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Ex-Trainer zu Thiem: "Schluss mit dem Selbstbetrug"
Wird Dominic Thiem wieder Weltspitze? Ex-Betreuer Sepp Resnik sieht den Tennis-Star am falschen Weg. "Dominic bog falsch ab. Ein Neustart ist nötig."
"Die Handverletzung war nicht der Knackpunkt bei Dominic", sagt Sepp Resnik zu "Heute".
"Ich leide seit zwei Jahren daheim vor dem Fernseher. Zuerst, wie er nicht gespielt hat und dann, wie er nichts gespielt hat. Ich weiß, was Dominic draufhat und wie man ihn anschiebt."
Daheim, das ist bei Ex-Thiem-Betreuer Resnik die Lobau. "Ich lebe hier in einem FKK-Verein mitten im Grünen." Die Nachbarin Friede wurde zu seiner großen Liebe. "Ich habe hier alles, was ich brauche."
Nur die Siege von Dominic fehlen ihm.
"Ich kann Dominics Satz, vom Schritt nach vorne nach einer Niederlage, nicht mehr hören", stellt Resnik klar. "Dominic ist als Athlet und als Tennisspieler nicht auf dem Top-Level, wo er war. Dafür gibt es Gründe." Sein Fazit: "Schluss mit dem Selbstbetrug. Dominic ist falsch abgebogen, ein Neustart ist nötig."
„"Dominic hat Zeit mit Blödheiten vertan, sein Umfeld war weit von Weltklasse entfernt"“
Wird Thiem wieder der Alte? Diese Frage stellen sich viele Sportfans. Der US-Open-Sieger von 2020 interessiert – und er polarisiert. 2022 war Dominic Thiem die am häufigsten gegooglete Person in Österreich, obwohl er bis Juli kein Tennismatch gewann. Lässt Thiem wie im Oktober in der Wiener Stadthalle sein Können aufblitzen, reißt er sofort die Menschen mit und begeistert sie. Abseits des Platzes hinterließ die Ex-Nummer-3 der Welt aber bei vielen Fans offene Fragen.
Auch in der Lobau.
Was war der Knackpunkt? Wenn nicht die verletzte Schlaghand? "Ein Satz fehlte mir bei Dominic nach dem US-Open-Triumph", holt Resnik aus. ",Jetzt will ich die Nummer 1 werden.‘ Das hat er nicht gesagt und auch nicht gewollt. Da fing sein Problem an: Dominic war zufrieden. Das war der falsche Zugang, er hat Zeit verloren. Und er hat Zeit mit Blödheiten vertan. Sein Umfeld war dabei weit von Weltklasse entfernt."
Für Resnik ist die "Betreuerbank die Visitenkarte eines Tennisprofis". "Geht es dir am Platz schlecht, suchst du als Spieler Hilfe bei deiner Bank – fachlich und emotional. Fachlich hat für mich Dominic aktuell eine schlechte Bank."
Weil der Mensch gerne vergisst: Thiem schwächelte bereits vor seiner Handgelenkverletzung. 9:9 war seine Matchbilanz nach dem US-Open-Triumph im ersten Halbjahr 2021.
In der ersten großen Krise seiner Karriere tauscht Thiem sein Team aus – vom Manager bis zum Social-Media-Team, vom Physio bis zum Fitness-Trainer. Er wechselt zur spanischen Agentur "Kosmos" von Ex-Barcelona-Kicker Gerard Pique. "Heute" berichtete über alle Änderungen im Team Thiem vorab.
"Bei euch habe ich verdächtig oft die Wahrheit gelesen. Darum möchte ich jetzt meine Sicht der Dinge erzählen", sagt Resnik. "Ich will keine Schmutzwäsche waschen. Ich will Dinge ansprechen, weil es sonst keiner tut. Ich mache es, weil ich den Dominic mag – als Sportler und als Mensch. Aber er hat das Steuer für seine Karriere aus der Hand gegeben."
Über Resniks Wohnzimmer-Tisch in der Lobau hängen kaputte Tennisschläger an der Wand – so wie in anderen Wohnungen Familienfotos. Den Ehrenplatz hat ein weinroter Head Prestige Tour, der einen Wutanfall am Platz nicht überlebte. "Ein Geschenk von Dominic."
„"Keinen Cent. Von der Familie Thiem bekam ich zu Weihnachten eine kleine Flasche Olivenöl"“
"Angeschoben" wie er sagt, hat Resnik bei Thiem drei Saisonen lang. Als Österreichs Tennis-Jungstar rasant in die Weltspitze aufsteigt, sitzt der Mann mit Bart in seiner Box. Oft allein, dafür überall auf der Welt. "Ich setzte mich immer hinter Domi, damit er sich bei mir anlehnen kann. Ich wollte da sein für ihn." Er hatte immer einen Rucksack dabei. "Da war alles drin, was wir zum Überleben brauchten."
