Ukraine

Ukrainer kehrt halbblind aus Russen-Folter-Camp zurück

In den russischen Filtrations-Camps herrscht laut Überlebenden ein brutales Regime. Manche Insassen seien bereits spurlos verschwunden, heißt es. 

Nikolaus Pichler
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Die russische Armee und prorussische Separatisten betreiben sogenannte Filtrationscamps.
Die russische Armee und prorussische Separatisten betreiben sogenannte Filtrationscamps.
REUTERS

"Was würde geschehen, wenn wir dir ein Ohr abschneiden?", fragten die Soldaten Alexander Wdowytschenko. Dann schlugen sie ihm beim Verhör gegen den Kopf – immer und immer wieder, jedes Mal, wenn ihnen eine Antwort auf eine Frage nicht passte: Dies berichtet Alexanders Tochter Maria Wdowytschenko gegenüber CNN.

Ihr Vater ist einer der vielen Ukrainerinnen und Ukrainer, die aus Mariupol oder einem anderen Gebiet unter Kontrolle der Invasoren oder russlandtreuer Separatisten in durch die Ukraine gehaltenes Territorium flüchten wollen, und dabei ein sogenanntes "Filtrationscamp" durchlaufen müssen. Denn laut in eroberten Städten aufgehängten Plakaten darf nur ausreisen, wer diesen Prozess besteht. Auch in den besetzten Gebieten dürfen sich nur überprüfte Personen frei bewegen.

Wdowytschenko erlitt zwar durch die vielen Schläge eine Augenverletzung und wird laut den Ärzten nie mehr richtig sehen können, ist aber am Leben – und darf sich deswegen glücklich schätzen. Denn viele Flüchtlinge berichten von Personen, die aus den Camps spurlos verschwanden. Und andere werden auf unbestimmte Dauer festgehalten, etwa der Vater der 20 Jahre alten Maria, der seit über einem Monat im Filtrationscamp in Bezimenne östlich von Mariupol festsitzt.

Marias Vater berichtet ihr von haarsträubenden Zuständen: "Viele schlafen auf dem nackten Boden, wer mehr Glück hat, in einem Stuhl oder auf einer Matratze im Gym", erzählt sie. Medikamente gebe es keine, zum Essen werde wässrige Suppe und anderes "gefängnisähnliches" Essen ausgegeben.

Drohungen und Gewalt

Alle Betroffenen, mit denen CNN sprach, erzählen von Drohungen und Erniedrigungen beim Prozess der "Filtration", bei der die flüchtenden Personen auf ihre Gesinnung und ihre Vergangenheit durchleuchtet werden, bevor sie die Erlaubnis zur Weiterreise erhalten. Laut Ludmila Denisova, der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte, durchliefen bereits mehr als 37.000 Menschen eine solche Prozedur. Dabei würden durch russische oder separatistische Soldaten die Papiere überprüft, Verhöre durchgeführt, Fingerabdrücke genommen und die Menschen durchsucht. Viele müssten sich dafür nackt ausziehen, denn auch patriotische Tätowierungen etwa könnten Anzeichen für eine "falsche" Gesinnung sein.

Alle, die in ein solches Camp kämen, würden deshalb alles von ihren Handys löschen, was sie verraten könnte – etwa Fotos oder verdächtige Kontakte. Denisova klagt Russland an, die Zentren – von denen es mehrere wie in Bezimenne gibt – dafür zu nutzen, ehemalige Militärangehörige, Aktivisten sowie alle, die als Bedrohung wahrgenommen würden, zu eliminieren.

Suche nach Augenzeugen von Kriegsverbrechen?

Auch Michael Carpenter, US-Botschafter bei der OSZE, sagt, laut zahlreichen Augenzeugen würden Verdächtige geschlagen und gefoltert, um herauszufinden, ob sie "auch nur die kleinste Verbindung" zum ukrainischen Staat hätten. Laut dem Bürgermeister von Mariupol werde auch gezielt nach Augenzeugen von russischen Kriegsverbrechen gesucht. Moskau dementiert dies vehement.

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    via REUTERS

    Viele der Insassen der Camps wüssten gar nicht, warum sie dort seien – und schon gar nicht, ob und wann sie weiterreisen dürften. Manche sind laut Angehörigen bereits seit Mitte April interniert. Maria berichtet zudem, sie und ihre Familie hätten zudem erst 20 Tage warten müssen, bis sie überhaupt zur "Filtration" zugelassen wurden. Dann hätten sie ihr Auto zwei Tage lang nicht verlassen dürfen.

    Schließlich seien sie und ihr Vater zum Verhör abgeholt worden. Vor dem entsprechenden Gebäude habe sie gehört, wie sich die Soldaten über diejenigen unterhalten hätten, die beim "Filtrationstest" durchgefallen seien. Das werde sie nie vergessen. "Ich habe schon zehn umgebracht und dann aufgehört zu zählen", habe einer gesagt.

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