US-Präsident Donald Trump hat angeordnet, die Militärhilfen für die Ukraine vorerst auszusetzen. Zuvor war er mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen im Weißen Haus aneinandergeraten. Jetzt ist die Aufregung groß. Im Interview mit "20 Minuten" schätzt Oberst Markus Reisner von der Militärakademie Wien die aktuelle Lage ein.
Es ist nicht zu 100 Prozent klar, ob die Einstellung der Hilfe bereits beschlossene Sache ist oder nur eine Drucktaktik von Präsident Trump ist.
Europa hat zwar die technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, dies zu kompensieren, aber es wäre ein langsamer Prozess. Das würde viel Zeit brauchen – Zeit, die die Ukraine nicht hat. Europa arbeitet ja immer noch an der Aufstockung seiner eigenen Streitkräfte. Außerdem gibt es Bedenken wegen der zunehmend steigenden Preise der Rüstungsgüter und der Notwendigkeit, die Produktion hochzufahren.
Wenn die Ukraine mit den ihr zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln die Linie nicht halten kann, wird es eine beschleunigte Rückzugsbewegung aus den umkämpften Regionen geben. Das könnte vorerst nur eine Verzögerung sein, aber im schlimmsten Fall könnte es zu einem völligen Zusammenbruch kommen. Davon könnten Gebiete wie Pokrowsk, Kupjansk, Siversk und die Gegend um Kursk betroffen sein.
Der schlimmste Fall wäre aufgrund mangelnder Hilfe ein Zusammenbruch der ukrainischen Front sowie ein Zurückweichen, welches erst am Fluss Dnipro aufgefangen werden könnte. Der beste Fall wäre, wenn Europa schnell eingreift und genügend Hilfe bereitstellt, um die Front zu stabilisieren.
Ja. Man kann gut erkennen, dass die Russen über die letzten Jahre zunehmend auf hybride Angriffe, darunter gezielte Sabotage, gesetzt haben. Wenn die USA nicht mehr mit ihrer gesamten Militärmacht hinter Europa stehen, dann fällt natürlich für Moskau jede Bedrohung weg – und Russland kann dort weitermachen, wo es begonnen hat. Das heißt jetzt nicht, dass russische Panzer bereits Kurs auf Berlin nehmen. Aber es bedeutet eine Zunahme anderer Formen der hybriden russischen Kriegsführung. Europa soll geschwächt werden.
Hier müssen wir einen Vergleich aus der Geschichte bemühen. Das ist ähnlich wie das, was Neville Chamberlain 1938 in Bezug auf das Münchner Abkommen sagte. Man dachte, man hätte Adolf Hitler beruhigt, das Gegenteil war der Fall. Damals hat die Beschwichtigungspolitik nichts gebracht. Wir beschreiten im Moment Neuland, wir erleben hautnah Geschichte, der Ausgang ist völlig offen.