US-Präsident Donald Trump hat seine Drohung wahr gemacht und die Militärhilfe für die Ukraine gestoppt. Die ukrainische Armee könnte nun ohne US-Gelder und -Waffen entscheidend geschwächt werden. Ob das für einen schnellen Frieden sorgen wird, ist unklar, vielmehr gehen Experten davon aus, dass es Russland jetzt leichter fallen könnte, immer größere Gebiete zu besetzen. Beobachter erwarten zudem keinen sofortigen Frontkollaps, aber weit mehr Opfer. Eine Lageeinschätzung gab es am Dienstagabend bei Moderator Armin Wolf in der "ZIB2".
Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt erklärte, die Einstellung der Hilfen könnte "durchaus dramatische" Folgen für die Ukraine haben. Es gehe neben Waffen und Munition auch darum, die wichtigen Kommunikationsmittel-Unterstützung für die Front und die Lieferung von Aufklärungs- und Zieldaten einzustellen, so der Experte. "Das steht alles jetzt auf der Kippe", so Reisner. Nur Gerätschaften könnten die Ukraine und Europa zum Teil kompensieren, nicht aber die Aufklärung und Überwachung.
"Die Ukraine ist faktisch blind und weiß nicht, wo sie mit ihren Kräften ansetzen soll", so Reisner zu einem Ausbleiben dieser Daten. Russland könnte das dagegen nutzen "und einen Dammbruch erzielen". Es sei "eine sicherheitspolitische Zeitenwende", man sei wieder im 19. Jahrhundert in Machtpolitik mit militärischen Mitteln. Donald Trump wende "Zuckerbrot und Peitsche" an, möglicherweise habe "der wichtigste Verbündete der Ukraine die Seiten gewechselt". Nebeneffekt: Es rede kaum jemand mehr über den Aggressor Wladimir Putin.
Putin könne "dort weitermachen, wo er die letzten drei Jahre nicht aufgehört hat, nämlich den Versuch zu starten, die Ukraine nachhaltig zu zerstören". Donald Trump spiele indes mit der Öffentlichkeit, drohe eher als er konkrete Ziele erreiche. "Alles fällt und steht mit Sicherheits-Garantien", so Reisner. Habe die Ukraine keine Sicherheits-Garantien, werde Russland einfach weitermachen mit seinem Krieg, "es gäbe ja niemand, der sie aufhalten würde". Ein Deal funktioniere nur, wenn es solche Garantien gebe. "Putin sitzt jetzt erste Reihe fußfrei mit Popcorn in der Hand und sieht zu, was passiert", so Reisner.
Erkenne Europa "nicht den Ernst der Lage" und schaffe es auch nicht, Abschreckungsmöglichkeiten zu schaffen, hielt der Oberst auch einen Angriff Putins auf ein EU-Land für möglich.
In der Ukraine zeigen sich Soldaten und Parlamentarier, aber auch Beamten und Journalisten zuversichtlich, dass die momentanen Frontlinien auch ohne US-Hilfe sechs Monate lang gehalten werden können. Diese Schätzungen inkludieren aber US-Hilfspakete, die zwar eigentlich bereits abgesegnet wurden und teils schon auf dem Weg in die Ukraine sind, nun aber trotzdem von Trump gestoppt werden könnten.
"Das Einfrieren von Bundeszuschüssen und internationaler Hilfe hat gezeigt, dass das, was früher als grenzwertig illegal galt, jetzt durchaus möglich ist", sagt ein Experte für US-Aussenpolitik gegenüber iStories.
"Macht der Verlust der US-Hilfe die Situation für die ukrainischen Streitkräfte schwieriger? Ja. Führt er zu einem totalen Zusammenbruch in sechs Monaten? 'Nein'", schätzt ein ehemaliger ukrainischer Militäroffizier und Open-Source-Geheimdienstanalyst die jetzige Situation ein. "Es bedeutet, dass mehr ukrainische Soldaten und Zivilisten getötet werden, vor allem wenn die Luftabwehrvorräte zur Neige gehen, aber auf dem Schlachtfeld wird es keinen plötzlichen Zusammenbruch geben."
Klar ist: Der plötzliche Gesinnungswandel der USA wird die ukrainische Armee in einigen Bereichen vor große Herausforderungen stellen. Zwar haben die europäischen Staaten ihre Militärhilfe laufend ausgebaut und summarisch etwa gleich viel für Waffen und Munition für Kiew ausgegeben wie die Vereinigten Staaten – in einzelnen Bereichen sind die Kapazitäten Europas aber nicht mit denen der USA vergleichbar.