Coronavirus

"Die Auswahl der Patienten hat bereits begonnen"

Zu viele Patienten, zu wenige Intensivbetten. In Paris entscheiden Ärzte bei Covid-19-Patienten, wer behandelt wird und wer stirbt.

Jochen Dobnik
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In Paris ist man zur Triage gezwungen - die schwer Erkrankten mussten notgedrungen aussortiert werden.
In Paris ist man zur Triage gezwungen - die schwer Erkrankten mussten notgedrungen aussortiert werden.
CHRISTOPHE ARCHAMBAULT / AFP / picturedesk.com

Die Corona-Krise zwingt das Gesundheitssystem in vielen Ländern in die Knie. Bereits zum dritten Mal seit Ausbruch der Pandemie stößt man in der französischen Metropole an seine Belastungsgrenzen: "In unserer Notlage sind wir gezwungen, zwischen Patienten auszuwählen, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten", schreiben Pariser Krankenhausärzte in einem aufsehenerregenden Hilferuf und machen damit ihr Dilemma öffentlich. 

Auslastung der Intensivstationen liegt bei 128 Prozent

Tatsächlich beträgt die Auslastung der Intensivbetten laut der jüngsten Statistik der französischen Gesundheitsbehörde 127,7 (!) Prozent im Großraum Paris. Dort wütet die "britische" Virusvariante B.1.1.7, welche sich schneller und aggressiver verbreitet - besonders in der Altersgruppe zwischen 10 und 19 Jahren. Die Inzidenz beläuft sich hier auf 835.

Wegen dem Mangel an Intensivbetten sind Ärzte bereits zur Triage gezwungen: "Die Auswahl der Patienten hat bereits begonnen, denn wichtige chirurgische und andere medizinische Eingriffe sind bereits abgesagt worden". Bald schon könnten auch lebenswichtige Not-OPs aus Mangel an Personal und Intensivbetten nicht mehr gewährleistet werden.

Bereits auf dem Höhepunkt der ersten Welle waren im Elsass einige Krankenhäuser derart überlastet, dass Ärzte die Corona-Infizierten nach Überlebenschancen einteilen mussten. Etliche schwer Erkrankte in Altenpflegeheimen wurden nicht in die Krankenhäuser gebracht.

Lockdown wird nicht weiter verschärft

Allein am Montag wurden 37.014 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet - Tendenz steigend. Der öffentliche Krankenhausverband AP-HP will das nationale Ethikkomitee anrufen, um allgemeingültige Regeln für die Triage zu erstellen. Zahlreiche Ärzte sehen die Politik unter Zugzwang und machen ihrem Ärger darüber öffentlich Luft. "Indem sie es den Medizinern überlässt, darüber zu entscheiden, welcher Patient leben und welcher sterben soll, entzieht sich die Politik auf feige Weise der Verantwortung", heißt es einem Aufruf in der französischen Tageszeitung "Le Monde".

Es sei zu befürchten, dass noch mehr Krankenschwestern und Pfleger kündigen, weil sie der moralischen Zerreißprobe nicht mehr gewachsen sind. Doch trotz des öffentlichen Drucks verzichtet Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf neue Einschränkungen, wie die Schließung der Schulen. Noch. Am Mittwoch tagt der Corona-Sicherheitsrat im Elysée-Palast.