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Unravel im Test: Rotes Wollknäuel mit Wow-Effekt

Yarny, die süße Wollknäuel-Figur aus dem von Electronic Arts herausgegebenem Unravel, begeisterte schon vor Veröffentlichung des Spiels die Welt.

Heute Redaktion
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So süß! Tatsächlich schließt man den vom Spieler gesteuerten Charakter auch im Jump'n'Run-Game sofort ins Herz. Ob Unravel im Gesamten überzeugen kann, haben wir ausprobiert. Hier unsere Testeindrücke. Schon die Szenen zu Spielbeginn zeigen, dass Unravel nicht ein ganz so locker-flockig-seichter Titel von Coldwodd Interactive sein wird, wie es die Wollfigur auf der Packung den Anschein macht.

Eine Großmutter sitzt offenbar einsam in ihrem Haus, betrachtet Bilder, wirkt alleine und traurig. Zum Stricken nimmt sie einen Korb voll Wollknäuel, dabei fällt ein rotes Knäuel unbemerkt zu Boden. Yarny ist geboren, und so wenig man anfangs über die Story erfährt, so wenig wird einem die Steuerung von Unravel nähergebracht. Keine mühsamen Tutorials, keine offensichtlichen Handlungsmöglichkeiten, kein vordefiniertes Ziel – Unravel setzt auf die Lernfähigkeit des Gamers.

Klar ist, dass er sein Wollknäuel unversehrt durch die verschiedenen Level bringen soll. Die Level findet man in elf Bildern im Haus der alten Frau, in die man offenbar hineinhüpft und damit die Geschichte des Bildes nacherlebt.

Emotionen in wunderschönem Ambiente

Die Level sind wunderschön gestaltet und glänzen mit liebevollen Details – stolpert Yarny, zeigt er sich kurz benommen und schüttelt den Woll-Kopf. Fliegt im ein Schmetterling entgegen, zuckt er kurz zusammen, um dann zu versuchen, das Insekt zu fangen. Bläst ein kalter Wind um Yarny, zittert die Figur. Auch die Umgebung ist äußerst abwechslungsreich, von dem Heim der alten Frau geht es erst in den Garten, später in ein Sumpfgebiet oder Berglandschaften. So ein schönes Jump'n'Run gab es noch nie.

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Von einer "lieben" Geschichte ist man aber weit entfernt, was auch eine tiefgründige Hintergrundgeschichte mit ins Spiel bringt. Anfangs fragt man sich: Warum ist die alte Frau unglücklich? Warum sind ihre Fotos, quasi ihre Erinnerungen verblasst? Geht es hier etwa um Demenz? Und es wird immer düsterer: Umweltverschmutzung, Tod und Vergessen trüben zwar nicht den Spielspaß, machen Unravel aber zu einem unerwartet emotionalen Abenteuer.

Steuerungs-Spaß und knifflige Rätsel

Bei der Steuerung selbst darf man sich keine Innovationen erwarten, einige witzige Elemente gibt es aber dennoch. So ist der rote Faden, aus dem Yarny besteht, auch gleichzeitig sein wichtigstes Fortbewegungsmittel. Diesen wirft Yarny anfangs als Lasso auf Hacken und Zweige, um sich an sich selbst hochzuziehen. Später müssen knifflige Brücken mit dem Faden gebaut werden, über die man sich in die Höhe katapultieren kann. Was dabei auffällt: Yarny reagiert insgesamt zwar auf die Steuerung recht gut, gerade bei Sprüngen lässt sich aber seine Reichweite schwer einschätzen und variiert offenbar in manchen Szenen.

Außerdem kann Yarny große Objekte bewegen, indem er seinen Faden daran knüpft und dann zieht und zerrt – so wirft er Blockaden um oder reist die Zuleitung eines Brunnens ein, um ihn mit Wasser zu füllen. Immer wieder muss dabei in der Spielewelt verteilter Faden eingesammelt werden, denn wenn Yarny sein eigener Faden ausgeht, hängt er sprichwörtlich fest. Die Rätsel sind dabei nur anfangs leicht, später ist Kreativität bei den Lösungen gefragt. In vielen Passagen wird dies zwar zur Versuch-und-Scheitern-Taktik, Frust kommt aber selten auf, denn die "Checkpoints" sind äußerst fair in den Levels verteilt und im Endeffekt weiß man, dass die Lösung wie bei allen vorangegangenen Aufgaben nie weit entfernt liegt.

Musik mit Tränen-Garantie

Eines der Meisterwerke von Unravel ist der Sound, der die Atmosphäre verstärkt und bei stark emotionalen Passagen auch hartgesottenen Zockern die Tränen kommen lässt. Klassische Instrumente bringen einem gute Laune, aber auch jede Menge bittere Momente näher, etwa wenn man mit der einsamen Großmutter leidet oder das kleine Wollknäuel ein überaus brutaler Tod durch Krabbenscheren oder Giftfässer ereilt.

Aber keine Sorge, Yarny hält durchaus etwas aus -– einige Momente im Wasser lassen ihn zum Beispiel nicht gleich direkt ertrinken, es bleibt Zeit, seine Wolle zu retten. Klasse dabei: Die Musik passt auf den Punkt genau zu den jeweiligen Spielszenen.

Hat man die anfangs kryptischen Bilder und Botschaften Level für Level gesammelt, ergibt sich schließlich im Bilderalbum im Haus der Großmutter ein wunderbar-emotionales Gesamtbild der Story – die wir hier nicht verraten. Das war es mit dem Spiel aber auch, nach nicht allzu gehetzten zwölf Stunden bietet Unravel mit in den Levels versteckten Sammel-Knöpfen nur einen minimalen Wiederspielwert, sonst schaltet man nichts Bonus-mäßiges frei.

Fazit

Keine Überraschungen bei den Rätseln und bei der Steuerung, eine nette, aber nicht in allen Szenen tiefgründige Hintergrundstory, wenig Wiederspielwert und einige Trial- & Error-Passagen kratzen etwas am Titel. Und trotzdem funktioniert Unravel geradezu großartig. Das ist zwei Features zu verdanken. Einerseits hat man eine solch schöne Grafik bei kaum einem anderen Game bisher gesehen. Bis ins kleinste Details sind die Levels hochwertig und teils fotorealistisch umgesetzt. Selbst wenn man in der Welt stehenbleibt und sich einfach nur umblickt, kann man sich kaum satt sehen.

Zum anderen macht erst Yarny Unravel zu dem, was es ist: ein großartiges Game. Das liegt nicht nur daran, dass Yarny seine Umgebung physikalisch korrekt beeinflussen kann. Kaum einem anderen Spiel gelingt es auf Anhieb dermaßen gut, einen Charakter zu entwickeln, an den man sich emotional so gebunden fühlt. Reibt sich Yarny im Schneegestöber vor lauter Kälte die Wollarme, dann will man ihn aus dem Spiel ins eigene Wohnzimmer holen und ihn in eine Decke wickeln. Bei vielen anderen Games spielt man, um das Game durchzuzocken oder mehr von der Geschichte zu erfahren. Bei Unravel lebt man dafür im Moment: Man schließt Yarny ins Herz – und will ihm in der gerade stattfindenden Szene einfach helfen. (red)