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Türkeis Erdogan zeigt drei Bürger pro Tag an

Heute Redaktion
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Ein Fall wie die Strafverfolgung von Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes scheint zwar Seltenheitswert zu haben, tatsächlich sind Anzeigen und Verfahren aber an der Tagesordnung, wenn es um den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan geht. In der Zeit als Präsident hagelte es im Schnitt drei Anzeigen täglich, seit seiner Zeit als Ministerpräsident liegt die Zahl der Anklagen bei über 10.000 Fällen.

Ein Fall wie die eines ausländischen Staatsoberhauptes scheint zwar Seltenheitswert zu haben, tatsächlich sind Anzeigen und Verfahren aber an der Tagesordnung, wenn es um den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan geht. In der Zeit als Präsident hagelte es im Schnitt drei Anzeigen täglich, seit seiner Zeit als Ministerpräsident liegt die Zahl der Anklagen bei über 10.000 Fällen.

Als "bizarres türkisches Massenphänomen" bezeichnet "Die Welt" Erdogans Klagsfreude. Erdogans Vorgänger Abdullah Gül strebte laut Bericht in seiner Amtszeit laut Bericht 545 Anklagen wegen "Beleidigung des Staatspräsidenten" mit einem Strafmaß von bis zu vier Jahren Haft an. Seit Erdogans Übernahme des Präsidentenamtes seien es Anfang März 2016 1.845 Fälle gewesen, aktuell liegt die Zahl wohl bei über 2.000.

Damit zeigt Erdogan als Präsident rund drei Menschen pro Tag wegen Beleidigung an. Laut "Welt" aber nur die Spitze des Eisbergs, denn zählt man die Zeit als Ministerpräsident und die Zivilverfahren mit, komme man laut dem türkischen Juristen Kerem Altiparmak auf über 10.000 Anklagen. Laut Altiparmak sei die Vorgangsweise eine "Industrie, die ein politisches Ziel verfolgt: einschüchtern und abschrecken".

Bürger zeigen Bürger an

Kurios: Nicht selten würden Anklagen daraus resultieren, dass Bürger andere Bürger wegen Präsidentenbeleidigung" anzeigen und die Fälle dann Erdogans Anwälte übernehmen. Besonders der Jugendverein der Erdogan-Partei AKP würde regelrecht "auf Jagd" gehen. Und: Sei es passend, würden auch neue Strafbestände eingeführt, um Beleidigungen abzufangen.

So sperrte am 7. April ein Gericht einen Korruptionsbericht des Portals "T24", seitdem gibt es den Strafbestand "Beleidigung des Sohns des Staatspräsidenten". Andere Vorfälle, die die "Welt" dokumentierte, sind nicht weniger drastisch. So wurde ein 13-Jähriger monatelang überwacht, bevor am 28. Februar eine Antiterroreinheit die Wohnung seiner Familie stürmte und ihn festnahm - wegen seinem Facebook-Profil. Wenige Tage zuvor zeigte ein . Als Beweis hatte er sie dabei gefilmt und das Material dem Gericht vorgelegt.

Präsident äußert Strafwunsch

Aktuell steht der "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar in der Türkei vor Gericht - weil er über eine Waffenlieferung nach Syrien berichtet hatte, die Erdogan zuvor abgestritten hatte. Als Dündar Beweise vorlegte, klagte Erdogan auf Spionage - und äußerte gleich seinen Strafwunsch mit zweifach lebenslanger Haft plus noch einmal 42 Jahre. Selbst das Verfassungsgericht entließ Dündar wegen nicht ausreichenden Tatverdachts aus der Untersuchungshaft. Erdogan protestierte lautstark. Nun findet ein Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.