Krieg gegen die Ukraine

"Völliger Zusammenbruch" – Militär-Experte mit Warnung

Die USA wollen die Ukraine nicht mehr länger unterstützen. Was hieße das für die Ukraine – und für Europa?
20 Minuten
05.03.2025, 15:10
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US-Präsident Donald Trump hat angeordnet, die Militärhilfen für die Ukraine vorerst auszusetzen. Zuvor war er mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen im Weißen Haus aneinandergeraten. Jetzt ist die Aufregung groß. Im Interview mit "20 Minuten" schätzt Oberst Markus Reisner von der Militärakademie Wien die aktuelle Lage ein.

Oberst Reisner, wie lange kann die Ukraine ohne US-Hilfe militärisch bestehen?

Es ist nicht zu 100 Prozent klar, ob die Einstellung der Hilfe bereits beschlossene Sache ist oder nur eine Drucktaktik von Präsident Trump ist.

Wenn die USA ihre Hilfe tatsächlich einstellen, gibt es drei wichtige Unterstützungsfelder:

  • Die militärische Ausrüstung (Munition, Waffen), die von den USA geliefert werden. Dieses Feld könnte von Europa eventuell ersetzt werden.
  • Die Kommunikationsunterstützung (wie Starlink), die den Ukrainern die Führung ihrer militärischen Mittel erleichtert. Diese Fähigkeit kann durch Europa nur mehr mit großen Anstrengungen kompensiert werden.
  • Und vor allem die Geheimdienstunterstützung, die für die Ukraine und Europa unersetzlich ist. Denn die Ukraine weiß dank der US-Aufklärung sehr gut, wie es um die Bewegungen der russischen Streitkräfte steht. Ohne diese Informationen sind die eigenen Möglichkeiten der Ukraine begrenzt. Europa kann mit Satellitenbildern ein wenig helfen, aber es kann nicht ersetzen, was die USA liefern. Ohne ein klares Feindlagebild kann die Ukraine ihre ohnehin begrenzten Ressourcen nicht wirksam einsetzen.

Könnte Europa einen Ausfall kompensieren?

Europa hat zwar die technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, dies zu kompensieren, aber es wäre ein langsamer Prozess. Das würde viel Zeit brauchen – Zeit, die die Ukraine nicht hat. Europa arbeitet ja immer noch an der Aufstockung seiner eigenen Streitkräfte. Außerdem gibt es Bedenken wegen der zunehmend steigenden Preise der Rüstungsgüter und der Notwendigkeit, die Produktion hochzufahren.

Wo würden Sie im schlimmsten Fall erwarten, dass die Front nachgibt?

Wenn die Ukraine mit den ihr zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln die Linie nicht halten kann, wird es eine beschleunigte Rückzugsbewegung aus den umkämpften Regionen geben. Das könnte vorerst nur eine Verzögerung sein, aber im schlimmsten Fall könnte es zu einem völligen Zusammenbruch kommen. Davon könnten Gebiete wie Pokrowsk, Kupjansk, Siversk und die Gegend um Kursk betroffen sein.

Was ist Ihr Worst-Case- und Best-Case-Szenario?

Der schlimmste Fall wäre aufgrund mangelnder Hilfe ein Zusammenbruch der ukrainischen Front sowie ein Zurückweichen, welches erst am Fluss Dnipro aufgefangen werden könnte. Der beste Fall wäre, wenn Europa schnell eingreift und genügend Hilfe bereitstellt, um die Front zu stabilisieren.

Finnlands Sicherheitsdienst warnt vor einer verstärkten russischen Einflussnahme. Zu Recht?

Ja. Man kann gut erkennen, dass die Russen über die letzten Jahre zunehmend auf hybride Angriffe, darunter gezielte Sabotage, gesetzt haben. Wenn die USA nicht mehr mit ihrer gesamten Militärmacht hinter Europa stehen, dann fällt natürlich für Moskau jede Bedrohung weg – und Russland kann dort weitermachen, wo es begonnen hat. Das heißt jetzt nicht, dass russische Panzer bereits Kurs auf Berlin nehmen. Aber es bedeutet eine Zunahme anderer Formen der hybriden russischen Kriegsführung. Europa soll geschwächt werden.

Könnte Russland nach einer Kapitulation der Ukraine nicht einfach aufhören?

Hier müssen wir einen Vergleich aus der Geschichte bemühen. Das ist ähnlich wie das, was Neville Chamberlain 1938 in Bezug auf das Münchner Abkommen sagte. Man dachte, man hätte Adolf Hitler beruhigt, das Gegenteil war der Fall. Damals hat die Beschwichtigungspolitik nichts gebracht. Wir beschreiten im Moment Neuland, wir erleben hautnah Geschichte, der Ausgang ist völlig offen.

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