Trump vs. Selenski

Soldat: "Land, das uns schützen sollte, greift uns an"

Ein Land, zutiefst verletzt: Die meisten Ukrainer und Ukrainerinnen hat der Eklat zwischen Donald Trump und ihrem Präsidenten schwer getroffen.
Newsdesk Heute
04.03.2025, 11:55

Dass der US-Präsident den ukrainischen Präsidenten beschuldigte, den Dritten Weltkrieg zu provozieren, traf viele in der Ukraine besonders hart: Denn eine solche Opfer-Täter-Umkehrung kennt man in der Ukraine aus der Kreml-Propaganda, nicht aber aus dem Weißen Haus.

"Das ist, als ob man einem Mädchen, das vergewaltigt wurde, vorwirft, es habe selbst Schuld daran", empört sich Olha (40), eine Friseurin aus Kiew, im Gespräch mit "20 Minuten"-Reporterin Ann Guenter.

Trump log Selenski ins Gesicht

Donald Trump konfrontierte seinen Gast auch mit dessen angeblich tiefen Umfragewerten daheim. Demnach werde der ukrainische Präsident von gerade noch vier Prozent der Bevölkerung gestützt. Woher der US-Präsident diese Zahl hat, ist unklar, der Kreml hat sie aber gerne aufgenommen.

Falsch bleibt sie trotzdem: Wolodimir Selenskis Zustimmungswerte liegen seit 2022 und je nach Umfrageinstitut jeweils bei 50 bis 60 Prozent – und sind nach dem Eklat vom Freitag noch einmal gestiegen: auf 63 Prozent. Es war aber nicht die einzige Falschbehauptung durch die US-Spitze.

"Erhöhte Wahrscheinlichkeit des Scheiterns"

Der Politologe Wolodimir Fesenko bezeichnet das Skandal-Treffen als "unerwartetes Verhandlungsdesaster". Auf beiden Seiten hätten die Emotionen Oberhand gewonnen und die rationalen Interessen überlagert. Er erwartet, dass der Druck auf die Ukraine weiter zunehmen wird – "indem die USA die Lieferung von Waffen und logistischer Unterstützung blockieren". Das ist bereits am Montag geschehen.

Fesenko zufolge müsse die Ukraine nun ihre Bereitschaft zu Friedensgesprächen erst recht demonstrieren und versuchen, das Format der Verhandlungen zu erweitern, indem die Europäer in den Prozess einbezogen würden. Aber: "Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ist nun deutlich erhöht."

Angriff nicht auf Selenski, sondern Nation

Mykola Kniazhytsky, Journalist und ukrainischer Parlamentarier, argumentiert auf Facebook: Selenski folge als Präsident nicht – wie von Trump insinuiert – persönlichen Machtgelüsten, sondern dem Willen der Armee und des Volkes.

Ein neuer Präsident werde nichts ändern. Vielmehr werde "die Personalisierung des Krieges und die Fehleinschätzung des Konflikts durch amerikanische Politiker" Selenskis Popularität erhöhen. Denn: "In den Köpfen der Ukrainer greifen die USA nicht Selenski an, sondern die Nation, die er repräsentiert."

Stimmen aus der Ukraine

Der Rally-around-the-Flag-Effekt, also die erhöhte Unterstützung der Regierung eines Landes im Krieg, ließ sich am Wochenende fast durchgehend in den sozialen Medien, in Artikeln und Telefonaten feststellen.

"Selenski ist ein Schwachkopf"

Wie lange der Effekt anhält, wird sich zeigen. Denn es gibt auch Leute wie Maksim* (38) aus dem umkämpften Oblast Donezk, der zu "20 Minuten" sagt: "Die Menschen sind des Krieges müde – nicht nur die Soldaten, sondern auch ihre Familien und Leute wie wir, die in der Nähe der Kontaktlinie leben." Der Krieg hätte "schon vor drei Jahren verhindert werden können", meint Maksim. Selenski habe "deutlich gezeigt, dass er den Krieg braucht", um an der Macht zu bleiben.

Auch Oleh (32), ein Arbeitsloser aus Kiew, macht aus seiner Abneigung keinen Hehl. Am Clash im Weißen Haus sei allein Selenski schuld: "Selenski kam wieder in seiner Klempner-Uniform und mit furchtbarem Englisch – man kann sagen, dass er Trump im eigenen Haus gestört hat. Der Präsident der Ukraine ist ein Schwachkopf."

"Trump ist ein pathologischer Showman"

Doch Oleh und Maksim bleiben eher die Ausnahme: "Ich stehe für meinen Präsidenten ein", sagt etwa Olena (58), eine Vertriebene aus den besetzten Gebieten der Ostukraine. "Wen soll ich sonst unterstützen? Was will Trump uns sagen: Dass die Ukrainer selbst schuld sind, angegriffen worden zu sein?"

Auch Artem* ist von Trump maßlos enttäuscht: "Das Land, das uns schützen sollte, hat uns angegriffen", sagt der 31-jährige Soldat, der derzeit bei Charkiw stationiert ist. "Wenn ihr Frieden wollt – kommt und stellt euch zwischen uns. Ihr müsst verstehen: Wir stecken in diesem Krieg fest."

Dasha Shust (33) aus Poltava in der Zentralukraine mahnt zur Besonnenheit. Ihr Ehemann kämpft seit dem ersten Tag der Vollinvasion. "Wir müssen jetzt alle ruhig bleiben. Trump ist ein pathologischer Showman und vielleicht hat er sogar Spaß an einer solchen Wendung", sagt sie und fügt an: "Ich verstehe nicht, wie Trump auf der Seite des Friedens und auf der Seite des Aggressors stehen kann."

*Namen der "20 Minuten"-Redaktion bekannt

{title && {title} } red, {title && {title} } Akt. 04.03.2025, 12:03, 04.03.2025, 11:55
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