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Van der Bellens Antrittsrede: "Hans im Glück" als Pa...

Heute Redaktion
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Die Antrittsrede von Bundespräsident Alexander van der Bellen vor der EU versprüht Zuversicht und Hoffnung für ein starkes, gemeinsames Europa. Dabei zitierte er nicht nur aus einem Märchen, sondern trug ein - abgewandeltes - Gedicht vor - und erntete viel Applaus.

Bei der rund 25-minütigen Rede von van der Bellen, die immer wieder von Applaus unterbrochen wurde, waren drei Viertel der Abgeordneten anwesend - die EU-Kritiker Marine Le Pen und Nigel Farage fehlten. Der Bundespräsident sprach auf Deutsch, startete bei seiner Begrüßung, bei der er sich vorstellte, aber auf Englisch - und beendete seine Rede mit einem englischen Gedicht.

Anschließend gab es standing ovations, FP-Abgeordneter Vilimsky konnte sich nicht zu einem Applaus durchringen.
Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Abgeordnete!

Guten Tag. Mein Name ist Alexander Van der Bellen. Ich bin seit 26. Jänner Bundespräsident der Republik Österreich. Schön, Sie alle hier zu sehen.

Es war mir wichtig, dass meine erste Rede, die ich als neuer österreichischer Bundespräsident außerhalb meiner Heimat halte, hier im Europaparlament stattfindet.

Ich wende mich an die 508 Millionen Bürgerinnen und Bürger Europas. Und an Sie hier im Saal, deren direkt gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten. Deshalb möchte ich bei Präsident Tajani sehr herzlich

für die ehrenvolle Einladung bedanken, vor Ihnen, sehr geehrte Abgeordnete  und den Bürgerinnen und Bürgern Europas sprechen zu dürfen.

Kurz zu meiner Person: Meine Mutter war Estin, und dreisprachig: estnisch, russisch und deutsch. Mein Vater war kulturell Russe, und ethnisch ein Westeuropäer. Seine Vorfahren waren im 18. Jahrhundert

aus den Niederlanden nach Russland emigriert. Er sprach russisch, deutsch, estnisch und englisch. Ich bin in Wien geboren und in einem Dorf in den Tiroler Bergen aufgewachsen. Ich habe in Österreich und Deutschland gearbeitet und spreche 2 ¾ Sprachen: deutsch, englisch und die Sprache meines Heimatdorfes, die für Fremde nahezu unverständlich ist und die ich daher ungern als Dialekt bezeichne.

Ich könnte daher sagen: ethnisch und kulturell bin ich Österreicher UND ein Kind Europas. Das ist mittlerweile nichts Außergewöhnliches. In naher Zukunft wird das dem europäischen Durchschnitt entsprechen - wenn wir diese Zukunft nicht leichtfertig verspielen.

Ich bin entstanden aus einer glücklichen Verbindung vieler einzigartiger Umstände. Und das ist auch das Vereinte Europa für mich in seinen hellsten Stunden: Leider ist es notwendig, dass es in diesen Tagen wichtig ist, sich daran zu erinnern. Denn leider ist in der Europäischen Union wieder eine Rhetorik des Ausschließens in Mode gekommen. Man müsse sich entscheiden:

Zwischen der Liebe zu seinem Heimat- oder Vaterland auf der einen Seite und der Liebe zu Europa auf der anderen. Zwischen der Hilfsbedürftigkeit der eigenen Landsleute und der Hilfsbedürftigkeit anderer. Zwischen dem Eigennutz und dem Nutzen anderer.

Dieses „Entweder-Oder“ führt in die Irre.

Wir können unser Heimatland lieben UND die europäische Idee. (Hier erntete VdB Applaus)

Wir können unseren Landsleuten helfen UND ausländischen Mitbürgern.

Wir können uns selber nützen UND zum größeren Wohle aller betragen.

Es bedingt einander.

Wir bedingen einander.

Wir brauchen einander.

Europa ist für mich Kontinent des „UND“, und nicht des "Entweder / Oder"

Das ist nicht übertrieben. Das macht uns auf dieser Erde einzigartig.

Unser aller Zukunft ist direkt mit der zukünftigen Rolle Europas in der Welt verbunden. Deshalb waren auch die Zukunft der EU und die Zukunft der europäischen Demokratie zentrale Motive, ja Herzensanliegen meiner Wahlbewegung in Österreich. Und wir haben nicht zuletzt aufgrund dieser pro-europäischen Haltung die Wahl gewonnen.

