Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es auf Wiener Stadtgebiet hunderte Steinbrüche, Sandabbau und Tongruben. Fossilien dieser Fundstellen in den Sammlungen des Naturhistorischen Museums Wien liefern wichtige Hinweise auf die Klimageschichte Europas.
Das neue Buch "Wien am Sand" von Mathias Harzhauser und Thomas Hoffmann begibt sich nun auf eine Zeitreise durch Wiens turbulente, geologische Vergangenheit.
Blick zurück: "Vor 18 Millionen Jahren lag Wien buchstäblich am Sand: Durch Bohrungen der OMV wissen wir, dass sich dort, wo sich heutig Wien befindet, die Paratethys (ein Randmeer Eurasiens, Anm.) lag", heißt es vom NHM zu "Heute".
Wien befand sich demnach in einer Lagune, die im Süden bei Schwechat in Festland überging, in Richtung Norden (Gegend von Mistelbach) aber immer tiefer wurde und dort 500 Meter Wassertiefe erreichte. Die Wassertemperatur war hoch, fiel auch im Winter nicht unter 20 Grad.
Während sich vor 14 Millionen Jahren ein Sandstrand in Pötzleinsdorf erstreckte, steckte Grinzing im tiefen Meer. Wo heute Bier gebraut wird, weideten Seekühe in den Seegraswiesen von Ottakring. In Kalksburg toste die Brandung an eine von Kiefernwäldern gesäumte Steilküste, heißt es.
In dieser Zeit erlebte die Artenvielfalt ihren Höhepunkt: Tropisch anmutende Küsten beherbergten tausende Arten von Stachelhäutern, Weichtieren, Krebstieren und Fischen. Gegen Süden bildete das heutige Leithagebirge eine isolierte Insel, die von Korallenriffen gesäumt war.
Vor 12 Millionen Jahren jagten in Hernals Robben und Alligatoren. Vor 10 Millionen Jahren wuchs rund um Wien der erste Wein an den Ufern des riesigen Pannonsees. Dieses Gewässer bedeckte weite Teile des heutigen Ostösterreichs.
„Vor 12 Millionen Jahren jagten in Hernals Robben und Alligatoren.“M. Harzhauser, Th. Hoffmann"Wien am Sand"
Westlich von Wien entstanden ausgedehnte Auenlandschaften rund um die zahlreichen Arme der Ur-Donau, wie die jüngsten Forschungen der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien ergaben.
Vor verhältnismäßig kurzer Zeit - vor 20.000 Jahren - waren die Alpen unter Gletschern verschwunden. Bis Wien reichten die Gletscher aber nie. Hier breitete sich eine blühende Steppenlandschaft mit Kräutern, Gräsern und Sträuchern aus, die riesige Horden an Pflanzenfressern ernährten.
In dem durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften geförderten Projekt mit dem Titel "A geological time travel through Vienna" durchforstete ein Team aus Paläontologen die geologischen Sammlungen der Wiener Museen und Universitäten, um die räumliche und zeitliche Verbreitung der verschiedenen Organismen zu erfassen.
Dabei konnten rund 23.000 Objekte bestimmt werden, die von mehr als 230 Fundpunkten innerhalb Wiens stammen. Die Fundpunkte reichen von Rodaun im Westen bis in die transdanubische Donaustadt im Osten, von Stammersdorf im Norden bis Rothneusiedl im Süden.