazu bereit war, Oscars Version vom Tathergang zu glauben, obwohl sie ihn zuvor als schlechten Zeugen kritisiert hatte." (Lovell Fernandez, Professor für Strafrecht in Kapstadt)

"Viele Menschen hatten mit einem härteren Urteil gerechnet, und sie sind aufgebracht und wütend. Wenn jemand vier Mal durch eine Tür schießt, wie kann er dann sagen, er konnte nicht vorhersehen, dass er dabei jemanden töten könnte?" (Keith Gess, südafrikanischer Strafrechtler)

"Das Verfahren ist noch nicht beendet, wir warten noch auf das Strafmaß. Erst danach können wir unsere Möglichkeiten abwägen und schauen, ob es weitere Schritte geben kann." (Nathi Mncube, Sprecher der Staatsanwaltschaft)

"Das Urteil zeigt eins ganz deutlich: Wenn jemand in diesem Land Geld hat, dann steht er über dem Gesetz. Wenn Oscar so arm wäre wie alle anderen, dann wäre er des Mordes für schuldig befunden worden." (Jason Fernandes, Bürger aus Johannesburg)

"Missbrauch an Frauen ist ein großes Problem in Südafrika. Jetzt können Männer ihre Freundinnen erschießen und erklären, sie hätten gedacht, es sei ein Einbrecher im Haus - und schon werden sie vom Vorwurf des Mordes freigesprochen." (Tandi Botha, Bürgerin vor dem Gericht in Pretoria)