Hier erntete VdB wieder kräftigen Applaus.

Ich erzähle Ihnen das, weil ich allen pro-europäischen Kräften Mut machen will. Es ist möglich mit einem glasklaren Bekenntnis zur EU Wahlen zu gewinnen.

Meine Wahl zum Bundespräsidenten vom 4. Dezember 2016 war eine klare Absage an den aufkeimenden Nationalismus, an den Protektionismus, an den verführerischen, vereinfachenden Populismus.

Meine Überzeugung: Mit der Verletzung der Würde des Menschen, mit der Ablehnung gegenüber allem „Fremden“, der Einschränkung von Grundrechten und Grundfreiheiten, mit neuen Mauern und Nationalismen lösen wir kein einziges Problem. Wir schaffen neue.

Wieder Applaus.

Der europäische Friede ist eine Zivilisationsleistung, auf die wir stolz sein sollen und die nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Erneut Applaus für VdB.

Auf Basis dieses gemeinsam errungenen Friedens können wir Europa zu Wohlstand und einer Blüte führen,

die seine einzelnen Länder isoliert nicht erreichen können; Wir sind gemeinsam stärker als alleine. Wenn wir auf diese einfache Wahrheit vergessen, setzen wir alles aufs Spiel, was uns ausmacht.

An die Adresse Trumps gerichtet sagte Van der Bellen:

 

Denn von außen betrachtet kann es für andere Staaten - ob Nachbarn oder durch die Meere von uns getrennt – natürlich erfolgversprechender und profitabler erscheinen, die Union auseinander zu dividieren. Wir müssen versuchen, einen Rückfall in frühere Kleinstaaterei zu vermeiden.

Applaus

Märchen "Hans im Glück"

Es gibt im Deutschen das Märchen vom „Hans im Glück“, in dem ein junger Mann einen großen Klumpen Gold, den er anfänglich besitzt, erst gegen ein Pferd, dann gegen eine Kuh, usw. und schlussendlich gegen einen Stein eintauscht. Weil er sich einreden lässt, das sei jeweils ein ganz hervorragendes Geschäft.

Lassen wir uns nicht einreden, es wäre ein gutes Geschäft, wenn wir die Macht unserer großen europäischen Gemeinschaft gegen die viel kleinere Macht der vermeintlichen nationalen Souveränität eintauschen.

Applaus.

Am Ende wäre das nämlich ein Verlust für uns alle.

Alle großen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, seien es Flucht und Migration,

Klimawandel und Energiepolitik, Arbeitslosigkeit und Armut, Krieg und Vertreibung, Gewalt und Terror, oder die digitale Transformation.

All das ist doch nur gemeinsam lösbar.

Und wer, wenn nicht die Europäische Gemeinschaft, wird dafür sorgen können, dass die globalen Konzerne ihre Marktmacht nicht missbrauchen? Wer, wenn nicht die Europäische Union, wird die neuen Spielregeln mit facebook, google, Microsoft und Co vereinbaren?

Politisch wichtig ist , dass bei allem Zweifel die Zuversicht überwiegt. Denn nur die Zuversicht ermöglicht uns,

daran zu glauben, dass Verbesserungen möglich sind.

Ich glaube an ein Europa, wo die rechtsstaatlichen Grundfesten unserer Demokratien fest verankert sind, und wo wir zwischen Tatsachen, fake news und alternative facts sehr wohl unterscheiden können.

 

Wir können zeigen, dass unsere europäischen Werte unverhandelbar sind.

Gemeinsam können wir alle – alt und jung – die anstehenden Herausforderungen, die vor uns liegen, meistern.

Wir Ältere dürfen nicht zulassen, dass Europa den Jüngeren gestohlen wird.

 

Europa zu zerstören ist nicht schwer, aber wiederaufzubauen ist schwer.

                                                                                                                                

Lassen wir uns unsere Zuversicht und unseren Glauben nicht nehmen.

Die europäische Idee ist groß.

Sie ist einzigartig.

Sie ist aller Mühen wert.

Erlauben Sie mir abschließend aus einem Gedicht der britisch-walisischen Poetin Sarah Williams zu zitieren, leicht abgewandelt:

„I do love the stars too much to be fearful of night, or oft the next crisis of EU.“

Thank you.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anmerkung: Sarah Williams, The Old Astronomer, 1868:

Though my sou l may set in darkness

It will rise in perfect light

I have loved the stars too fondly

To be fearful of the night.)