Ukraine

Heeres-Oberst: NATO will Putin "wie Frosch kochen"

Die NATO wolle Putin "wie einen Frosch kochen", sagt Markus Reisner und erklärt, wieso noch viel mehr Leid geschehen muss, bis der Krieg enden kann.

Roman Palman
Bundesheer-Oberst Markus Reisner (l.) analysiert Wladimir Putins Invasion der Ukraine seit Beginn.
Bundesheer-Oberst Markus Reisner (l.) analysiert Wladimir Putins Invasion der Ukraine seit Beginn.
Screenshot YouTube / Bundesheer; Yury Kochetkov / AP / picturedesk.com; Efrem Lukatsky / AP / picturedesk.com

Die ursprünglich für drei Tage geplante "militärische Spezialoperation" Wladimir Putins dauert immer noch an – seit mehr als einem Jahr führt Russland nun schon einen mörderischen Krieg gegen die Ukraine. 

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Was muss passieren, dass dieser aufhört? Eine vielfach gestellte Frage, auf die selbst Militärexperten wie Oberst Markus Reisner keine erfreuliche Antwort geben kann.

Tödlicher Abnützungskrieg

Nach der ersten hochmobilen Phase in den ersten Wochen der Invasion hätten die Russen ihre Taktik hin zu einem Stellungskrieg geändert. Die Waffen des Westens ermöglichen es den Verteidigern, dagegenzuhalten. Seither befinden sich die Ukraine und Putins Truppen in einem sogenannten Abnützungskrieg, in dem beide Seiten horrende Verluste erleiden.

"Das Problem ist, dass Abnützungskriege leider die Herausforderung haben, dass sie geführt werden, bis einer Seite die Ressourcen ausgehen oder die Bevölkerung nicht mehr bereit ist, das Leid des Krieges mitzutragen", schilderte der Bundesheer-Offizier am 24. Februar 2023 im Podcast "Erklär mir die Welt" die prekäre Situation. Der einzige Ausweg wäre ein durchschlagender militärischer Erfolg auf einer Seite.

Kritik an Waffenlieferungen

"Erkennen kann man, dass die Ukraine offensichtlich das militärische Gerät bekommt, aber immer nur so viel, dass man den Russen etwas entgegenhalten kann und auch Erfolg erzielen kann, aber eben keinen durchschlagenden."

Die geringen Stückzahlen an schweren Waffenlieferungen (HIMARS, Panzer, etc.) seitens der NATO hatte Reisner bereits zu Weihnachten scharf kritisiert: "Was der Westen der Ukraine liefert, ist zu viel, um zu sterben, und zu wenig, um zu leben." 

Das habe sich bislang nicht geändert. Der Westen liefere immer nur so viele Waffen, dass eine asymmetrische Situation zugunsten der Russen auf dem Gefechtsfeld von den Ukrainern mit dem modernen Gerät wieder ausgeglichen werden könne.

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    <strong>Herbe Schlappe für Putin ein Jahr nach Kriegsbeginn:</strong> Seine Armee soll eine "epische Panzerschlacht"...
    Herbe Schlappe für Putin ein Jahr nach Kriegsbeginn: Seine Armee soll eine "epische Panzerschlacht"...
    Evgeniy Maloletka / AP / picturedesk.com

    Angst vor Atom-Eskalation

    Reisner kennt den Grund für diese nach außen hin oftmals irrational erscheinende Zurückhaltung bei der militärischen Unterstützung der Ukraine: "Weil die große Furcht ist, dass, wenn die Russen in die Enge getrieben werden, es zu einer irrationalen Handlung kommt", warnt der Garde-Oberst, der klar benennt, was damit gemeint ist: "Möglicherweise einen Einsatz von Atomwaffen."

    Gerade bei der Rückeroberung der Gebietshauptstadt Cherson seien die Atomdrohungen des Kremls ein großes Thema gewesen. "Da haben sogar die Ukrainer dem Westen gesagt: 'Macht euch keine Sorgen, wenn sie Atomwaffen einsetzen, wir werden trotzdem weitermachen'", erinnert Reisner. Ein solcher Vorfall könne aber international schnell eskalieren. "Das Problem ist aber, man kann das dann sehr schwer einfangen."

    Putin wird "gekocht wie ein Frosch"

    Die Strategie auf Seiten der NATO sei es deshalb, dafür zu sorgen, "dass die Ukraine nicht kollabiert oder untergeht" und zumindest genügend Waffen habe, um sich verteidigen zu können. "Man hofft, dass die Russen von selbst draufkommen, dass es keinen Sinn mehr macht, hier weiterzukämpfen, und aufgeben; oder es so rumort in der Bevölkerung, dass sie sagen: 'Aus, dieser Krieg bringt jetzt nichts'."

    Oberst Markus Reisner ist Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt und ...
    Oberst Markus Reisner ist Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt und ...
    Screenshot YouTube/Österreichs Bundesheer

    Im Militärjargon nenne man das "boiling the frog": "Man kocht den Frosch und hofft, dass der bewusstlos wird und stirbt und nicht vorher aus dem Häferl heraushüpft", erklärt Reisner den strategischen Ansatz des Westens. Damit nimmt er Bezug auf den Mythos, wonach ein Frosch sich langsam erhitzendes Wasser erst bemerkt, wenn es für ihn längst zu spät ist. "Das Fatale daran ist, dass das heißt, dass sich der Krieg in die Länge zieht."