Geld hat der heute 70-Jährige für seine Arbeit mit Thiem nie bekommen. "Keinen Cent. Von der Familie Thiem bekam ich letztes Jahr zu Weihnachten eine kleine Flasche Olivenöl – Eigenanbau von einer griechischen Insel.“
Resnik stellte das Olivenöl im Regal wie einen Pokal auf – nur einen gefühlvollen Stop von den zerstörten Tennisschlägern entfernt.
"Wir sind eng zusammengewachsen", sagt er. Thiem und Resnik schliefen bei kleinen Turnieren in einem Zimmer. ",Wie soll ich zu dir sagen?‘, hat er mich als 17-Jähriger bei einem Turnier gefragt. ,Such dir was aus‘, habe ich geantwortet. ,Darf ich Bruder sagen?‘, hat er dann gefragt. ‚Ja Dom, jederzeit.‘"
Warum eigentlich Resnik? Das fragten sich damals viele Tennis-Fans. Resnik, ein Ex-Offizier und Extremsportler-Pionier, der in 61 Tagen 25.000 Kilometer rund um die Welt radelte und sich zurück in Österreich am Stephansplatz feiern ließ. Resnik, der als Fitness-Guru mit Motorsport-Größen wie Formel-1-Weltmeister Nigel Mansell, Rallye-Ikone Walter Röhrl oder Motocross-Held Heinz Kinigadner arbeitete.
Warum Resnik? Die Antwort ist simpel: Weil es Thiem-Mentor Günter Bresnik so wollte. "Bei Sepp lernt er eine andere Welt kennen", sagte Bresnik bei Thiems Aufstieg einmal zu "Heute". "Und das Wichtigste: Er redet mir bei der Technik nicht drein. Der Sepp hat keine Ahnung von Tennis."
"Alles korrekt", sagt Resnik heute.
Mit Bresnik habe er oft über Spitzensport "philosophiert". "Eines Tages zeigte er mir den Dominic. Ich sah einen Buben, der beim Tennis an seine Grenzen ging, athletisch aber nicht ausgebildet war. Ich bekam ihn mit Haut und Haar. Ohne Hinweise, was zu tun ist. Er war ein sensationeller Bua, der raufkommen wollte. Ein positiver Typ, ein junger, kompromissloser Athlet, der bereit zu allem war."
„"Wir haben das und noch viel Ärgeres getan. Domi und ich wissen das"“
Das größte Potential sieht Resnik beim Laufen. "Dominic war einer der Schnellsten, lief aber nicht richtig." Resnik ging mit ihm auf die Tartanbahn in der Südstadt, übte mit Spikes. "Ich wollte Neues machen. Ich habe ihm ein Rennrad hingestellt, das rührte er nicht an. Ich wollte mit ihm zum Jagdkommando Fallschirmspringen gehen. Damit der ganze Körper auszuckt, er mit dem erhöhten Stresspegel umgehen lernt. Da legte aber seine Mutter ein Veto ein."
Im Training geht er andere Wege. Im "Fleisch"-Magazin erscheint eine Reportage, die Thiem und Resnik gemeinsam beim Training im Wald bei Gutenstein begleitet. Das Duo schleppt Baumstämme bergauf, duscht unter einem Wasserfall. Red Bull distanziert sich Jahre später als Thiem-Sponsor von den Schilderungen.
Resnik sagt heute: "Wir haben das und noch viel Ärgeres getan. Domi und ich wissen das. Ich wollte ihn auf ein Level bringen, dass alles an ihm abprallt." Nachsatz: "Der Dominic hat aber ganz genau aufgepasst, ob ich mich mit ihm profilieren will. Ich wollte nicht einmal Trainer genannt werden. Ich wollte für ihn da sein."
Resniks Gesicht hat Furchen und Falten, die von Anstrengungen erzählen. Der Schmerz hat sich in seine spitzen Gesichtszüge eingegraben – für immer. 2019 erlitt er bei einem Gaudi-Fußballspiel in Kroatien einen Herzinfarkt. "Ich wollte den Schmerz wegatmen, es ging aber nicht." Zu Hause in Wien bekam er einen Stent eingesetzt. Resniks Blick ist stechend, die flinken Augen weichen im Gespräch aus. Er trägt eine goldene Brille, die man eher im Gesicht einer 50 Jahre jüngeren Influencerin vermuten würde. Dass sein Weltbild davon ein paar Erdumrundungen entfernt ist, merkt man, wenn er zu erzählen beginnt.
"Der Dominic war brav als ich ihn kennenlernte: Brav grüßen, brav spielen. 'Du musst Drecksau sein', sagte ich – und griff bei einem Turnier nach seiner Geldtasche. Ich stahl ihm die 100 Euro vom Papa. 'Dom, ich bin ein Dieb. Ich nehme dir dein Geld weg. Die Gegner da draußen sind auch Diebe, die wollen dein Geld.' Das hat er dann kapiert."
