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Soziologe: "In der Krise wächst das Autoritäre"

Wird die Gesellschaft nach der Krise eine bessere sein? Der deutsche Soziolge Wilhelm Heitmeyer steht der Euphorie skeptisch gegenüber.

Heute Redaktion
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Wer ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft zeichnet, findet darin eine Gesellschaft vor, die zum Positiven gewandelt, aus der Krise hervortritt.

Einer der bedeutendsten deutschen Soziologen, Wilhelm Heitmeyer, zeigt sich im Interview mit der Zeit skeptisch. Es gelte die harten, nicht nur die weichen Fragen zu stellen und zu verhandeln.

Folgend das Interview der Zeit in Zusammenfassung.

Das komplette Interview findest du hier.

"Soziale Ungleichheit zerstört Gesellschaften"

Ale Klassen seien von der Krise betroffen, jedoch in unterschiedlicher Weise. "Corona ist eine besondere Krise, sie macht nicht Halt vor sozialen Klassen. Es gab vor Corona auch schon 9/11, Hartz IV, die Finanzkrise, die Ankunft der Geflüchteten, die aber jeweils für ganz unterschiedliche Milieus verunsichernd wirkten und in ihren Auswirkungen zeitlich begrenzt waren. Und doch gibt es auch in der Bewältigung dieser Pandemie schon jetzt massive Klassenunterschiede. Wir in unserem Haus am Wald erleben eine völlig andere Realität als eine Familie, die zum Beispiel in Berlin-Marzahn oder in Köln-Chorweiler mit drei Kindern in beengten Verhältnissen wohnt. Die soziale Ungleichheit wirkt sich massiv aus, ja, soziale Ungleichheit zerstört Gesellschaften."



"Corona ist ein Beschleuniger von sozialer Ungerechtigkeit"


Für die Zeit nach Corona sieht der Experte keine lang andauernden Folgen des solidarischen Gefüges, sehr wohl aber Traumata, die innerhalb der von der Krise erfassten Gesellschaften eventuell zu größeren sozialen Grenzen und Ungleichheiten führen: "Corona ist ein Beschleuniger von sozialer Ungleichheit. Einerseits hinterlasse das Virus psychischen Schaden, die wie Heitmayer vermutet, nach der Aufhebung der Kontaktbeschränkungen sichtbar werden. Andereseits könnte eine tiefreichende wirtschaftliche Rezession mit weitreichender Arbeitslosigkeit auf uns zukommen.

Aus der gegenwärtigen Perspektive lasse sich noch nicht auf die Verarbeitungsmechanismen schließen. Es gäbe einen Zusammenhang zwischen Kontrollverlust und Anfälligkeit für Verschwörungstheorien. "Man muss abwarten, welche Fantasien jetzt in Gang gesetzt werden. Im rechtsextremen Milieu ist schon einiges unterwegs."Die Solidarität stufe er nur von kurzer Dauer ein, da wir uns jetzt in einer Phase befinden, wo wir viele Leerlaufzeiten haben. Nach der Krise sind die Gedanken wieder bei anderen Dingen, voll mit Büroarbeit und neuen Herausforderungen.

Dabei beruft er sich auf den Vergleich mit früheren Szenarien, wo eine Solidarität entflammte, die nur von kurzer Dauer war. "Ich erinnere an die anfängliche Euphorie zu Zeiten der Flüchtlingsbewegung im Herbst 2015 und das, was danach geschah. Die harten Fragen lauten: Werden sich ökonomische Strukturen ändern oder werden die bisherigen sich weiter verhärten? Und natürlich: Werden die aktuellen Einschränkungen unserer Freiheit vollständig wieder verschwinden oder werden neue Kontrollregime auf Dauer eingerichtet, nur mit anderer Begründung?"

Krise verstärkt nationale Tendenzen

Dafür sei die Stärkung des Nationalen schon vor Corona sichtbar gewesen. "Die Kraft dieses neuen Nationalismus zeigt sich auch daran, dass die EU-Staaten unabhängig voneinander ihre Grenzen geschlossen haben. (...) Die EU finanziert eine formaldemokratisch verbrämte Diktatur in Europa."

Heitmeyer befürchtet zudem, dass die offenen Grenzen einbrechen. "Es ist zu befürchten, dass sich dieser autoritäre Nationalradikalismus – Rechtspopulismus ist ein völlig irreführender Begriff – in den Ländern des Ostens weiter verfestigt."

Vor allem das Bürgertum sieht er als entscheidenden Faktor, der das Denken in Schichten verstärken könnte, da sich hinter der gepflegten Fassade eine Abwertung der Klassen vorfände:" (Politiker) zielen auf die rohe Bürgerlichkeit in den Mittelschichten. Hinter einer glatten Fassade und geschliffenen Worten verbirgt sich bei manchen ein Jargon der tiefen Verachtung gegenüber schwachen Gruppen."

Dass die gesellschaftliche Mehrheit ihren Gemeinschaftssinn behauptet, halte er für unwahrscheinlich: "Das wäre wünschenswert, aber mindestens zwei Punkte sprechen dagegen. Erstens hat der globale, anonymisierte Finanzkapitalismus absolut kein Interesse an gesellschaftlicher Integration und damit an sozialen Anerkennungsprozessen. Solange sich da grundsätzlich nichts ändert, sehe ich auch keine sozialen Veränderungen kommen. Nach der Krise wird es doch eher ein brutales Aufholrennen für die verpassten Renditen geben. Dann dürften sehr schnell wieder umstandslos die Kriterien von Verwertbarkeit, Nützlichkeit und Effizienz gelten – nicht nur bei der Herstellung von Waschmaschinen, sondern auch in der Bewertung von Menschen."

"Erst das Langfristige ist strukturbildend"

Außerdem bezweifelt Heitmeyer, dass die Berufsgruppen, die nun Anerkennung und Aufmerksamkeit erfahren, diese nach der Krise auch erhalten. "Der zweite Punkt ist: Die Anerkennungsprozesse, die jetzt den Krankenschwestern und den Pflegern entgegengebracht werden, sind wunderbar. Sie sind bewundernswert und beruhigend. Aber erst das Langfristige ist strukturbildend. Und ich bezweifle, dass das lange anhalten wird. Wenn die Krise vorbei ist und Milliarden für die Stabilisierung der Wirtschaft ausgegeben sind, wird sich die Frage stellen, woher dann noch das Geld für die finanzielle Anerkennung der gerade gefeierten Helden und Heldinnen kommen soll. Ich bin sehr skeptisch."

Anerkennung schützt vor dem Autoritären

Die Politik würde selten ein Lang-Zeit-Gedächtnis nach einem einschneidenden Ereignis ausprägen. "Ich habe immer wieder erlebt, dass politische und ministerielle Institutionen kein Gedächtnis haben. Wie wenig und langsam sie lernen. (...) Ich würde mir wünschen, dass das anders würde, denn gerade von dieser sozialen Anerkennungsfrage, die Sie erwähnten, hängt unglaublich vieles ab für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Und ob sich autoritäre Versuchungen ausbreiten, die den Menschen die Wiederherstellung von Kontrolle durch Ausgrenzung der «anderen» versprechen. In der Krise wächst das Autoritäre.

"Ich sehe den großen Paradigmenwechsel nicht. Ich fürchte, diese schwärmerische Gesellschaftsromantik dürfte an den verhärteten Strukturen des Finanzkapitalismus und dem Kontrollzuwachs der politischen Institutionen zerschellen."

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