Kinderärztemangel 

Verzweifelte Eltern senden Bewerbungsschreiben an Ärzte

Zahlreiche Kinderarztpraxen im Schweizer Kanton Zürich sind überlastet. Einige nehmen keine neuen Patienten mehr. Die Eltern wissen nicht mehr weiter. 

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Verzweifelte Eltern senden Bewerbungsschreiben an Ärzte
Die Ursachen für die prekäre Lage sind vielfältig.
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Kinderärztin Corina Wilhelm, Präsidentin der Vereinigung Zürcher Kinder- und Jugendärzte (VZK), schlägt Alarm. In Kinderarztpraxen im Kanton Zürich fehlen derzeit 100 Vollzeit-Kinderärzte. Die Auswirkungen seien in den Bezirken Meilen und Horgen deutlich spürbar: Praxen werden förmlich überrannt, manche nehmen nur noch lokale Patienten an, andere haben gar keine Kapazität mehr für Neuaufnahmen, berichtet die "Zürichsee-Zeitung". Verzweifelte Eltern senden Bewerbungsschreiben und Fotos ihrer Kinder, manchmal sogar Drohungen, wenn ihre Kinder nicht aufgenommen werden können. Das habe bereits einen Einsatz der Polizei erfordert.

Bevölkerungswachstum verschärft Situation

Die Ursachen für die prekäre Lage seien vielfältig. Die Bevölkerung im Kanton Zürich ist zwischen 2012 und 2022 um zwölf Prozent – also um 170.000 Personen – gestiegen, bei Kindern und Jugendlichen sogar um 14 Prozent. Laut Wilhelm wären 270 Kinderärzte notwendig, um die 270.000 jungen Einwohner angemessen zu versorgen. Aktuell stehen jedoch nur 176 Ärzte zur Verfügung. Die Belastung der Kinderärzte werde durch die Corona-Pandemie verschärft, da sie vermehrt mit psychischen Problemen ihrer jungen Patienten konfrontiert seien. Eltern suchen vermehrt Rat bei Kinderärzten zu komplexen Themen wie Angsterkrankungen und Depressionen, so die "Zürichsee-Zeitung" weiter. Doch auch Jugendpsychiater, Schulpsychologen und Psychotherapeuten seien überlastet.

Abrechnungstarif Tarmed in der Kritik

Ein weiterer Faktor sei der veraltete Abrechnungstarif Tarmed, der viele Untersuchungen nicht mehr kostendeckend mache. Die Kinderärzte würden sich mit chronischer Überlastung und vergleichsweise schlechten Verdienstmöglichkeiten konfrontiert sehen, was junge Mediziner abschrecke. Die VZK-Präsidentin schlägt eine kantonale telefonische Beratungsstelle vor, um Eltern zu entlasten. Medizinisch geschultes Personal könnte qualifizierte Beratung bieten und bei Bedarf an Kinderärzte verweisen. Die Idee wurde bei der Gesundheitsdirektion eingereicht, bisher jedoch ohne Erfolg.

Rahmenbedingungen sollen verbessert werden

Viele Kinderärzte würden bald das Pensionsalter erreichen. Ohne rasche Lösungen werde die Situation weiter verschärft, und Hunderte Familien könnten bald ohne kinderärztliche Versorgung dastehen. Der Appell von Corina Wilhelm ist deutlich: Die Rahmenbedingungen müssen dringend angepasst werden, um junge Mediziner und Medizinerinnen für den Kinderarztberuf zu gewinnen.

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