"Außergewöhnliche Leistungen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen", fügt Resnik hinzu, wenn er solche Episoden erzählt.
2023 wird das Jahr der Wahrheit für Thiem. Die Vorzeichen sind eigentlich gut: In der ersten Jahreshälfte hat der Lichtenwörther nur 30 seiner 561 Weltranglistenpunkte zu verteidigen. Jeder einzelne Sieg ist für die aktuelle Nummer 98 der Tennis-Welt viel wert. Es kann nur bergauf gehen. So wie es in seinem Spiel im zweiten Halbjahr 2022 stetig Steigerungen gab.
Der Start 2023 ging aber schief. Thiem holte sich bei finanziell lukrativen Show-Turnieren in Saudi-Arabien und Dubai den Schliff für sein Schicksalsjahr. Beim Saisonstart in Adelaide macht er dann in der Quali nur fünf Games gegen Kwon Soon-woo. Bei den Australian Open verliert er in drei Sätzen gegen "Kosmos"-Stallkollege Andrej Rublew. Eine Zerrung in der Rippengegend behindert ihn, fliegt als bitteres Australien-Andenken mit nach Österreich.
"Ich kann den absoluten Topspielern wieder wehtun", hatte er bei der Ankunft in Australien klargestellt. "Ich bin noch nicht so weit, dass ich solche Leute fordern und schlagen kann. So ehrlich muss ich auch zu mir selbst sein", sagte er bei der Abreise.
Anspruch und Realität – die Kluft war wieder da. Fans veranlasst das immer wieder für Angriffe unter der Gürtellinie auf Social Media. Die Kluft ist für Resnik aber auch ein hausgemachtes Problem. "Wie oft habe ich die letzten Jahre gehört, dass er so viel trainiert wie noch nie. Ich weiß aus seinem engsten Umfeld: Es stimmte nicht."
Seit zwei Jahren hat Thiem bei einem Grand-Slam-Turnier kein Match gewonnen. Seit seinem Comeback ist er gegen Top-10-Spieler sieglos. Dass Thiem den österreichischen Weg verlassen hat, versteht Resnik nicht. "Die Österreicher haben es mit ihm besser gemacht."
Dass er selbst kein Geld bekam, stört ihn nicht. "Ich tat es gerne und zu meiner Zeit war kein Geld da. Ich erlebte eine Familie, die alles tat, um den Tagesablauf mit zwei tennisspielenden Kindern zu bewerkstelligen. Auch die Großeltern haben bei diesem Projekt Großes geleistet."
Heute ist Bruder Moritz der Manager von Dominic. Vater Wolfgang Thiem zog sich nach einem öffentlichenen Konflikt mit Ex-Trainer Günter Bresnik in die zweite Reihe zurück, fungiert dort als sportlicher Leiter neben Coach Nicolas Massu.
"Der Moritz ist ein lieber Bua", sagt Resnik. "Aber er hat die Qualifikation nicht, für einen Weltklasse-Athleten zu sorgen. Und der Wolfgang ist ein guter Vater. Aber er hat es nicht geschafft, die Tenniskarriere von Dominic sportlich in die richtige Bahn zu lenken."
Nachsatz: "Vom Finanziellen rede ich nicht. Wenn 30 Millionen Euro an Preisgeld ohne Sponsorengelder eingespielt wurden, kann das nicht die Priorität sein. Für mich geht es um den Sport - um Siege. Das ist es, was von einem Athleten bleibt. Das Geld darf nicht in den Mittelpunkt rücken."
Resnik schleift heute wieder junge Athleten, am liebsten die Judoka der Galaxy Tigers. "Jeden Tag um 19.30 Uhr stehe ich auf der Matte. Körperlich ist das eine andere Liga als Tennis."
Den Davis-Cup-Schlager gegen Kroatien wird er natürlich verfolgen. Sein Fernseher wird am ersten Februar-Wochenende laufen, er wird unter den kaputten Tennisschlägern in seinem Wohnzimmer sitzen und zuschauen.
"Dominic hat zwei Gesichter", sagt er. "Am Platz ist er ein Killer. Er hat diese Gabe, 100 Prozent seines Könnens abzurufen. Wenn sich einer da sportlich rauszieht, dann er", ist Resnik überzeugt. "Ist aber der letzte Ball gespielt und zieht der Dominic die Tennisschuhe aus, dann ist er eine andere Person, tut er sich mit Entscheidungen schwer. Die sind aber nötig für einen Neustart. Nur dann wird er wieder der Alte oder noch besser."
Wie das Olivenöl in seinem Regal schmeckt, wird Resnik nie erfahren. "Die Flasche bleibt zu. Kein Tropfen kommt weg, dieses Öl ist kostbarer als jeder Pokal."