    ... Kommandant der Garde.
    ... Kommandant der Garde.
    Bundesheer/Kristian Bissuti

    Die Ukraine sei dadurch gezwungen, immer mehr Menschen als Soldaten in die Schützengräben an der Front zu schicken. Das Sterben gehe dadurch immer weiter. Und "solange die Russen nicht einsehen, dass es keinen Sinn mehr macht und aufhören, werden sie weiter gegen diese Stellungen anrennen [...]."

    "Im Jahr 1915 angekommen"

    Reisner bemüht einen historischen Vergleich, um das Stimmungsbild in beiden Kriegsnationen zu verdeutlichen: "Wir sind aus dem Jahr 1914 im Jahr 1915 angekommen." 1915 sei das Jahr der Ernüchterung gewesen, wo alle kriegsführenden Regierungen hatten feststellen müssen, dass alle ihre Pläne nicht aufgegangen sind und einsehen mussten, dass die gesamte Wirtschaft auf Krieg umzustellen und die Bevölkerung zu mobilisieren ist.

    "Das ist die Realität, in der wir angekommen sind", zieht Reisner einen horrenden Schlussstrich. Er sieht nur mehr zwei Optionen, aus denen sich die westlichen Staaten für eine entscheiden müssten: die Ukraine weiter unterstützen, dass sie bis zu einem russischen Rückzug durchhalten kann, oder, "wenn wir feststellen, wir können das nicht und auch nicht dazu bereit sind, da nachgeben. Und das ist der Fall, wo wir dann auch ganz realistisch irgendwie versuchen müssen, aus dem Dilemma herauszukommen".

    "Aber das Dazwischen, dieses Fegefeuer, das wir erleben, verlängert den Krieg. Das sehen wir zurzeit." Eine Entscheidung in diesem Krieg liege deshalb wohl noch in weiter Ferne.

    Warum keiner Verhandlungen will

    Und was ist mit Verhandlungen? Derzeit besteht weder in Moskau, noch in Kiew Interesse daran. Ernsthafte diplomatische Versuche hat es seit den Verhandlungen über die Getreideausfuhr keine mehr gegeben.

    Die Gründe: Wladimir Putin hat noch nicht einmal das Minimalziel der "Befreiung des Donbass" erreicht, strebt aber nach der Besetzung aller vier illegal annektierten Oblaste im Süden und Osten der Ukraine. Von dieser Maximalforderung ist der Kreml-Despot noch nicht abgewichen.

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      Der russische Präsident <a data-li-document-ref="100255366" href="https://www.heute.at/s/ukraine-100255366">Wladimir Putin</a> hält am Dienstag seine Rede zur Lage der Nation – kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Kriegs gegen die Ukraine.
      Der russische Präsident Wladimir Putin hält am Dienstag seine Rede zur Lage der Nation – kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Kriegs gegen die Ukraine.
      Kreml via REUTERS (Archivbild 2019)

      Auch Wolodimir Selenski propagiert weiter das Maximalziel und will das gesamte Territorium – einschließlich der 2014 von den Russen besetzten Halbinsel Krim – zurückerobern. Beide Seiten sind laut Reisners Einschätzung weiterhin überzeugt, noch siegen zu können. Solange das so bleibt, heißt es weiterhin Njet zur Diplomatie.

      So wird der Krieg enden

      Das Dilemma sei, sollte die Ukraine jetzt nachgeben, die Russen keine Notwendigkeit mehr für richtige Verhandlungen sehen würden. Friere der Konflikt etwa bei einem Waffenstillstand ein, hätte die Ukraine riesige Teile ihres Territoriums auf Dauer verloren. 

      Am Ende des Tages werde es aber eine Lösung auf dem Verhandlungstisch geben, das sei laut Reisner in der Kriegsgeschichte immer der Fall gewesen – "unabhängig davon, ob jetzt die eine Seite komplett zusammengebrochen ist und kapituliert hat, oder es eine Art Waffenstillstand gab".

      Dafür müsse aber "der Leidensdruck [der Bevölkerung] so groß sein, dass [die Staatsführung] dafür bereit ist". Der Kriegsanalyst beschönigt nichts: "Die Bevölkerung leidet massiv unter solchen Ereignissen, die Ukraine als solches verteidigt sich auf ihrem eigenen Staatsgebiet gegen den russischen Angriff. Das heißt, alles was an Zerstörung passiert, passiert in der Ukraine. Das ist das Verheerende."

      Putins Überfall auf die Ukraine war für ganz Europa ein Schock und wird auf Jahre und Jahrzehnte noch Nachwirkungen haben. Reisner zum Abschluss seines Interviews: "Wir haben es fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zugelassen, dass die Furie des Krieges wieder ihr Unwesen treibt, und jetzt ist sie da und wir bekommen sie nicht los. Und je länger sie da ist, desto mehr Zerstörung passiert."

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        Eine Panzerhaubitze vom Typ M-109 A5Ö aus den früheren Beständen des österreichischen Bundesheeres wurde in der Ukraine in Trümmer geschossen.
        Eine Panzerhaubitze vom Typ M-109 A5Ö aus den früheren Beständen des österreichischen Bundesheeres wurde in der Ukraine in Trümmer geschossen.
        Twitter/Ukraine Weapons Tracker
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          EXPA / APA / picturedesk.com