Niederösterreich

War dieses Video Todesurteil für Kritiker (43)?

In Österreich lebte Regime-Kritiker Anzor S. unter dem Namen Martin B. In Videos verurteilte der Präsident Kadyrow scharf und beschimpfte ihn.

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Das Mordopfer von Gerasdorf.
Das Mordopfer von Gerasdorf.
privat

In der Tschetschenen-Community sowie auch in Tschetschenien waren die Videos von Anzor S. alias Mamikhan U. alias Martin B. bekannt. Regimegegner feierten ihn dafür, in seiner Heimat wurde er dafür gehasst. 

In einem der elfminütigen Kritikvideos sitzt Anzor S. (43) entspannt auf einem Strandsessel und spricht zu 90 % Tschetschenisch, 10 % Russisch (Anm.: meist Kraftausdrücke). Die Kritik richtet sich vor allem gegen Tschetscheniens Präsident Ramsan Achmatowitsch Kadyrow und gegen den Politiker Adam Delimchanov sowie andere.

"Präsident lässt Volk hungern"

Im Video sagt der Kritiker, dass der Präsident sein Volk ausbeuten und sogar Volksvermögen stehlen würde, die Menschen nichts zu Essen hätten. Der 43-Jährige beschimpft weiters die Familien, vor allem die Mütter, Ehefrauen und Kinder, der besagten zwei Politiker und anderer tschetschenischer Politiker auf das Tiefste. Weiters gibt er an, Listen zu haben, wer mit wem Sex hätte und wer wen betrüge.

Aus Persönlichkeitsgründen wurde die Tonspur entfernt.

Todeslisten?

In einschlägigen Kreisen galt Anzor S. dafür als Held, in seiner Heimat als Volksverräter und Todfeind. Der neunfache Vater und Präsident Kadyrow herrscht diktatorisch bis totalitär, ihm werden vor allem schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschleppungen, Korruption und auch Auftragsmorde vorgehalten. Angeblich soll er sogar Todeslisten führen, er selbst tat diese Vorwürfe als "Schwachsinn" ab. 

Kadyrow ist Kult

Um Kadyrow besteht ein Personenkult, 2011 spielte er etwa mit einer tschetschenischen Auswahl als Kapitän mit Lothar Matthäus gegen die brasilianische Weltmeistermannschaft. 10.000 Fans feierten ihn mit "Allah ist groß"-Rufen. Auch Putin weiß Kadyrows Fähigkeiten zu schätzen. 

Wie berichtet war am Samstagabend gegen 19.30 Uhr in der Nähe des G3 im Bezirk Korneuburg, an der Grenze zu Wien, der 43-jährige Martin B., alias Anzor S., mit einem Kopfschuss hingerichtet worden (Anm.: am Parkplatz vor einer Werkstatt). Der Schütze floh mit einem silbernen Wagen Richtung Linz, wurde dann um exakt 20.40 Uhr bei der Kreuzung Zeppelinstraße/Schickmayrstraße im Linzer Stadtteil Kleinmünchen festgenommen. Der mutmaßliche Killer leistete dabei keinen Widerstand. 

Killer ist polizeibekannt

Die Einvernahmen erfolgen durch das LVT (Landesverfassungschutz) Niederösterreich in St. Pölten, den Strafakt führt die Staatsanwaltschaft Korneuburg. Die Ermittlerbehörden halten sich ob der Brisanz des Falles bedeckt, ein politisches Motiv ist indes nur schwer von der Hand zu weisen. Der Täter soll ein 47-jähriger, vorbestrafter Landsmann sein - er hat wie das Opfer einen russischen Pass. 

Parallelen zu Fall Israilov

Im Jahr 2009 hatte der Fall Israilov für Aufsehen gesorgt. Auch in dieser tragischen Causa wurde ein Exil-Tschetschene auf offener Straße hingerichtet. Israilov hatte 2007 Asyl erhalten, soll in den Jahren davor von Präsident Kadyrow eingesperrt und gefoltert worden sein. Er wollte diese Vorwürfe und brisante Details 2008/2009 öffentlich machen. Umar Israilov kaufte am 13. Jänner 2009 in Wien-Floridsdorf Joghurt und Gummibärchen für seine drei Kinder, wurde von Landsleuten verfolgt und regelrecht hingerichtet. 

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